#MeToo-Debatte erreicht mit Verzögerung auch Italiens Schauspielbranche
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In den sozialen Netzwerken wurde die #MeToo-Debatte intensiv geführt. Nun erreicht sie auch Italiens Schauspielbranche. (Symbolbild)
© Quelle: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa
Die sexualisierte Gewalt machte auch vor Minderjährigen nicht halt. Die Sizilianerin Pamela Villoresi war erst 15 Jahre alt, ein hübsches Mädchen, wie sie selber sagt, und sie wollte unbedingt zum Film. „Die Produzenten hörten mir beim Vorsprechen zwei Minuten zu, dann sagten sie mir, ich solle mich ausziehen“, berichtet die heute 66-jährige Direktorin des Teatro Biondo in Palermo. Natürlich sei sie gleich weggelaufen, aber Ähnliches sei ihr im Lauf ihrer Karriere immer wieder passiert. Sie sei mehrmals zur Polizei gegangen, um die Täter anzuzeigen. „Sie haben mir nicht geglaubt. Sie sagten mir, ich soll Tonaufnahmen von den Übergriffen machen. Aber ich war noch jung, ich hatte Angst, diesen Männern alleine nochmals zu begegnen.“
Italien ist teilweise immer noch eine patriarchalische und männliche Gesellschaft, und im Filmbusiness ist diese Haltung der generelle Mainstream.
Schauspielerin und Regisseurin Susanna Nicchiarelli
Pamela Villoresi ist eine von Dutzenden Schauspielerinnen, die nun, fünf Jahre nach dem Auffliegen des Skandals rund um die sexuellen Übergriffe des Hollywoodfilmproduzenten Harvey Weinstein in den USA, von analogen Nötigungen, Einschüchterungen und vom verbreiteten Sexismus in der italienischen Film- und Theaterszene berichten. Eine andere ist die Schauspielerin und Regisseurin Susanna Nicchiarelli. Sie sagt: „Italien ist teilweise immer noch eine patriarchalische und männliche Gesellschaft, und im Filmbusiness ist diese Haltung der generelle Mainstream.“ Wenn eine Frau belästigt werde, dann herrsche immer noch die Meinung vor, dass es die Frau war, die die sexuellen Übergriffe provoziert habe. Die jungen Schauspielerinnen wüssten ja, wie die Gepflogenheiten in dieser Branche seien, und sie sollen sich nicht so anstellen.
#MeToo-Debatte startete 2017 in den USA
Als in den USA gegen Ende 2017 Schauspielerinnen die #MeToo-Debatte ins Rollen brachten, war Asia Argento noch fast die Einzige gewesen, die sich in Italien der Bewegung anschloss. Auch sie war 1997 zu einem Opfer Weinsteins geworden.
Die Folge meiner Anzeige war ein medialer Tsunami. Es hieß, ich hätte ja nein sagen können, und ich hätte die Anzeige nur gemacht, um Publizität zu erlangen.
Asia Argento, italienische Schauspielerin und Opfer Weinsteins
Statt Solidarität erfuhr die heute 47-jährige Schauspielerin in Italien vorwiegend Ablehnung und Hass. „Die Folge meiner Anzeige war ein medialer Tsunami“, erklärt Argento, die von den Medien und den Hatern in den sozialen Medien das erfuhr, was „victim blaming“ genannt wird. „Es hieß, ich hätte ja nein sagen können, und ich hätte die Anzeige nur gemacht, um Publizität zu erlangen.“ Dabei habe sie 16 Jahre Psychotherapie benötigt, um die Gewalterfahrung zu verarbeiten.
Der Wind dreht sich auch in Italien
Doch in den letzten Jahren hat der Wind auch in Italien gedreht: Zwei Organisationen von Schauspielerinnen, Amleta und Differenza Donna, haben in den letzten zwei Jahren über 200 Meldungen von Kolleginnen gesammelt, die ebenfalls Opfer von sexueller Gewalt, von Belästigungen, Übergriffen, Drohungen und unwillkommenen Komplimenten und Einladungen geworden sind.
„Die Übergriffe sind flächendeckend, es ist völlig intolerabel“, betonte die Präsidentin von Amleta, die Schauspielerin Cinzia Spanó, am Montag vor der Auslandpresse in Rom. Und auch die mit 27 Millionen Followern und Followerinnen erfolgreichste Influencerin Italiens, Chiara Ferragni, will den Sexismus in der italienischen Gesellschaft nicht mehr hinnehmen: Als Co-Moderatorin des Schlagerfestivals von San Remo will sie vor allem junge Frauen für das Thema sensibilisieren und ihnen Mut machen, Übergriffe anzuzeigen.
Berlusconis Kanäle sind ein Problem
Ein Problem für sich sind in Italien die privaten TV-Kanäle von Silvio Berlusconi. Der Ex-Premier, der mit seinen Bunga-Bunga-Sexpartys Schlagzeilen machte, hatte schon in den Neunzigerjahren den Ton und die Umgangsformen vorgegeben: „Auf dem Set eines von Mediaset produzierten Spielfilms entdeckte ich mehrere Wohnwagen, in denen sich Minister und Abgeordnete mit Schauspielerinnen trafen“, sagt die Regisseurin und Drehbuchautorin Roberta Lena. „Eine junge Kollegin sagte mir, man müsse mit mindestens zwei Abgeordneten ins Bett gehen, wenn man Karriere machen wolle.“
Zumindest die Wählerinnen und Wähler der Forza Italia reagieren auf die Übergriffe bis heute mit einem Schulterzucken – ansonsten wäre Berlusconi als Politiker längst in der Versenkung verschwunden – und nicht unverzichtbarer Koalitionspartner von Regierungschefin Giorgia Meloni.
„Gender gap“ beim Staatssender RAI
Beim Staatssender RAI, dem größten Kulturunternehmen Italiens, ist die Situation nicht viel besser als bei Mediaset. „Die Funktionäre waren jahrelang gezwungen, die Rollen mit den Gespielinnen der Politiker zu besetzen, statt mit den Schauspielerinnen, die von den Regisseuren ausgewählt wurden“, sagt Pamela Villoresi. Die Vorwürfe betreffen Vorkommnisse, die mehrere Jahre zurückliegen, doch der Sexismus beim nationalen Sender spiegelt sich auch heute noch in der Führungsetage wider, wo die Männer drei von vier Chefsesseln besetzen. Die „gender gap“ manifestiert sich auch in den RAI-Eigenproduktionen: Nur 37 Prozent der Rollen wurden noch 2021 weiblich besetzt – und das meist entlang der gängigen Stereotypen: als Hausfrauen oder Pflegerinnen.