Sicherheitsexperte für Museen: „Man muss die Zugriffszeit der Täter maximieren“
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Es war ein brachialer Überfall: Zwei Mitarbeiter der Spurensicherung stehen vor dem Residenzschloss mit dem Grünen Gewölbe hinter einem Absperrband.
© Quelle: Sebastian Kahnert/zb/dpa
Es war ein spektakulärer Überfall, schnell, brachial, die Millionenbeute ist bis heute verschwunden. Am heutigen Freitag (28. Januar) beginnt der Prozess gegen sechs junge Männer des Berliner R.-Clans, die im Verdacht stehen, im November 2019 das Dresdner Grüne Gewölbe überfallen zu haben. Gegen nach dem Coup aufgekommene Vorwürfe, sich nicht genügend gegen Einbrüche zu schützen, nimmt Sicherheitsexperte Remigiusz Plath die Museen in Schutz: „Die Häuser sind sich schon bewusst, dass sie eine kulturhistorische Verantwortung haben.“
Herr Plath, nach den Einbrüchen im Bode-Museum und in Dresden ging plötzlich die Diskussion um mehr Sicherheit in den Museen los. Hat man sich zuvor nicht so um das Thema gekümmert?
Doch. Das Thema Sicherheit war immer präsent in Museen. Diese neue Art von brachialen, gewalttätigen Überfällen hatte einfach eine andere Medienpräsenz als der klassische Einbruch. Da waren keine Diebe unterwegs, um ein Kunstwerk heil aus einem Museum zu stehlen, es war kein Auftrag für einen Sammler, kein Gegenstand für eine Erpressung wie früher – sondern es ging um reine Rohstoffbeschaffung, und diese Rohstoffe dann zu veräußern. Weil das Vorgehen neu war, entstand der Eindruck, es würde nicht genug für die Sicherheit getan, aber das stimmt nicht. Der neue Modus Operandi der Verbrecher hat aber natürlich die Entscheider sensibilisiert.
War man bezüglich der Sicherheit vor diesen rabiaten Vorgängen mehr auf Schäden durch Feuer oder Wasser konzentriert als durch Menschen?
Natürlich beinhalten Sicherheitskonzepte auch Naturkatastrophen. Aber das Szenario Einbruch ist immer auch Teil der Konzepte. Diese Art von gewalttätigen Einbrüchen sind allerdings eine Entwicklung der letzten Jahre und einzelnen Akteuren mit bestimmen Motiven zuzurechnen, die Sicherheitskonzepte müssen diesem Modus Operandi sicherlich auch Rechnung tragen.
Die damalige Staatsministerin für Kultur und Medien, Monika Grütters, verkündete im Vorjahr ein Sonderprogramm zur „Stärkung der Sicherheit in nationalen Kultureinrichtungen“, einen Topf von 5 Millionen Euro. Man stellt sich vor, dass Sicherheit sehr teuer ist. Reicht das für 433 staatliche Museen.
Das einzuschätzen, fällt mir schwer. Natürlich wird der Betrag nicht ausreichen, die deutsche Museenlandschaft diesbezüglich komplett zu modernisieren. Das Programm ist aber sicherlich ein wichtiger Impuls, um die Sicherheitsdiskussion in den Häusern zu vertiefen und weiter zu denken.
Bezüglich der beiden Überfälle waren auch Mutmaßungen zu hören, dass sich staatliche Häuser vielleicht zu sehr auf Staatshaftung verlassen und daher nicht genug sichern. Versicherungen – wie sie bei Häusern mit anderer Trägerschaft üblich sind – würden auf höhere Sicherheitsstandards pochen.
Staatliche Museen stellen ja auch Kunstwerke aus, die von Leihgebern sind, und die sind ganz normal versichert. Ich glaube nicht, dass da ein Ausruhen stattfindet. Die Häuser sind sich schon bewusst, dass sie eine kulturhistorische Verantwortung haben. Und wenn diese Kunstwerke noch staatliche Geschichte beinhalten – wie es in Dresden war – ist dieses Bewusstsein eher noch höher.
Gibt es nach Dresden eine Dringlichkeitsliste, was bei Museen besser gesichert werden muss?
Das ist wie nach einem Flugzeugunglück. Da analysiert man, was der Fehler bei diesem einen Flugzeug war und dann wird die komplette Flotte überprüft und verbessert. Bei Museen gibt es drei sicherheitsrelevante Faktoren: Außenhautsicherung, Innensicherung und Personal. Die Außenhautsicherung ist das wichtigste bei diesem Täterprofil – deren Ziel ja auch Luxusjuweliere oder das KaDeWe waren. Eine Top-Ten-Liste dringend stärker zu sichernder Museen wurde nicht gemacht – das wäre ja auch wie eine Angriffsliste für Nachahmer.
Würde mehr Geld für neueste Sicherheitstechnik alle Probleme lösen?
Nicht nur, zentral ist zudem, die bestehende Technik zu überprüfen, ob sie noch in dem Zustand ist, in dem sie sein sollte. Ich brauche nicht unbedingt die nächste Generation von Kamera, sondern die, die ich habe, muss funktionieren. Man muss regelmäßig testen.
Wie oft werden Sicherheitskonzepte überprüft?
In der Regel jährlich. Das wird dann gemeinsam mit der Polizei gemacht. Hier in Brandenburg und Berlin gibt es Abteilungen der Polizei, die auf Kunstraub spezialisiert sind. Man holt sich den Input der Behörden. Beim LKA kann man an zudem an Übungen teilnehmen.
Wie sehen solche Übungen aus?
Es wird ein Kunstraub simuliert. Dies kann mit unterschiedlichen Methoden passieren und hat das Ziel eine realistische Situation zu erzeugen um alle Aspekte der Sicherung zu testen. Details zu Inhalten der Übungen darf ich Ihnen hier nicht verraten.
Geht es dabei auch darum, zu sehen, wie schnell die Polizei vor Ort ist?
Das kann durchaus Teil der Übung sein. Die Anfahrtszeit kennt man allerdings auch von Fehlalarmen her. Und in der Regel wird sie einem von Polizei und Feuerwehr von Anfang an mitgeteilt.
Hängt die Qualität von Sicherungen – beispielsweise von Vitrinen wie im Grünen Gewölbe – mit diesem Anfahrtsweg zusammen? Wenn die Polizei zehn Minuten braucht, muss das Panzerglas so dick sein, dass es der Extrembearbeitung durch die Einbrecher mit Vorschlaghämmern mindestens 15 Minuten standhält?
Genau. Man muss die Zugriffszeit der Täter maximieren. Wobei die Vitrine aber nur ein Teil der dafür nötigen Maßnahmen ist. Diese Zeit beginnt mit Außenhautsicherung durch Kameras, über die bemerkt wird, dass sich jemand an Fenster oder Tür zu schaffen macht. Ab da kann der Alarm losgehen. Die Innensicherung besteht aus Sensoren, die anschlagen, wenn jemand eingedrungen ist. Dann kommt der Schutz des Kunstwerks, der überwunden werden muss. Und dann ist da noch der Weg der Räuber, den sie zurücklegen müssen, um wieder aus dem Haus zu kommen. Das ist die Reaktionszeit, die die Einsatzkräfte haben.
Das ging in Dresden aber superschnell. Die Fachwelt wunderte sich damals, wie schnell die Vitrine zerschlagen war. Die Polizei war rasch da, aber die Räuber schon über alle Berge.
Museen haben einen Zielkonflikt zwischen Ausstellen und Bewahren. Sie müssen das Museum so offen wie möglich aber so sicher wie notwendig halten. Bei Vitrinen gilt es viel zu beachten: Kann ich die Gegenstände noch richtig sehen, kann ich das Ding noch bewegen, ist die Vitrine zu schwer für den Raum, passt sie ins Konzept? Wichtig ist, dass die Kuratorinnen und Kuratoren, Ausstellungsplaner und -architekten gemeinsam mit den Sicherheitsverantwortlichen ein schlüssiges Konzept für die Werke und Objekte der ständigen Sammlungen wie auch der Leihgaben der Wechselausstellung erarbeiten, dass Sicherheitsaspekte wie auch die Präsentation berücksichtigt und dass immer wieder überprüft wird.
In Dresden wurde vor dem Überfall ein schönes altes Fenstergitter präpariert. Ist manchmal auch die alte Architektur selbst das größte Sicherheitsrisiko?
Das ist ein großes Problem vieler öffentlicher Häuser – es sind fantastisch schöne aber denkmalgeschützte Gebäude. An so einem alten Gebäude kann man nicht einfach undurchflexbare, moderne Gitter anbringen , sondern es muss das verschnörkelte zum Ensemble passende, nicht so sichere Gitter aus vergangenen Zeiten sein.
Was ist seit den Einbrüchen von Berlin und Dresden an neuen Sicherheitstechniken auf den Markt gekommen?
Neu bedeutet hier meist nicht, dass es etwas völlig Neues gibt, sondern eine größere Zuverlässigkeit erreicht wird. Einbrüche geschehen permanent auf der ganzen Welt und die Entwickler und Museen arbeiten ständig an Verbesserungen. Es ist wie bei einem Smartphone. Das neue Modell ist kein komplett neues Produkt, aber die Software ist besser, der Reifegrad ist höher. So gibt es immer bessere Nachtsichtkameras, immer bessere Sensorik. Aber manchmal doch auch ganz Neues.
Zum Beispiel?
GPS-Tracking bei Kunstwerken – kleine Chips, die relativ unscheinbar an einem Kunstwerk angebracht werden und über die man feststellen kann, wo sich das Diebesgut gerade befindet.
Diese Technik kennen die Kunsträuber aber auch bald. Und so ein Chip ist ja auch nicht so winzig, dass man ihn nicht finden könnte. Dann entdecke ich den und werfe ihn weg.
Die Frage ist nur, wann Sie das machen. In der Zeit, in der die Einbrecher auf der Flucht sind, haben sie wenig Zeit, den Rahmen aufzumachen und zu schauen, was hinter der Leinwand steckt. Und wenn eine Stunde lang zu sehen ist, wo sich das gestohlene Bild befindet, ist das schon sehr hilfreich für eine Fahndung. Auch in Sachen Gesichtserkennung tut sich viel.
Wobei die Täter meist maskiert sind.
Trotz Masken konnte man aber die Räuber im Fall des Einbruchs im Berliner Bode-Museum anhand ihres Gangs identifizieren. Die Polizei nutzte Überwachungsaufnahmen der S-Bahn, zudem wurde ein 3D-Modell von den Personen erzeugt. Ein Mensch kann seinen Gang nicht dauerhaft und glaubhaft verfälschen.
Welche Rolle spielen die Securitykräfte im Sicherheitskonzept?
Eine sehr wichtige. Der dritte Block neben Außenhaut- und Innensicherung sind Menschen und Prozesse. Wenn es zu einem Zwischenfall kommt, hat jeder in dieser Gruppe seine Aufgabe. Überfallknopf drücken, Polizei informieren, verhindern, dass Besucher verletzt werden, Notausgänge öffnen. Keiner muss sich allerdings einem Eindringling, der eine Axt hat, entgegenstellen. Problem ist: Auch in diesem Bereich ist es nicht zuletzt wegen der Verortung im Niedriglohnsektor schwierig, geeignetes Personal dauerhaft zu finden. Umso wichtiger ist es, regelmäßige Prozesse zur Hintergrundprüfung von eingesetzten Kräften einzuführen. Durch genaue Hintergrundchecks ähnlich wie bei Sicherheitsüberprüfungen kann das Risiko von „Insider-Jobs“ zumindest reduziert werden.
Remigiusz Plath betreut als Senior Manager IT Infrastructure & Security unter dem Dach der Hasso Plattner Foundation die Museen Barberini sowie das DASMINSK in Potsdam rund um alle Themen der Informationssicherheit. Er ist Sprecher des AK Gebäudemanagement & Sicherheit des Deutschen Museumsbundes für den Bereich Security sowie Mitglied des ICOM (Internationaler Museumsrat) und des ICMS (International Committee for Museum Security).