Hamburg und die Letzte Generation: Schlag in die Magengrube
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Am Wochenende kam es in Hamburg zu Handgreiflichkeiten zwischen Autofahrern und Klimaaktivisten.
© Quelle: Jonas Walzberg/dpa
Die Letzte Generation drohte zuletzt damit, ganze Städte lahmlegen zu wollen. In Hamburg ist ihr das am Samstag zumindest halb geglückt – eine Straßenblockade an den Elbbrücken klemmte den Hamburger Süden für mehrere Stunden vom Rest der Stadt ab.
Die Folge: 17 Kilometer Stau, ratlose Autofahrerinnen und Autofahrer im Hamburger Nieselregen – und eine schlimme Eskalation.
Ein LKW-Fahrer zerrte einen der Aktivisten an seiner Warnweste an einen Grünstreifen und trat ihm danach in den Bauch. So ist es auf einem von der Bewegung verbreiteten Video zu sehen. Anschließend jagte der Fahrer einem Fotografen auf der Straße hinterher.
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Fehlendes Gespür
Der Chef der Spedition erklärte eilig, seine Mitarbeiter dürften „natürlich nicht so reagieren“, die Polizei sicherte das Video und leitete Ermittlungen ein.
Die Gewalt gegen Klimaaktivisten und Klimaaktivistinnen ist durch nichts zu rechtfertigen, und sei der Stau noch so lang. Und doch sollten die immer roher werdenden Reaktionen die Bewegung nachdenklich machen. Denn ihre Blockade in Hamburg zeigt zum wiederholten Mal, dass es der Bewegung an taktischem Geschick fehlt. Fürs Festkleben hätte es keinen schlechteren Zeitpunkt und Ort geben können.
Wegen Bauarbeiten war am Wochenende in Hamburg zusätzlich der Elbtunnel gesperrt – die wichtigste Alternative, um den Fluss zu queren. So gab es für mehr als Hunderttausend Hamburger und Hamburgerinnen fast keine Möglichkeit, mit dem Auto aus dem Süden ins Zentrum zu kommen. Und das zwei Tage vor dem Superstreik, vor dem die Nerven vieler Menschen sowieso blank liegen.
Klar, die Letzte Generation will genau diesen Stress ausnutzen. Doch sie macht sich damit kaputt, was sie dieses Jahr bereits erreicht hat, gerade in Hamburg.
Treffen mit Hamburger Regierungsparteien
Erst am Dienstag hatten Klimaaktivisten und ‑aktivistinnen sich mit SPD- und Grünen-Vertretern und Vertreterinnen im Rathaus ausgetauscht – und sich nach eigenen Angaben für einen Drohbrief an Hamburgs Bürgermeister entschuldigt. Darin hatten sie eine „maximale Störung der öffentlichen Ordnung“ angekündigt, sollte der Senat nicht auf ihre Forderungen reagieren.
Das Treffen lief offenbar positiv; ein zweites Treffen werde anvisiert, hieß es anschließend. Beobachterinnen und Beobachter werteten dies als Zeichen, dass die Gruppe ihre Aktionen vor Ort nicht weiter eskalieren lassen wolle.
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Möglich wäre vielleicht sogar ein Zusammenschluss mit der Politik, wie zuletzt in Hannover, Marburg oder Tübingen geschehen. Politische Unterstützung gegen Einstellung des Straßenprotests. Doch die jüngste Großblockade macht eine solche Vereinbarung in Hamburg nun unwahrscheinlich.
Wenn die Bewegung wirklich an einer Kooperation interessiert wäre, hätte sie als Zeichen des guten Willens zumindest für die kommenden Tagen stillgehalten – und nicht eine tatsächlich „maximale Störung“ wie am Wochenende erzwungen. So aber wird es für Bürgermeister Tschentscher schwer zu erklären, warum er genau jene Bewegung unterstützen sollte, die ihn kurz nach der ersten Annäherung derart brüskiert.
Dabei wäre es ein wichtiges Signal für die Letzte Generation, wenn sie nun das erste Mal in Deutschland mit einer Millionenmetropole kooperieren würde.
Gewalt rückt in den Fokus
Die bisherigen Zusammenschlüsse zeigen, dass die neue Strategie der Bewegung durchaus Erfolg verspricht. Weg von der Straße, an den Verhandlungstisch. Je mehr Städte mitmachen, desto größer wird die Akzeptanz. Zuletzt sprachen sich im ZDF-„Politbarometer“ 55 Prozent der Befragten für derlei Vereinbarungen aus.
Die neue Kompromissbereitschaft der Gruppe ist der einzige Weg, um gesellschaftlich anerkannt zu werden. Und die einzige Möglichkeit, tatsächlich Maßnahmen für ihre Anliegen zu erwirken.
Stattdessen stützen Aktionen wie am Wochenende das Bild der radikalen, rücksichtslosen „Klimakleber“, das vor allem der Boulevard verbreitet. Schlimmer noch: Weil sich ihre Blockaden medial abnutzen, rückt allein die Gewalt gegen die Protestgruppe in den Fokus.
Immer häufiger scheint es zu Attacken zu kommen. Zuletzt setzte sich ein Mann in Österreich auf einen Protestler einfach drauf. Die „Bild“-Zeitung spornt derlei Exzesse an, indem sie etwa einen Strafrechtler befragt, ob Ohrfeigen als Gegenmaßnahmen erlaubt seien. Der Klimaprotest wird mit solcher Hetze immer weiter entmenschlicht und Gewalttaten wie jene des LKW-Fahrers in Hamburg moralisch legitimiert.
Die Letzte Generation sollte deshalb auch aus Selbstschutz von der Straße wegkommen – und sich den selbst errungenen Verhandlungsweg mit unklugen Aktionen wie am Samstag nicht selbst verbauen.