Mehr als nur Tränen trocknen: Flutopfer brauchen Betreuung
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Einsatzkräfte des Deutschen Roten Kreuz, des Kreisverband Dresden-Land, sowie der Diakonie Meißen stehen während eines Pressetermins auf dem Gelände des DRK Landesverband Sachsen. Die Einsatzkräfte sollen nach Rheinland-Pfalz verlegt werden um den Betroffenen der Flutkatastrophe zur Seite zu stehen.
© Quelle: Sebastian Kahnert/dpa-Zentralbil
Berlin. Ob Hochwasser, Terroranschlag, Erdbeben oder Busunglück - für jeden, der bei einem solchen Schreckensereignis einen geliebten Menschen oder die eigene Gesundheit verliert, bricht erst einmal eine Welt zusammen. Experten wissen: Wenn staatliche Stellen in so einem Moment versagen, wenn sie die vielen Fragen der Angehörigen nicht klar beantworten und Hinterbliebene in ihrem Elend auch noch mit bürokratischer Stumpfheit quälen, kann das die Verarbeitung der schrecklichen Erlebnisse langfristig erschweren.
„Psychosoziale Notfallversorgung“ heißt das, was da geleistet werden muss, im Fachjargon. Im Katastrophengebiet in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz werden Menschen, die für die Betreuung in solchen emotionalen Extremsituationen geschult sind, jetzt dringend gebraucht. Deshalb hat sich auch die Koordinierungsstelle Nachsorge, Opfer- und Angehörigenhilfe (NOAH) der Bundesregierung eingeschaltet.
Qualifizierte psychosoziale Hilfe in den Stunden nach einer Katastrophe sehr wichtig
Das beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) in Bonn angesiedelte NOAH-Team kommt laut gesetzlichem Auftrag eigentlich nur zum Einsatz wenn Deutsche im Ausland von einem Busunglück, einem Flugzeugabsturz, einer Terrorattacke oder einer Naturkatastrophe betroffen sind. Es kümmert sich auch um die Angehörigen von Menschen, die im Ausland entführt wurden.
Seit dem vergangenen Donnerstag wird die Stelle aber auch für die Bewältigung der Hochwasserlage genutzt. Sie unterstützt Rheinland-Pfalz beim Aufbau sogenannter „Akutbetreuungsstrukturen“ im Katastrophengebiet und vermittelt Notfallseelsorger für die Identifizierungskommission des Bundeskriminalamtes. Diese Kommission ist auf die Identifizierung von Toten bei Katastrophen mit einer hohen Opferanzahl spezialisiert. Da kommt es zu vielen schwierigen Situationen, etwa wenn Angehörige helfen sollen, Opfer zweifelsfrei zu identifizieren. Oder wenn der Moment der traurigen Gewissheit gekommen ist.
„Es ist sehr wichtig, dass in den ersten Stunden nach einem Anschlag oder einer Katastrophe qualifizierte psychosoziale Hilfe da ist. Damit die Betroffenen besser mit der Belastung klarkommen“, weiß Jutta Helmerichs, Leiterin der Koordinierungsstelle NOAH, aus langjähriger Erfahrung: „Versäumnisse am Anfang können langfristige negative Folgen haben.“ Ganz wichtig sei dabei: „Es geht nicht, dass man die Leute hin und her schickt.“ Deshalb müsse vorher klar sein, wer sich in einem solchen Fall kümmert, damit es nur eine Stelle, im Idealfall auch nur einen Ansprechpartner, gibt.
Helmerichs hat festgestellt: „Die Bedürfnisse der Betroffenen ähneln sich und sind relativ unabhängig von der Art des Schadensereignisses.“ Sie bräuchten möglichst rasch Gewissheit über das, was geschehen ist, Unterstützung im Umgang mit Behörden, manchmal auch die Vermittlung psychotherapeutischer Hilfe am Wohnort. Auch der Austausch mit anderen Betroffenen sei für viele von ihnen wichtig.
Viele neue Hilfsangebote in Deutschland
In Helmerichs' Team ist jeder ausgebildet für den Umgang mit Emotionen wie Wut, Trauer oder auch Aggression. Notfälle, die Kinder beträfen, seien für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die vor allem per Telefon und E-Mail mit den Betroffenen in Kontakt stünden, stets besonders schwierig und belastend.
In den vergangenen Jahren sind in Deutschland vielerorts neue Hilfsangebote geschaffen worden für Menschen, die von Katastrophen oder Terroranschlägen betroffen sind. Das ist auch die Folge der harschen Kritik an der Art und Weise, wie in der ersten Phase nach dem Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz im Dezember 2016 mit den Verletzten und Hinterbliebenen umgegangen wurde. Wir erinnern uns: Ein abgelehnter Asylbewerber aus Tunesien hatte damals einen polnischen Lastwagenfahrer erschossen und war anschließend mit dem Fahrzeug über einen Weihnachtsmarkt gerast, wo elf weitere Menschen starben.
Nach diesem schlimmsten islamistischen Anschlag in der Geschichte der Bundesrepublik haben alle Länder bis auf Brandenburg und das Saarland Opferbeauftragte berufen oder zentrale Anlaufstellen geschaffen. Auf Bundesebene wurde eine entsprechende Stelle beim Justizministerium geschaffen und mit dem SPD-Politiker Edgar Franke besetzt.
„Wir möchten verändern und das Bewusstsein schärfen und nicht nur kritisieren; schließlich wurden auch viele Anschläge bereits vereitelt und bei sämtlichen Behörden materiell, personell und finanziell aufgestockt“, sagt Astrid Passin. Sie ist Sprecherin der Hinterbliebenen und Betroffenen des Anschlags auf dem Breitscheidplatz.
Opfer von Gewalttaten können - unabhängig vom Hintergrund der Tat - Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz erhalten. Wer von der Tat eines Terroristen betroffen ist, dem stehen zudem sogenannte Härteleistungen zu. Kinder, die bei einem Anschlag Vater oder Mutter verloren haben, erhalten beispielsweise 30.000 Euro. Auch eine Pauschale, die den Ausfall des Unterhalts abmildern soll, kann gezahlt werden. Den Hochwasseropfern in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen haben die Bundesregierung und die Landesregierungen jetzt schnelle unbürokratische Hilfe versprochen.
An 157 Betroffene des Anschlags auf dem Weihnachtsmarkt wurden bislang insgesamt rund 3,66 Millionen Euro ausbezahlt. 76 Betroffene des Anschlags in Halle erhielten rund 493.000 Euro. Bei den 62 Betroffenen des rassistischen Anschlags in Hanau kamen laut Bundesjustizministerium bisher rund 1,29 Millionen Euro an Härteleistungen an.
Einige Mitglieder des Untersuchungsausschusses des Bundestages, der Behördenfehler rund um den Terroranschlag auf dem Breitscheidplatz beleuchtet hat, fänden es gut, wenn NOAH künftig auch grundsätzlich als Anlaufstelle im Inland zur Verfügung stünde. Die Koordinierungsstelle arbeitet aktuell auf jeden Fall schon an sogenannten Musterrahmenplänen mit Checklisten für eine möglichst gute Opferbetreuung im Inland.
Die vom Umfang her größte Herausforderung, die das Team von Jutta Helmerichs bisher bewältigen musste, war der Tsunami im Indischen Ozean im Dezember 2004, weil es damals so viele Betroffene gab. Innerhalb kurzer Zeit wurden 100 externe Kräfte der Notfallseelsorge und Krisenintervention organisiert. Die „Akutphase“ dauerte drei Monate an.
RND/dpa