„Rennen sind wie eine Sucht“

Hannover. Es war in Köln, am 15. April 2015: Mit 95 Stundenkilometern rasen zwei Autos durch die Innenstadt. Plötzlich schleudert einer der Wagen an die Straßenseite und prallt gegen eine 19-jährige Studentin, die mit ihrem Fahrrad unterwegs ist. Sie stirbt wenige Tage später im Krankenhaus. Die damals 21 und 22 Jahre alten Täter kommen mit einer Bewährungsstrafe davon. Jetzt wird der Fall vor dem Bundesgerichtshof noch einmal verhandelt: Die Staatsanwaltschaft fordert härtere Strafen gegen die beiden Fahrer. Die Raserszene habe über die laschen Strafen damals nur gelacht, sagt Nico Klassen aus Hamm in Nordrhein-Westfalen. Der 37-Jährige ist früher selbst illegale Autorennen gefahren, nun will er mit legalen Veranstaltungen einen Gegenpol setzen.

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Herr Klassen, Sie sind früher selbst illegale Straßenrennen gefahren. Warum macht man das?

Ich vergleiche das mit einer Sucht nach Adrenalin und Aufmerksamkeit. Früher konnte ich am Mittwoch schon an nichts anderes mehr denken, als Freitag und Sonnabend wieder einen fliegen zu lassen. Dann haben wir uns im Industriegebiet getroffen und die Rennen gingen los.

Wie organisieren sich denn Fahrer von illegalen Straßenrennen?

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Das organisiert sich von alleine. Du siehst, wenn du mit deinem Auto im Industriegebiet unterwegs bist, dass da Leute mit ihren Autos stehen. Und dann stellst du dich dazu. Meistens gibt es zwei Späher oder Petzen, die kontrollieren die Zufahrtsstraßen. Und sobald da irgendwas passiert, zum Beispiel ein VW Passat mit Stahlfelgen und einer langen Antenne angefahren kommt, werden keine Rennen mehr gefahren. Dann bleibt der Zivilstreife keine andere Wahl, als maximal einen Platzverweis zu erteilen. Es wird ja niemand bei einem Rennen erwischt. In der Stadt ist das nicht so. Da hast du ja keine verabredeten Rennen.

Reizt es besonders, dass im Straßenverkehr gefahren wird?

Früher war uns das egal, ob das nun auf der Straße war oder auf einem abgesperrten Gelände. Wir haben uns vermeintlich sichere Orte gesucht, wo am Wochenende nichts los war. Mittlerweile verlagert es sich ja auch in die Stadt, weil die Respektlosigkeit gegenüber der Polizei extrem zunimmt. Wir hätten das niemals gemacht, weil wir dachten, dass uns da jemand erwischt. Und wir haben geglaubt, im Industriegebiet juckt es keinen. Das ist aber Schwachsinn. Da muss nur ein Lkw-Fahrer auf die Straße springen, den siehst du ja nicht so schnell.

Und dann kam es zu diesem Unfall …

Wir standen an einer geraden Straße im Industriegebiet und vorne war so ein Parkplatz, an dem man sich immer getroffen hat. Dann ist ein Bekannter aus meiner Berufsschulkasse mit seinem Motorrad gegen ein Auto gefahren. Ich hab das gar nicht gesehen sondern nur gehört und mich gefragt, warum er denn die Gänge so hoch zieht. Dabei war er schon längst gestürzt, hatte den Gasgriff aufgerissen und der Motor hat aufgeheult. Es hat sich angehört, als wenn ein Schneeball gegen ein Verkehrsschild knallt. Dann war auf einmal Totenstille. Er war mit der Kinnpartie des Helms gegen die Stande des Verkehrsschilds geknallt ist. Dabei ist sein Kopf nach hinten umgeknickt. Auf dem Bürgersteig war viel Blut.

Was hat das bei Ihnen ausgelöst?

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Das war so ein Erlebnis, da hab ich gedacht, was machst du denn hier für eine Scheiße? Warum bin ich nicht einfach zu McDonalds gefahren, trinke meine Cola und stelle mich da auf den Parkplatz?

Nun versuchen Sie die Straßenrennen in legale Bahnen zu lenken.

Ich habe mich gefragt: Wenn sich bei mir im kleinen Hamm schon hundert Leute versammeln, wie muss das dann erst in Dortmund, Bochum oder Berlin sein? Man kann die Leute nur von der Straße kriegen, wenn man ihnen etwas anbietet. Ich vergleiche das mal mit einem Heroinabhängigen. Der will sich ja auch nicht im Bahnhof die Spritze drücken. Er tut das aber, weil er süchtig ist. Wenn du ihm einen Raum gibst, wo er das unter sicheren Umständen machen kann, dann wird er das tun. Und jetzt kommen die Leute zu meinen Rennen, weil sie sich da gut messen können.

Zu illegalen Rennen kann es ja auch spontan kommen.

Richtig, das passiert. Aber das wird man nie verhindern können. Das macht aber den geringsten Teil aus.

Werden Fahrer, die das Illegale suchen, nicht weitermachen wie bisher?

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Wenn die Hälfte der Fahrer ein legales Angebot nutzt, kriegt die illegal fahrende Hälfte von denen keine Anerkennung mehr. Und dann wird das auch für die uninteressant. Dann gehe die auf die öffentlichen Veranstaltungen, wo Hunderte Zuschauer sind. Dort haben sie das Gefühl: Hier bin ich, hier ist mein Auto und die Leute interessiert das, was ich tue.

Werden viele Raser auf frischer Tat ertappt?

Mehr als 95 Prozent aller Rennen bleiben unentdeckt. Im letzten Jahr wurden glaube ich etwa 280 Rennen verhindert. So viele gibt es in vielen Städten alleine an einem Freitagabend. Wenn du 90 oder 100 Leute hast, die sich da treffen und jeder fährt zwei Rennen, kannst du dir das ja ausrechnen. Das ist ein Tag im Jahr in einer Stadt.

Ist die Szene denn so groß?

Ja, und sie wird mittlerweile wieder größer. Mitte der Neunzigerjahre war es mal extrem. Dann stagnierte die Zahl der illegalen Straßenrennen von 2005 bis 2008. Aber jetzt kommt es wieder groß aus.

Warum?

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Du hast zum Beispiel heute weniger Probleme, die ein schnelles Auto zu besorgen, zum Beispiel durch Leasing. Wenn man vor zehn Jahren zu Mercedes gegangen wärst und gesagt hättest, ich hätte jetzt gerne diesen schicken AMG, dann wurdest du fünfmal durchleuchtet, ob deine Bonität passt. Heute kriegst du so ein Auto für 200 bis 300 Euro im Monat. Die Händler wollen verkaufen, ist ja klar.

Hängt es auch damit zusammen, dass Filme und Computerspiele den illegalen Rennkult hochhalten?

Belege gibt es dafür nicht. Aus meinem Sicht würde ich aber sagen, ja. Sicherlich sind die Filme in der Szene ein Thema, Computerspiele aber eher nicht so.

Sind die Strafen für illegale Straßenrennen denn zu gering?

Ich bin für höhere Strafen, ja. Ich finde das auch nicht richtig, was passiert. Aber es wird sich dadurch nichts ändern. Als Fahrer meinst du, dich erwischt keiner, auch weil weniger Streifenwagen auf der Straße unterwegs sind. Personell ist die Polizei in den späten Abendstunden reduziert. Das merken die Fahrer auch.

Interview: Nils Oehlschläger

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Von Nils Oehlschläger/RND

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