Ist das Oktoberfest wirklich noch ein Fest fürs Volk?
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Da rennen sie alle zum Bier: Am Wochenende eröffnet wieder das Münchner Oktoberfest.
© Quelle: Getty Images
Es ist das größte Volksfest der Welt, das allergrößte. Im vergangenen Jahr, noch unter den Ausläufern von Corona, haben 5,7 Millionen Menschen auf dem Wiesn-Gelände flaniert, gefuttert, getrunken. Es ist so groß, dass es gleich mehrere Nachahmerfeste gibt, von China über Namibia bis Kanada. Es ist so groß, dass es gleich mehrfach in Literatur oder Filmen geehrt wurde, von Ödön von Horváth bis „Bierkampf“. Das Volksfest ist so groß, dass „Oktoberfest“ häufig genug auf der Bucket List ausländischer Touristinnen und Touristen steht. Dass „Oktoberfest“ im Ausland gerne mal als Synonym für deutsche Kultur steht.
Aber stimmt das mit dem Volk beim Volksfest denn überhaupt noch? Ist die bayerische Tradition, die Theresienwiese im Zentrum Münchens einmal im Jahr in ein flimmerndes, glitzerndes und aufgedrehtes Glitzermeer mit Marschmusik zu verwandeln, wirklich noch ein Fest, zu dem das ganze Volk kommt?
Besucherrate konstant – gleichzeitig steigende Preise
Schauen wir erst einmal auf die Zahlen: Seit 1980 gibt es einen zuverlässigen Überblick zu den Besucherinnen und Besuchern. Laut Statista ist der Besucherrekord 1985 erfasst worden – mit 7,1 Millionen Gästen. Im Schnitt kamen 6,2 Millionen Besucherinnen und Besucher bei jeder Wiesn – und der Trend ist tatsächlich überraschend stabil. Alle fünf Jahre brechen die Zahlen etwas ein, unter die Sechs-Millionen-Grenze, dann steigen sie wieder. Ein ewiger Oktoberfestzyklus.
Genug Menschen gibt es nun also, um von „Volk“ im Zusammenhang mit Oktoberfest zu sprechen. Auch andere Häkchen für die Kategorie Volksfest setzt das Oktoberfest locker: Es hat einen freien Eintritt auf das Wiesn-Gelände. Es gibt nicht einen großen Schausteller, der alles schmeißt, sondern viele verschiedene. Es gibt nicht einen großen Wiesnwirt, 2022 gab es 14 große und 21 kleine Wiesnwirte. Und ganz wichtig: der Fassanstoß, gemacht von einem Lokalpolitiker oder einer Lokalpolitikerin. Den Ausspruch „O‘zapft is“ kennt man inzwischen sogar an der Nordseeküste.
Nun also zum Bier. Bier ohne Oktoberfest geht zwar, gilt aber allgemein dennoch als sinnlos. Schließlich wurden die Begriffe „Oktoberfest Bier“ im Vergleich zu „Oktoberfest Wasser“ im vergangenen Jahr 50-mal häufiger bei Google gesucht. Dem Thema verdanken regelmäßige Aufregerartikel ihre Existenz. „So viel kostet eine Maß“ – und dahinter mehrere Ausrufezeichen. Eine Maß, eine alte bayerische Messeinheit für Volumen, entspricht exakt 1,069 Litern. Eine Maß Festbier sollte also mindestens doppelt so teuer sein wie der typische Gaststätten-Halbe-Liter. Bis zu 70.000 Liter sollen an einem Spitzentag laut Medienberichten in einem einzigen Festzelt gezapft werden – für eine Maß braucht eine spezielle Zapfanlage nur etwa drei Sekunden. Zwischen 12,60 Euro und 14,90 Euro kostet eine Maß Bier in diesem Jahr auf der Wiesn.
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1972 sticht der Münchner Oberbürgermeister Georg Kronawitter auf dem Oktoberfest das erste Fass an – ohne ein Tropfen zu verschütten. Damals kostete eine Maß 2,50 DM bis 2,98 DM.
© Quelle: picture-alliance/ dpa
Bierpreise steigen überall – aber besonders auf dem Oktoberfest
Nun kann man sagen: Alles wird teurer, so auch das Bier auf dem Oktoberfest. Das mag stimmen – gerade in diesem Jahr sind die durch den Ukraine-Krieg verursachten hohen Getreidepreise auch in der Gastronomie zu spüren. Doch wenn man nun die Preisanstiege beim Festbier in München mit denen allgemein in der Gastronomie vergleicht, sind sie auf dem Oktoberfest deutlich extremer – gerade für das Jahr 2022.
Die Vereinigung der Wiesn-Wirte führt mehrere Gründe für diese Preissteigerung an. Inflation, Energiekosten sowie Personalkosten müssten durch die Getränkepreise abgedeckt werden. Diese Steigerungen müssen Gastronomen anderswo allerdings auch tragen. Immerhin enthält das Wiesnbier aber mehr Alkohol.
