Hingerichtet, weil sie homosexuell waren: Wie ein Berliner Polizist nach verscharrten Kameraden sucht

Im Oktober haben Berliner Polizisten nach Überresten von vier ermordeten Polizeibeamten auf einem Gelände in Spandau gesucht.

Im Oktober haben Berliner Polizisten nach Überresten von vier ermordeten Polizeibeamten auf einem Gelände in Spandau gesucht.

Berlin. Es ist der 24. April 1945, kurz vor Ende des verheerenden Zweiten Weltkrieges. Die sowjetischen Truppen sind bereits im Berliner Stadtgebiet eingetroffen. Vier Gefangene steigen in einen Transporter ein, begleitet von sechs Polizisten. Eigentlich sind alle zehn Polizisten, sie sind Kollegen. Doch vier von ihnen fahren ihrem Tod entgegen, die anderen sechs bilden das Exekutionskommando. Die Fahrt dauert länger als gewöhnlich, weil sie Gefechten ausweichen müssen. In den Abendstunden werden die vier Männer auf ein Gelände der Polizei in Berlin-Spandau gebracht, in der Pionierstraße 160 – es existiert noch heute.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Es wurde bereits ein Loch gegraben. Ein Mann nach dem anderen wird vor das Exekutionskommando gestellt, begleitet jeweils rechts und links von einem Polizisten. Die vier Gefangenen sterben durch einen Genickschuss. 45 Minuten dauert die Exekution unter der Leitung von Alfred Wandelt, Oberleutnant der Schutzpolizei. Otto Jordan, Reinhold Hofer, Willi Jenoch und Erich Bautz starben unter dem Nazi-Regime, weil sie homosexuell waren. Weil sie nicht in das gesellschaftliche Bild der Nazis passten.

Polizist arbeitet Vergangenheit auf

Ralf Kempe weiß alles über das Verbrechen, was man zum heutigen Zeitpunkt wissen kann. Seit drei Jahren versucht er, die genauen Umstände der vier Morde aufzuklären und die menschlichen Überreste von Jordan, Hofer, Jenoch und Bautz zu finden. Am Telefon legt er sofort los mit Eckdaten, berichtet, wie die Witwe von Otto Jordan nach dem Kriegsende versucht hat, etwas über das Schicksal ihres Mannes herauszufinden. Berichtet vom Geheimerlass von Adolf Hitler von 1941, der homosexuelle Angehörige von Polizei und SS als „Volksschädlinge“ bezeichnet. Berichtet, dass bis heute die genauen Umstände nicht bekannt sind. Erzählt, dass der Todesschütze bis heute nicht gefunden wurde.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Kempe ist unter anderem LGBTQI*-Beauftragter bei der Berliner Polizei. „Ich habe 2018 eine Gedenkplakette an der Polizeidienststelle entdeckt, wo sie kurz vor ihrer Hinrichtung in Berlin Spandau einsaßen“, erzählt er. Als er in der Behörde herumfragte, was es mit dem Fall auf sich hatte, erfuhr er wenig – das Verbrechen war inzwischen in Vergessenheit geraten. Und so hat sich Kempe durch die Archive gewühlt, durch das Landesarchiv Berlin, sogar das Deutsche Historische Institut in Moskau angeschrieben, zusätzlich zu seiner normalen Arbeit als Polizeihauptkommissar.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von glomex GmbH, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Wenige Unterlagen

Es gibt nur wenige Dokumente zu den vier Opfern: „Das liegt auch beispielsweise daran, dass das Polizeipräsidium 1943 durch Bomben beschädigt wurde. Nach Kriegsende haben die Russen viele Unterlagen mitgenommen.“ Auch Luftbildaufnahmen, die das große Polizeigelände zeigen, die Hinweise auf das Grab der vier Männer geben könnten, gibt es nur aus der Zeit vor der Hinrichtung oder sehr viel später, nachdem dort Panzer hindurchgefahren sind.

Die Suche nach den Überresten der Getöteten im Oktober verlief erfolglos.

Die Suche nach den Überresten der Getöteten im Oktober verlief erfolglos.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Ein Großteil seiner Erkenntnisse stammt aus dem Gerichtsverfahren, das 1947 und 1948 gegen Alfred Wandelt wegen der Ermordung der vier Polizisten geführt wurde – aufgrund der Anstrengung der Witwe Jordan. Während ihr Mann im Arrest einsaß, besuchte sie ihn jeden Tag – bis sie ihn ab dem 14. April 1945 nicht mehr erreichen konnte. Nach Kriegsende nahm sie sogar den Weg nach Spandau auf sich, um von seinem Schicksal zu erfahren. Sie drang bis zu Oberleutnant Wandelt vor – eben jenem Leiter des Exekutionskommandos. Er log, er sagte ihr, dass ihr Mann im Krieg gefallen sei. „Sie muss aber herausgefunden haben, dass Otto Jordan ermordet wurde und stellte kurz nach dem Krieg eine Strafanzeige“, berichtet Kampe im nüchternen Ton.

