Pekings ökologische Krise: Schlimmster Sandsturm seit zehn Jahren

Ein starker Sandsturm hüllt die chinesische Hauptstadt Peking in ein oranges Licht.

Ein starker Sandsturm hüllt die chinesische Hauptstadt Peking in ein oranges Licht.

Peking. Als Pekings Bewohner am Montagmorgen aus ihren Fenstern blickten, zeigte sich die chinesische Hauptstadt wie aus einem dystopischen Science-Fiction-Film: Der Himmel orange-bräunlich gefärbt, die Sicht durch dicke Smogschicht verdeckt, die Sonne nicht mal zu erahnen. Auf geradezu erschreckende Weise wurde in der 20-Millionen-Metropole zur Realität, was sich Regisseur Ridley Scott vor 40 Jahren für „Blade Runner“ noch ausgedacht hatte: Die Stadt als unwirtliches Moloch.

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Überbringer der apokalyptischen Botschaft war in diesem Falle jedoch ein Wetterphänomen, das die Pekinger praktisch jeden Frühling heimsucht: Sandstürme aus der mongolischen Wüste Gobi. Doch bereits seit zwei Wochen leidet Peking zusätzlich unter katastrophalen Feinstaubwerten, wie sie in den letzten Jahren immer seltener wurden.

Menschen fahren während des Sandsturms mit Rollern und Fahrrädern über eine Kreuzung in Peking.

Menschen fahren während des Sandsturms mit Rollern und Fahrrädern über eine Kreuzung in Peking.

Doch Frischluft ist für den Norden Chinas derzeit bloßer Wunschtraum: Laut dem Schweizer Technologie-Unternehmen „IQAir“, das weltweit Messstationen zur Luftqualität installiert hat, überstieg der Standort Peking am Montagmorgen den „gefährlichen“ Maximalwert von 2000. Zum Vergleich: Die Berliner Luft lag zum selben Zeitpunkt im „grünen Bereich“ bei einem Wert von unter 50.

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Was in empirischen Parametern bereits bedrohlich klingt, wirkt sich auch auf den konkreten Alltag aus: Die meisten Hauptstadtbewohner sind dem Rat der Lokalregierung gefolgt und zu Hause geblieben, wo ein Luftreiniger längst zum Inventar einer jeden Wohnung zählt. Wer unbedingt auf die Straße musste, tat dies vorwiegend mit Maske, Brille und Kopfbedeckung. Schulen wurden zudem angehalten, ihre Sportübungen im Freien zu pausieren. Und doch sind dies nur Unannehmlichkeiten verglichen mit der unmittelbar tödlichen Bedrohung, die der Sandsturm in der Mongolei ausgelöst hat: Über 340 Vermisstenanzeigen und ein fast vollständiges Erliegen des Flugverkehrs meldeten die Behörden dort.

In Chinas sozialen Medien bildete die dreckige Luft das mit Abstand dominierende Thema. Ein Nutzer sprach ironisch davon, dem „Ende der Welt“ entgegenzublicken. Ein anderer meinte: „Vom Übertakten des Luftreinigers geweckt zu werden, ist ein neues, verfluchtes Gefühl“.

Tatsächlich wird die Umweltverschmutzung zunehmend zum sozialen Sprengstoff für die Regierung, die auf nichts so sehr bedacht ist wie gesellschaftliche Stabilität. 2016 sind die Bewohner Chengdus auf die Straße gezogen, um ihren Unmut über die gefährliche Luftverschmutzung kundzutun. 2019 demonstrierten die Bürger Wuhans gegen den Bau einer Müllverbrennungsanlage.

Menschen fotografieren während des Sandsturms einen Wachturm des Palastmuseums in Peking, auch bekannt als die Verbotene Stadt.

Menschen fotografieren während des Sandsturms einen Wachturm des Palastmuseums in Peking, auch bekannt als die Verbotene Stadt.

Sichtweite auf 300 Meter beschränkt

„In Peking kann man beobachten, wie eine ökologische Krise aussieht“, schreibt Umweltexperte Li Shuo, der im Pekinger Büro für Greenpeace arbeitet, auf Twitter: „Es fällt schwer zu behaupten, dass wir uns vorwärts bewegen, wenn man nicht einmal sehen kann, was vor einem liegt“. Tatsächlich blieb die Sicht in Peking am Montag auf wenig mehr als 300 Meter beschränkt.

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Dabei hat die Regierung in der Tat bereits viel getan, damit sich die katastrophale Umweltsituation der letzten Dekade entspannt. Aufforstungsprojekte südlich der Wüste Gobi sorgten beispielsweise dafür, dass die Sandstürme deutlich abgemildert wurden, ehe sie Chinas Hauptstadt erreichten. Gleichzeitig haben Elektroautos die Abgase zumindest innerhalb des Stadtgebiets reduziert.

Im Vorjahr schließlich kündigte Staatschef Xi Jinping überraschend an, sein Land bis 2060 klimaneutral zu machen – ein Paukenschlag, produziert China doch ein gutes Viertel aller menschengemachten Treibhausgase. Jedoch zeigten sich viele Umweltexperten vom Nationalen Volkskongress Anfang März tief enttäuscht: In ihren Zukunftsplänen für das Land erwähnten die Parteikader nur wenig konkrete Schritte, wie man das ambitionierte Umweltziel auch erreichen kann. Von Obergrenzen für den Einsatz von Kohle war etwa keine Rede.

Dass schlechte Luft in Chinas Städten zum Alltag gehört, hängt auch mit der wirtschaftlichen Erholung zusammen, die die Volksrepublik trotz der weltweiten Corona-Krise erfährt. Im letzten Jahr wuchs das Bruttoinlandsprodukt um über zwei Prozent, 2021 sollen es über sechs Prozent werden. Vor allem wird die Expansion derzeit von der Industrieproduktion angetrieben, die seit letztem Frühsommer wieder auf Vorkrisenniveau läuft. Doch solange Peking sein Wachstum nicht auf umweltverträgliche Nachhaltigkeit umstellt, bezahlen die Bewohner des Landes den Fortschritt zunehmend mit ihrer eigenen Gesundheit.

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