Schneestadt Bielefeld: Chaos auf der A 2, Leere im Supermarkt
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Bielefeld ist im Schnee versunken.
© Quelle: Getty Images
Bielefeld. „Der Himmel ist blau. Den ganzen Tag schon“, sagt Dirk Detering, Inhaber des Comfort Hotels Garni in der Bielefelder Bahnhofstraße im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Und es wird sich in den nächsten Tagen noch mehr entspannen“, ist er sich sicher. „Man muss den Einsatzkräften Zeit geben. Und jeder muss auch selbst ein wenig mit anpacken“, appelliert er an die Eigeninitiative der Bielefelder. Am Tag zuvor waren 450 Kräfte und 50 Streufahrzeuge im Einsatz gewesen und waren der extremen Winterwetterlage kaum Herr geworden. Jetzt sind die Hauptstraßen geräumt, „in den Nebenstraßen ist aber noch vieles zugeschüttet“, weiß Detering. Problem für die Räumfahrzeuge. Vielerorts behindern Schneeberge und in den Straßen geparkte Autos ihr Vorwärtskommen.
Von Menschen in Bielefeld, die ihre Wohnungen nicht mehr verlassen konnten, war in einigen Medien die Rede. Dirk Trümper, Pressesprecher der Polizei Bielefeld, kann auf Anfrage des RND diesbezügliche Hilfeleistungen den Polizeiprotokollen nicht entnehmen. Auch Margit Schulte-Döinghaus, Pressesprecherin der Stadt Bielefeld und Hotelchef Detering haben davon nichts gehört. „Kann aber schon passieren“, meint Detering, „wenn man plötzlich eine anderthalb Meter hohe Schneeverwehung vor der Haustür hat, weil man nicht rechtzeitig angefangen hat zu schippen.“ Dass die Schneelast über Nacht gewachsen sei, weiß auch Trümper: „Die Temperaturen haben angezogen, der Schnee ist durchgefroren und schwerer geworden.“
Vom Wintermärchen zum Schnee-und-Eis-Albtraum
Am Anfang hatte die „Neue Westfälische Zeitung“ noch mit Staunen über „Bielefeld, das Wintermärchen“ berichtet. Und veröffentlichte die „besten Fotos“ der weißen Pracht. Aber während des zwei Tage anhaltenden Schneefalls wurde das Zentrum der Region Ostwestfalen-Lippe zu einem der Zentren des heftigsten Wintereinbruchs im nördlichen und mittleren Deutschland seit Jahren, die A 2 bei Bielefeld sogar zu einem Winteralbtraum. Die Autobahn verwandelte sich in eine spiegelglatte Fahrbahn, auf der sich Lkw und Pkw drehten, sich der Verkehr in beiden Richtungen über etwa 20 bis 30 Kilometer staute und Polizei, Hilfsorganisationen und Technisches Hilfswerk Nacht und Tag gefordert waren.
Ein zeitlich limitiertes Fahrverbot für Lkw über 7,5 Tonnen sei wegen des Schneefalls durch die Autobahn GmbH für die ostwestfälischen Autobahnen ausgesprochen gewesen, berichtet Trümper. Daran hätten sich aber einige Fahrer nicht gehalten – ob aus Unkenntnis oder Ignoranz ließe sich nicht sagen – was zu dem abendlich-nächtlichen Chaos auf der A 2 geführt habe. „Viele mussten im Auto übernachten. Es ging nicht vor und nicht zurück, die wurden eingeschneit. Und das war heftig.“ Technisches Hilfswerk, Feuerwehr und Hilfsorganisationen hätten aber Getränke und Decken vorbeigebracht.
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Ein Mann steigt im Stau auf der B 66, einer Zufahrt zur Autobahn 2, nahe der Auffahrt Dortmund/Paderborn in einen Lkw.