Suche nach den Toten

Im Prozess schildert Wandelt ganz genau den Zeitplan. Wann die Gefangenen abgeholt wurden, wann sie am Gelände angekommen sind, den genauen Ablauf der Hinrichtungen. „Die Sache sollte bis 21 Uhr erledigt sein“, zitiert Kempe den Angeklagten. Pünktlich um 21.15 Uhr sei der Oberleutnant wieder in seiner Unterkunft gewesen.

Doch wo genau die Leichen begraben worden sind, wusste Wandelt nicht mehr. In seiner Aussage gibt es nur vage Angaben: Die Erde sei leicht erhöht gewesen, wo das Grab zugeschaufelt wurde. In der Nähe sei ein kleiner Baum, den es aber kurze Zeit später nicht mehr gab. Wenige Jahre nach den Morden wusste schon einer der Täter nicht mehr, wo die Toten begraben waren.

Plötzlich sind Emotionen in Kempes Stimme zu hören: „Wenn Sie die Akte lesen, kriegen Sie einen Schauer. Wie jemand so detailliert eine Tötung beschreiben kann.“

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Täter stirbt in Nervenheilanstalt

Oberleutnant Wangelt wurde zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt, ging in Revision, wurde abgewiesen. „Wangelt sagte, dass ein Befehl ein Befehl gewesen sei, und er keinen Grund gehabt hatte, an ihm zu zweifeln“, so Kempe. Damit argumentierte Wangelt ähnlich wie Adolf Eichmann, der Architekt des Holocausts, während seines Prozesses in Israel. Nach seiner Haftentlassung beantragte Wangelt 1958 Versorgungsbeträge und starb kurze Zeit später in einer Nervenheilanstalt. „Vielleicht hat ihn die Tat geistig beeinträchtigt“, mutmaßt Ermittler Kempe. Im Übrigen habe Wangelt allein rein juristisch auch nicht recht gehabt: „Selbst nach dem damaligen Wehrmachtsgesetz hätte er den Befehl verweigern können – denn bei drei der Ermordeten lag kein Gerichtsurteil vor.“

Heute geht Kempe davon aus, dass sich die Gebeine der vier Opfer im vorderen Teil des Geländes befinden müssen: „Es war mitten im Krieg – Fliegerangriffe mussten die ganze Zeit befürchtet werden. Wangelt und die sechs Beamten hatten wahrscheinlich keine Zeit, weiter hinauszufahren. „Tatsächlich brachten sich die Polizeibeamten nach der Exekution auch schnell in Sicherheit, weil Tiefflieger gesichtet wurden“, sagt er. Mitte Oktober führte er gemeinsam mit anderen Kollegen Grabungen auf dem Gelände durch, um doch noch die Überreste zu finden – doch ohne Erfolg. Vielleicht wurden die Leichen aufgrund von Granateneinschlägen, von Panzerangriffen oder anderen Kriegshandlungen auf dem Gelände, oder aber auch durch Übungseinsätze in den Nachkriegsjahren, zerstört. „Wir haben in Luftbildern Krater von Bombeneinschlägen gesehen.“

Keine lebenden Nachfahren bekannt

Über Angehörige der anderen Opfer ist wenig bekannt. „Von Erich Bautz wissen wir, dass er eine Tochter hatte, die bereits verstorben ist. Aber Enkel und Urenkel gibt es nicht“, sagt Kempe. Derzeit versuche er herauszufinden, ob es vielleicht noch Nachfahren von Geschwistern oder anderen Verwandten gibt.

Doch bei einem ist er sich sicher: Selbst wenn er herausfindet, welche weiteren Polizeibeamten bei der Exekution beteiligt gewesen waren, juristische Konsequenzen wird dies nicht mehr haben: „Die Täter leben sehr wahrscheinlich nicht mehr – die wären jetzt weit über 100 Jahre alt.“ Es geht also nicht mehr darum, den Fall juristisch aufzuarbeiten. „Wir haben die moralische Verpflichtung der Enkelgeneration, Otto Jordan, Reinhold Hofer, Willi Jenoch und Erich Bautz die letzte Würde zu erweisen und, wenn wir ihre Überreste finden, sie mit Anstand und Würde zu beerdigen“, so Kempe. Die Hoffnung gibt er nicht auf: Vielleicht erhält er noch eine Antwort auf seine Anfrage aus Russland – und daraus ergeben sich neue Erkenntnisse.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Doch geht es Kempe mit seinen Nachforschungen auch ums Hier und Jetzt: „Ich tue das für meine Polizei“, sagt er. Das Interesse an der Aufarbeitung sei mit den Jahren groß geworden. Und außerhalb von Berlin? Andere Fälle kennt er zwar nicht, aber er ist sich sicher, dass sich solche Verbrechen aufgrund des Geheimerlasses von Adolf Hitler auch in anderen Polizeistationen in Nazi-Deutschland abgespielt haben.

In Berlin wird im nächsten Jahr eine neue Gedenktafel enthüllt mit den Namen Otto Jordan, Reinhold Hofer, Willi Jenoch und Erich Bautz. Und wer in der Behörde gefragt wird, wird sich erinnern, welchem Verbrechen die vier zum Opfer fielen.

Anzeige
Anzeige
Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Outbrain UK Ltd, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken