Tödlicher Bootsunfall auf dem Lago Maggiore: Warum waren 21 Geheimdienstler an Bord?
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Einsatzkräfte der Feuerwehr holen das gesunkene Boot auf dem Lago Maggiore mit Ballons an die Oberfläche.
© Quelle: -/Vigili del Fuoco/dpa
Sesto Calende. Einige Tage nach dem Bootsunglück auf dem Lago Maggiore flammen in Italien Gerüchte über den Zweck des Treffens auf. Vier Menschen waren bei dem Unfall am Sonntag auf dem See ums Leben gekommen. Bei den Toten handelt es sich um einen ehemaligen Mitarbeiter des israelischen Geheimdienstes Mossad und einen Agenten und eine Agentin des italienischen Auslandsgeheimdienstes AISE; zudem starb die russische Ehefrau des Kapitäns und Besitzers des Hausbootes.
Insgesamt waren 23 Männer und Frauen an Bord, als das Boot in einem plötzlichen Sturm sank, das nur für 15 Personen zugelassen war. 19 Menschen konnten gerettet werden oder schwammen selbst ans Ufer. Darunter der Kapitän sowie weitere Agenten des italienischen Auslandsgeheimdienstes und 13 vom israelischen Mossad.
Italienische Tageszeitung: „Endlose Verflechtung von Menschen, Interessen, Euro und Dollar“
Staatsanwalt Carlo Nocerino sagte der „Bild“-Zeitung, er gehe davon aus, „dass sie sich einfach auf einer Geburtstagsfeier getroffen haben“. In italienischen Medien hingegen kursieren andere Theorien. Die große italienische Tageszeitung „Corriere della Sera“ etwa bringt das Unglück in Verbindung mit reichen Russen, die am Lago Maggiore derzeit offenbar auffällige Investitionen in Hotel- und andere Immobilienanlagen tätigen, mit dem nahen Finanzplatz Tessin, wo sich das Exportverbot für russisches Kapital vermeintlich umgehen lässt, und mit orthodoxen Juden, die in ihren Villen in der Region wichtige amerikanische Politiker einladen. „Eine endlose Verflechtung von Menschen, Interessen, Euro und Dollar“, schrieb der „Corriere della Sera“.
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Ein Hubschrauber fliegt bei der Suche nach Vermissten über den Lago Maggiore, nachdem dort ein Boot in einem Sturm gekentert ist.
© Quelle: Uncredited/Vigili del Fuoco/AP/d
Vertuschungsaktion? Israelische Agenten schleunigst ausgeflogen
Nach dem Unfall reisten alle Überlebenden schnell aus der Provinz Varese ab, wie Medien übereinstimmend berichteten. Die Israelis wurden laut der Nachrichtenagentur Ansa mit einem Privatjet außer Landes gebracht, der normalerweise für sensible und offizielle Flüge benutzt wird. Auch die Leiche des israelischen Ex-Mossad-Agenten sei für die Beisetzung nach Israel gebracht worden, teilte der Geheimdienst mit. Israels Auslandsgeheimdienst habe „einen lieben Freund verloren, einen engagierten und professionellen Mitarbeiter, der sein Leben jahrzehntelang, auch nach seiner Pensionierung, der Sicherheit des Staates Israel gewidmet hat“, hieß es. Sein Alter oder Einzelheiten zu seinem beruflichen Hintergrund wurden nicht genannt.
Die Rückreise sei äußerst schnell vonstattengegangen, berichtete der „Corriere“. Es seien Vertuschungsaktionen gestartet, Hotelzimmer geräumt, Mietwagen zurückgelassen, sowie Gepäck weggeschafft worden. Die Beerdigung des gestorbenen Ex-Mossad-Agenten sei bereits am Mittwoch erfolgt.
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Italienische Polizisten sperren die Zufahrt zum Lago Maggiore nahe der Unglückstelle ab.