Wie sieht es eigentlich mit Wasser aus? Laut Gesetzgeber muss ein Gastronom Wasser immer günstiger als Bier anbieten – auch auf dem Oktoberfest ist das so. Im Bierzelt kostet der Liter Tafelwasser im Schnitt immerhin 10,04 Euro, 2022 waren es 9,67 Euro. Kontinuierliche Zahlen für die Entwicklung der Preise von Tafelwasser gibt es allerdings nicht. Allerdings gibt es in diesem Jahr – zum ersten Mal – auch die Möglichkeit, eine mitgebrachte Trinkflasche, die aber nicht aus Glas sein darf, an einem der vier Trinkwasserhähne kostenlos aufzufüllen.
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Der damalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) sticht beim traditionellen Bonner Auftakt zum Münchner Oktoberfest am 6. September 1994 in der bayerischen Landesvertretung in Bonn das erste Fass an. Es flossen ein paar Tropfen – und die Maß kostete 9 DM bis 9,80 DM.
© Quelle: picture alliance / Michael Jung
Brathendl und Trinkwasser
Ein Hendl, die typische Wiesn-Mahlzeit, kostet zwischen 14 und 15 Euro, ein Biohendl im Paulaner Festzelt sogar 20,10 Euro. 2022 kostete das halbe Hendl 11,70 Euro – auch hier gibt es nur sporadisch Zahlen für frühere Jahrgänge.
Aber ist das Oktoberfest nun ein Fest für das Volk, also für „alle“? Können es sich auch Menschen, die unterdurchschnittlich verdienen, leisten, auf das Oktoberfest zu gehen? Das lässt sich so einfach nicht sagen, schließlich fallen hier ganz verschiedene Faktoren rein. Muss jemand anreisen? Übernachten? Sich mit Essen versorgen? Wie lange im Voraus wurde geplant? Wie groß sind die Gruppen?
Grundsätzlich ist, wie bereits erwähnt, der Eintritt frei. In den Biergärten der Zelte darf man seine eigene Brotzeit mitbringen, aber eben keine Getränke. Der große Haken an der Sache: Auf der Festwiese darf man nur Handtaschen oder Rucksäcke mitnehmen, die kleiner als ein DIN-A4-Blatt sind. Genauer: 20 x 15 x zehn Zentimeter groß sind weniger als drei Liter Volumen fassen. Das reicht vielleicht für ein zerknülltes Brötchen, aber nicht für eine Mahlzeit.
Beim Oktoberfest sitzt das Geld locker
2019 brachte das Oktoberfest knapp 1,3 Milliarden Euro ein. Laut Veranstalter gab eine Person auf dem Oktoberfest in dem Jahr etwa 70 Euro aus. Dafür würde man in diesem Jahr zwei Maß Festbier, ein Wasser, ein Hendl und zwei Fahrten mit dem Riesenrad erhalten – ein solider Wiesn-Nachmittag. Für Menschen, die Bürgergeld beziehen, ist dies mit 5,80 Euro für Lebensmittel und Getränke pro Tag, gerechnet für Alleinstehende, weit außerhalb der Reichweite. Bei 5,80 Euro pro Tag ist noch nicht einmal ein Liter Tafelwasser im Bierzelt drin. Aber auch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt bei einem Einzelhaushalt, etwa 170 bis 220 Euro pro Monat für Lebensmittel einzuplanen. Drei Tage Wiesn – und dieses Geld ist weg. Oder anders: Man kann innerhalb von drei Tagen das gesamte Lebensmittelbudget auf der Wiesn ausgeben, ohne genug für den Tag zu sich genommen zu haben.
Dies gilt nur für diejenigen, die in München wohnen, keine Anreise und keine Übernachtungskosten haben. Laut dem Vergleichsportal Check24 kostet ein Hotelzimmer in München im Schnitt bereits 157 Euro. Während des letzten Oktoberfest-Wochenendes kostet hier aber eine Übernachtung im Schnitt bereits 377 Euro. Natürlich könnten diese bei einer frühen Buchung auch günstiger sein – aber selbst, wer jetzt bereits für nächstes Jahr nach Zimmern sucht, bekommt Preise ab 300 Euro angezeigt. Dazu kommt noch die Anreise, die ebenfalls je nach Strecke und Transportmittel unterschiedlich ist.
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Jede Party hat mal ein Ende – so auch hier beim Oktoberfest 1975.
© Quelle: picture-alliance/ dpa
Nimmt man nun aber eine Person, die unter Woche für zwei Tage von beispielsweise Frankfurt nach München reist, um zwei Tage auf dem Oktoberfest zu verbringen, kommt einiges zusammen. Etwa 140 Euro für ein Bahnticket (hin und zurück), eine Übernachtung für etwa 370 Euro, zwei Tage auf der Wiesn für ebenfalls 140 Euro. Zusammen sind dies 650 Euro. Im Durchschnitt hat ein Deutscher oder eine Deutsche 2023 monatlich etwa 2500 Euro netto, also nach Steuern, zur Verfügung. 650 Euro sind da, quasi im Kern der Mittelschicht, bereits ein Viertel des Monatsgehalts – exklusive Lebkuchenherz.
Ist das Oktoberfest in München also wirklich ein Volksfest?