© Quelle: Friso Gentsch/dpa
Priorität: Keine zweite Übernachtung auf der A2
Den Dienstag über sei die Polizei nun damit beschäftigt gewesen, diesen Knoten zu lösen, so Trümper, den Verkehr abzuleiten, um den Fahrzeugen vorläufig den Bielefelder Berg zu ersparen beziehungsweise den Festsitzenden eine zweite Übernachtung im Auto. Gerade jetzt, so Trümper am frühen Dienstagnachmittag, seien die Fahrzeuge wieder in Bewegung gekommen.
Problem: Bei den niedergehenden Schneemassen sei auch die Sprühanlage am Bielefelder Berg überfordert und ausgefallen gewesen. Schon am Sonntagmorgen musste die Autobahn deswegen eine Zeit lang gesperrt werden. Trümper hofft, dass im Verlauf des Dienstags auch dort wieder alles funktionstüchtig sei, und auch der Berg „heute noch“ freigegeben werden könne. „Das ist aber noch in der Mache.“
60 Zentimeter Schnee auf den Gehwegen
Ein Toter sei am Montagmorgen in Bielefeld an der Artur-Ladebeck-Straße gefunden worden, bestätigt Trümper. Ein Kältetod sei nicht auszuschließen, könne aber auch noch nicht bestätigt werden. Im Stadtgebiet Bielefelds habe sich der Schnee auf den Gehwegen „bis zu 60 Zentimeter und mehr aufgetürmt. Das war sehr, sehr viel in sehr kurzer Zeit.“ Ein Appell der Polizei an die Bürger, die Fahrzeuge stehen zu lassen, habe aber gefruchtet. Trümper lobt das „besonnene Verhalten“ seiner Mitbürger. Verkehrsaufkommen und Polizeieinsätze seien gemäß der Wetterlage „eher gering“ gewesen: 60 Verkehrsunfällen mit Sachschaden – ein Leichtverletzter.
Lea Böhm, Medizinstudentin im 10. Semester an der Medizinischen Hochschule in Hannover, hatte eigentlich nur das Wochenende bei ihren Eltern im Bielefelder Stadtteil Quelle verbringen wollen. Jetzt bleibt die 23-Jährige noch, bis sich die Lage auf der Autobahn völlig entspannt hat. Von der Schlafbereitschaft in einer Einrichtung für psychisch Kranke im Stadtteil Bethel musste sie am Sonntagmorgen zu Fuß zurückkehren – mit dem Auto ging nichts mehr. Das 90-minütige Stapfen durch den tiefen Schnee habe sie aber gut hinter sich gebracht.
Auch sonst waren ihre Eindrücke während des Dauerschnees vorwiegend positiv: „Man hat gesehen, wie die Kinder sich freuen, wie sie alle fröhlich mit ihren Schlitten losziehen.“ Der Dienstagvormittag habe dann noch ein besonderes Gemeinschaftserlebnis gebracht: „Die Nachbarn haben zusammen geholfen, gemeinsam haben wir unsere Straße freigeschippt.“ Was ganz im Sinne von Dirk Detering sein dürfte.
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Bielefelder Stadbahnen und Busse fahren nicht
Stadtbahnen bleiben bis Sonntag im Depot, Busse in jedem Fall auch noch am Dienstag. Die Kitas und Schulen, die in Corona-Zeiten Betreuung anbieten, bleiben am Dienstag laut Stadtsprecherin Schulte-Döinghaus noch geschlossen – wegen noch nicht geräumter Zuwege. Über eine Öffnung werde kurzfristig entschieden. Am Mittwochmorgen ab vier Uhr soll wieder die erste Bielefelder Hauptachse mit Bussen befahren werden – ein weiterer Schritt zurück zur Normalität. Bergstraßen bleiben gesperrt. Der Müll wird bis Mittwoch nicht abgeholt.
Außer Zugreisenden aus stillgelegten Zügen nach Köln oder Hannover, die von der Bahn in der vorigen Nacht in sein Hotel gebracht wurden, ist Hotelinhaber Detering nur eine – aber doch markante – Veränderung durch das Schneechaos aufgefallen. „Heute morgen, als ich im Supermarkt einkaufen wollte“, lacht Detering. „da waren die Regale wirklich leer – und diesmal nicht wegen Corona. Da waren wohl die Lkw nicht angekommen.“
RND