© Quelle: picture alliance / ANSA | MATTEO BAZZI
Bericht: Italienische und israelische Geheimdienste gut vernetzt
Was von den Gerüchten stimmt und ob es tatsächlich Verbindungen zwischen illegalen Geschäften und dem Zusammentreffen gibt, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen. Die Staatsanwaltschaft der Stadt Busto Arsizio nahe Mailand ermittelt. „Corriere della Sera“ schrieb, dass italienische und israelische Geheimdienste eine enge Beziehung zueinander hätten, zuletzt vor allem bei der Bekämpfung des iranischen Nuklearprogramms. Die Agenten könnten Teil einer Geheimdienstoperation gewesen sein.
In italienischen Medien kursiert zudem das Gerücht, dass es sich bei dem Unglück in Wirklichkeit um ein Attentat handele. Der „Spiegel“ berichtete allerdings, dass sich die Ermittlungen auf einen durch das heftige Wetter provozierten Bootsunfall konzentrierten und nicht von einem geplanten Attentat ausgingen. Dem Kapitän werde demnach „fahrlässiger Totschlag“ vorgeworfen, da er trotz der Unwetterwarnungen ablegte.
Boot war etwa 150 Meter vom Ufer entfernt
Das Unglück passierte am Sonntagabend gegen 19 Uhr. „Eigentlich war es gestern ein wunderschöner Tag“, erzählte ein Anwohner vor Reportern. „Aber wir haben gesehen, dass von Mailand her ein großes Gewitter aufzog.“ Der Lago Maggiore liegt nordwestlich der Metropole zwischen der Lombardei und dem Piemont und grenzt im Norden an die Schweiz.
Das Boot war kurz vor dem Unfall etwa 150 Meter vom Ufer entfernt. Heftige Winde und starke, lokale Niederschläge führten dann den bisherigen Erkenntnissen zufolge dazu, dass das Boot kenterte. Im Einsatz waren zwei Hubschrauber, Helfer von Küstenwache und Feuerwehr sowie Taucher.
Geheimdienstler als unauffällige Touristengruppe beschrieben
Die russische Frau, die ums Leben kam, und der Kapitän lebten gemeinsam auf dem Hausboot namens „Goduria“ und stellten dieses für Feiern zur Verfügung. Wie es hieß, sind derartige Ausflüge auf dem Lago Maggiore sehr beliebt. Die Frau habe laut gebetet, als das Unwetter begann. „Sie konnte nicht schwimmen“, sagte der Ehemann und Kapitän des Bootes laut italienischen Medien gegenüber den Ermittlern.
Die Geheimdienstler wurden als unauffällige Touristengruppe im Freizeitlook beschrieben, wie der „Spiegel“ berichtete. Demnach trugen sie Sneaker, Jeans, Polohemden und T-Shirts. Zu Mittag aßen die Männer und Frauen im Zwei-Sterne-Restaurant „Il Verbano“ von Marco Sacco, schrieb der „Spiegel“ weiter. Das Inselrestaurant beschreibe der Koch als „intim“ und „exklusiv“, als „Ort, an dem die Zeit stillzustehen scheint“.
Bürgermeister: „Es gab die ganze Woche schon Wetterwarnungen“
Bereits gegen 17 Uhr wurde die Provinz Varese vom schlechten Wetter heimgesucht – auf dem nahe gelegenen Flughafen Mailand-Malpensa kam es deswegen zu Verspätungen. „Corriere della Sera“ zitierte aus Befragungen von geretteten Passagiere, wonach das Boot plötzlich umkippte und kenterte.
„Es gab die ganze Woche schon Wetterwarnungen“, sagte Giovanni Buzzi, der Bürgermeister von Sesto Calende. Von schweren Wirbelstürmen sei man jedoch nicht ausgegangen, ergänzte er. „Aber derartige Unwetterereignisse werden immer extremer.“
Mit Agenturmaterial.