Jahrestag La Palma: Das Leben nach dem Vulkan
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Am 19. September 2021 bricht in La Palma ein Vulkan aus. Es ist der längste Ausbruch in der bekannten Geschichte der Kanareninsel. Nun jährt sich die Naturgewalt zum ersten Mal.
© Quelle: Emilio Morenatti/AP/dpa
La Palma. Der Jahrestag entfaltet seine eigene emotionale Kraft. „Das merkst du auf der Insel“, sagt Rüdiger Wastl. „Ist alles ein bisschen stiller geworden in den letzten zwei Tagen.“ Am 19. September vor einem Jahr brach der immer noch namenlose Vulkan auf der Kanareninsel La Palma aus. Vor allem eine Erinnerung begleitet Wastl seitdem: Wie er nach dem Ausbruch des Vulkans seine Frau zu erreichen versuchte und sie nicht erreichte. „Das steckt tief.“
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23.09.2021, Spanien, La Palma: Eine Aschewolke schießt aus dem Vilkan Tajogaite auf der Insel La Palma in die Höhe. Der Vulkanausbruch war der längste in der bekannten Geschichte der Kanareninsel.
© Quelle: Emilio Morenatti/AP Pool/dpa
Er arbeitete am Nachmittag jenes Sonntags im Restaurant, das er an der Landstraße zwischen El Paso und Los Llanos betreibt, dem „Franchipani“. Von dort habe er die Explosion gesehen und gedacht: „Das ist direkt bei uns“, beim Haus der Familie, in dem er seine Frau wusste. Zum Glück aber lag die Ausbruchsstelle ein paar Hundert Meter den Berg hinauf. Wastls Frau blieb Zeit, die Hunde zu nehmen und sich in Sicherheit zu bringen. Alles andere blieb zurück. Zehn Minuten später erwischte Wastl seine Frau endlich am Telefon. Das war der Moment der größten Erleichterung.
Knapp drei Monate blieb der Vulkan aktiv, begrub Wastls und gut 1000 weitere Häuser unter sich, ganze Dörfer: insgesamt zwölf Quadratkilometer bewohntes und bebautes Land, etwa ein Sechzigstel der Inselfläche, davon 2,2 Quadratkilometer Bananenplantagen. Zu Weihnachten, nach zwei Wochen vulkanischer Ruhe, wurde offiziell das Ende des Ausbruchs erklärt.
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Touristen wandern auf einem von der Lava des Vulkans Tajogaite betroffenen Weg in der Sierra de Cumbre Vieja. Nach 85 Tagen kam der Ausbruch des Vulkans Cumbre Vieja am 25. Dezember 2021 zu einem Ende. Mindestens 1241,1 Hektar wurden durch die Lava zerstört.
© Quelle: Kike Rincón/EUROPA PRESS/dpa
Seitdem versucht die Insel wieder zu sich zu finden und tut es auch. Wer sich aber umhört auf La Palma, wird viele Klagen hören, die spanischen Zeitungen sind voll damit: dass der Wiederaufbau zu langsam vorangehe, dass die Hilfe – mehr als eine halbe Milliarde Euro – nicht bei denen ankomme, die sie am nötigsten brauchten. Rüdiger Wastl, der aus Dietzenbach bei Offenbach stammt und seit 17 Jahren auf der kleinen grünen Kanareninsel lebt, sagt salomonisch: „Es funktionieren Sachen wirklich gut, und es funktionieren Sachen gar nicht. Aber das war schon immer so, und das wird sich, glaube ich, auch nicht ändern.“
Neue Normalität
Was Wastl schwer beeindruckt, ist die gut drei Kilometer lange Piste quer durchs Lavafeld, die am 1. Juni zunächst stundenweise für den Verkehr geöffnet wurde und nun zu einer regulären Landstraße ausgebaut wird. „Du kannst dir nicht vorstellen, was an schwerem Gerät hier unterwegs ist auf der Insel! Das ist völlig irre! Ich fahre darüber und denke einfach nur: Wie krass ist das denn!“, sagt Wastl enthusiastisch. Die Lavazunge hatte alle Nord-Südverbindungen auf der Westseite der Insel unterbrochen, jetzt gibt es wieder eine. Mit der Piste sei seit dem Sommer „eine Normalität“ in die Gegend zurückgekehrt, was kein Mensch für möglich gehalten habe. Wastl kann jetzt wieder seinen Tennisclub besuchen, der auf der anderen Seite des Lavazunge liegt.
