Proteste in Kolumbien: Das tote Baby von Cali
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Während eines Antiregierungsprotests in Kolumbien versammeln sich Demonstrantinnen und Demonstranten um eine brennende Barrikade.
© Quelle: Fernando Vergara/AP/dpa
Cali. „Das Baby wäre sowieso gestorben“, sagt Maria Antonia Pardo und löste damit einen Sturm der Entrüstung aus. Pardo ist nicht irgendwer, sie ist eine der engsten Beraterinnen von Gustavo Petro, dem linksgerichteten Oppositionsführer in Kolumbien, dessen Umfragewerte in der aktuellen Krise in Kolumbien so hoch sind wie lange nicht mehr. Doch was war passiert?
Eine Ambulanz war inmitten der aktuellen Turbulenzen auf dem Weg von Buenaventura in Richtung Cali, einer Hochburg der Proteste, von einer der Straßenblockaden gestoppt worden. An Bord: ein Neugeborenes, das um sein Leben kämpfte. Und diesen Kampf verlor, weil die Demonstrantinnen und Demonstranten das Fahrzeug an einer der zahlreichen Straßenblockaden nicht passieren ließen, so sieht es zumindest ein Teil der Bevölkerung.
Video zeigt dramatische Situation
Ein Video, das aus dem Inneren des Krankenwagens stammen soll, zeigt die dramatische Situation. „Das Baby ist gerade gestorben, weil sie uns in La Delfina nicht haben passieren lassen. Wir haben versucht, es zu reanimieren, aber das Baby hat nicht mehr reagiert“, sagt die Stimme einer Frau in der Ambulanz. Die Streikposten hätten gesagt, man habe das Kind auf die andere Seite der Blockade bringen sollen, doch das wäre gar nicht möglich gewesen, weil das Kind künstlich beatmet wurde, schildert die Krankenhausbesetzung.
Polizei geht brutal gegen Demonstrierende vor
Der Fall wühlt die Menschen auf, weil er die Zwickmühle offenbart, in der das Land steckt. Welchen Preis soll die Bevölkerung bezahlen, um soziale Verbesserungen zu erreichen. Und der zumindest unglückliche, weil kaltherzige Kommentar von Pardo hat noch einmal zusätzlich Öl ins Feuer gegossen. Der Tod des Babys sei nicht Schuld der Demonstrantinnen und Demonstranten gewesen, ließ Pardo wissen. Das schwer kranke Kind hätte ohnehin nicht überlebt, was vermutlich nüchtern betrachtet sogar richtig ist, aber eben jede Empathie vermissen ließ, ohne die es in der Politik nun einmal nicht geht.
In Kolumbien toben seit Wochen heftige Proteste. Entzündet hatten sie sich an einer inzwischen zurückgenommenen Steuerreform des rechtsgerichteten Präsidenten Iván Duque. Doch die Proteste ebben nicht ab, auch weil die Polizei teilweise brutal gegen die Demonstrantinnen und Demonstranten vorgeht. Der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch liegen nach eigenen Angaben Hinweise auf mindestens 60 Tote in Zusammenhang mit den Protesten vor, darunter viele Zivilistinnen und Zivilisten, Passanten und Passantinnen, aber auch Mitglieder der Polizei.
Regierung verhandelt mit Streikkomitee
Umgekehrt mehren sich nun die Stimmen, die auch den Streikenden schwere Menschenrechtsverletzungen vorwerfen. So würden die vielen Hundert, vielleicht sogar Tausende Straßenblockaden die Wirtschaft des ohnehin von der Pandemie schwer getroffenen Landes weiter schädigen, die Bevölkerung von der Lebensmittelversorgung, dringend notwendigen Corona-Impfungen und der medizinischen Versorgung abschneiden.
Es gibt erste Statistiken, die auch diese Toten auflisten, darunter das kleine Baby von Cali. In Cali selbst gingen am Dienstag zahlreiche Menschen auf die Straße, um für ein Ende der Streiks und der Blockaden zu demonstrieren. Diese würden dem Land schweren Schaden zufügen und für Hunger und Not sorgen.
Die Lösung des Konfliktes liegt nun in der Hand der Regierung und des Streikkomitees. Sie verhandeln im Beisein der Vereinten Nationen und der Kirche über einen Ausweg aus der Krise. Gustavo Petro rief derweil für Freitag zur „größten Demonstration in der Geschichte des Landes“ auf.