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Arbeiter sind an einer mit Lava bedeckten Straße im Einsatz. Durch den Plan „Recupera La Palma“ (Palma zurückgewinnen) sollen die Verbindungen zwischen dem Norden und dem Süden der Insel befreit werden. Die Lavaströme hatten die Straßen blockiert. Fahrer sahen sich gezwungen, zwei Stunden lang zu fahren, wollten sie die Insel durchqueren.
© Quelle: Kike Rincón/EUROPA PRESS/dpa
Viel mehr müsste gebaut werden, vor allem Wohnhäuser, aber zu wenige Kräne zeigen an, dass Abhilfe naht. Noch immer leben 192 Menschen, die unterm Vulkan ihr Haus verloren, in Hotelzimmern. Wastl hat ein Haus zur Miete gefunden, aber das Angebot an Miethäusern und -wohnungen auf La Palma ist gering, die Preise sind auf das Zwei- bis Dreifache gestiegen. Er will wieder bauen, hat ein Grundstück gefunden und hofft, bis Ende des Monats die Baugenehmigung zu haben. Für Vulkanopfer soll eigentlich alles schneller gehen, was nicht heißt, dass alles wirklich schnell geht. Es gibt auch kaum Bauland auf dieser Insel aus lauter steilen Hängen.
„So langsam muss man sich um sich selber kümmern“
Als wollte sich der Vulkan nicht mit seinem Zerstörungswerk zufriedengeben, hat er noch eine Magmablase hinterlassen, aus der Kohlendioxid an die Erdoberfläche steigt, ausgerechnet in zwei touristischen Küstensiedlungen, Puerto Naos und La Bombilla, die jetzt Sperrgebiet sind, obwohl sie von der Lava glücklich verschont worden waren. Die Wissenschaftler machen den rund 1500 Einwohnern dort und den Hotelbetreibern keine Hoffnungen auf eine schnelle Öffnung. Niemand weiß, wann die Kohlendioxid-Emanationen ein Ende haben werden, und niemand wüsste einen Trick, wie mit ihnen zu leben wäre. „Es geht einfach nicht“, sagt Thomas Klaffke, der sein Haus in La Bombilla zum letzten Mal am 4. November für kurze Zeit betreten durfte. Er hat im Norden der Insel Arbeit und Unterkommen gefunden. Er schlägt sich durch. „Irgendwie geht es“, sagt er. „Mir bleibt ja auch nichts anderes übrig.“
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Erkaltete Lava von einem Ausbruch des Vulkans Tajogaite hat zahlreiche Häuser auf der Insel verschüttet.
© Quelle: Emilio Morenatti/AP Pool/dpa
Andere auf La Palma sind weniger schicksalsergeben. Juan Fernando Pérez, Sprecher der Plattform der Vulkan-Betroffenen, klagt über das „Desaster“ der Hilfszuteilungen, die nur „tropfenweise“ bei den Geschädigten ankämen. Auch der Tourismus – neben dem Bananenanbau die Haupteinnahmequelle der Insel – zieht etwas weniger an als erhofft: Bisher landeten dieses Jahr auf dem kleinen Flughafen von La Palma knapp 834.000 Passagiere, mehr als im gesamten Jahr 2021, aber immer noch etwa 15 Prozent weniger als in den ersten acht Monaten des Vor-Corona-Jahres 2019.
Man kann das auch positiv wenden: La Palma steht schon fast wieder da, wo es vor dem Vulkanausbruch stand. Thomas Klaffke, der in La Bombilla sein Zuhause und seine Einkommensquelle – eine kleine Pension – verloren hat, erzählt, dass er bisher knapp 4000 Euro Unterstützung erhalten habe. „Mehr ist es halt nicht“, sagt er. „Und ich glaube: So langsam muss man sich dann auch um sich selber kümmern.“ Das tun die Palmeros. Bei allen Klagen.