Trojan Shield: Deutsche Behörden hatten nur einen Monat Zeit für Ermittlungen
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Auch in Australien wurden Verdächtige bei der weltweiten Operation Trojan Shield festgenommen.
© Quelle: imago images/ZUMA Wire
Hannover. Unscheinbare Wohnungen, große Lagerhallen und Einfamilienhäuser: Weltweit waren am Montag tausende Beamte im Einsatz, um zeitgleich 800 Verdächtige aus der organisierten Kriminalität zu verhaften. Und das alles wegen einer App: An0m heißt sie. Ermittler des FBI konnten sie 2018 für ihre Zwecke einspannen. Sie mischten durch verdeckte Beamte Kryptohandys, die nichts anderes konnten als über diesen Nachrichtendienst zu kommunizieren, unter die Kriminellen. Sie galten dadurch als besonders sicher.
Doch das FBI hatte durch einen Informanten die verschlüsselte Nachrichtenapp so manipuliert, dass sie direkt mitlesen konnten. Und damit lockten sie die Kriminellen, die sich sicher fühlten und ganz unverschleiert über kriminelle Aktivitäten sprachen, in die Falle.
9500 manipulierte Kryptohandys waren weltweit im Umlauf
Das Projekt tauften die Amerikaner Operation Trojan Shield. 18 Monate lang lasen die Beamten mit – dann griffen sie weltweit zu. So auch in Deutschland. Immer wieder betonen beteiligte Beamte die herausragende internationale Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden – laut BKA war dies die größte Kooperation in den vergangenen Jahren.
Wie die genau aussah, erklärt Benjamin Krause von der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT). 27 Millionen Chats lagen dem FBI vor, laut Dokumenten von US-Justizbehörden, die dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) vorliegen, waren weltweit 9500 An0m-Geräte im Einsatz. Auch zeigt sich in Chatprotokollen, wie offen über geplante Verbrechen gesprochen wurde. Fotos von Kokainpaketen wurden verschickt, Preise verhandelt und Übergaben geplant. Doch wie sahen die Ermittlungen in Deutschland aus?
Nur einen Monat Zeit für Ermittlungen
„Wir waren die Profiteure der Ermittlungen aus den USA“, sagt Krause gegenüber dem RND. Die Ermittlungen durch die Hilfe von An0m seien vor allem in den USA abgelaufen – in Deutschland hätten die Behörden dann die Daten bekommen und selbst ausgewertet. „Die US-Amerikaner hatten keine Zeit oder auch kein Interesse, die Arbeit anderer Länder zu machen“, sagt er. So seien es vor allem Rohdaten gewesen. Während die Amerikanerinnen und Amerikaner 18 Monate lang die Daten ausgewertet haben, hatten die deutschen Beamtinnen und Beamten nur einen Monat Zeit für Ihre Ermittlungen – seit Mai 2021 lagen die Chatprotokolle hier vor. Bei der ZIT seien 20 Verfahren in der Zeit eingeleitet worden. Europol hatte noch etwas früher Zugriff – laut Krause etwa seit Mitte März.
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Mit der App An0m lockten die Ermittlerinnen und Ermittler Kriminelle in die Falle.
© Quelle: imago images/ZUMA Press
„Der Mai war die heiße Phase, ein Monat intensiver Arbeit – insbesondere beim BKA“, so Krause. Der Tag des Zugriffs am 7. Juni, die deutschen Strafverfolgungsbehörden sprechen hier vom Joint Action Day, war ein Kompromiss für alle 16 beteiligten Länder. „Der Tag kam für uns relativ schnell. Aber wir wollen uns nicht darüber beschweren. Vor einigen Jahren gab es eine solche Form der Zusammenarbeit gar nicht.“
Organisierte Kriminalität schottet sich durch Technik ab
Was die Erkenntnisse durch Operation Trojan Shield, die bei deutschen Behörden übrigens keinen Namen hat, so besonders macht? „In den vergangenen Jahren wurde die Kryptotechnologie in der organisierten Kriminalität immer verfeinerter und spezieller“, sagt Krause. Dadurch seien die Strafverfolgungsbehörden blind gewesen und nur in Einzelfällen auf kriminelle Strukturen gestoßen. Das konnte die An0m-App ändern: Hier gab es über eine lange Dauer Einsicht in die Arbeit von kriminellen Banden – damit lässt sich vielleicht auch in Zukunft der Schleier heben. „Das ist die Arbeit, die die Bevölkerung von der Strafverfolgung erwartet“, freut sich der Oberstaatsanwalt.
Laut BKA fanden am Montag in Deutschland 130 Durchsuchungen statt – ein Großteil in Hessen. Nach Informationen des RND wurden in dem Kontext mindestens 76 Verdächtige festgenommen. Dabei konnten nach Angaben des Hessischen Landeskriminalamtes unter anderem Körperverletzungsdelikte verhindert werden.
In den meisten Fällen geht es um bandenmäßigen Drogenhandel. „Es ist davon auszugehen, dass im überwiegenden Anteil auch internationale Bezüge bestehen“, sagt eine Pressesprecherin des BKA auf Anfrage des RND. Zugriffe gab es noch in Niedersachsen, Sachsen, Baden-Württemberg und Bayern.
Deutsche Banden agierten international
Grundsätzlich handelt sich sich bei den Festgenommenen nicht um eine Gruppierung, sondern um mehrere Banden. In der internationalen Mitteilung von Europol ist von Rockerbanden, Clankriminalität und der Mafia die Rede. Um welche Gruppierungen es sich in Deutschland handelt, kann noch keine der zuständigen Behörden mitteilen – auch weil die Ermittlungen noch andauern. Doch bestätigen alle angefragten Strafverfolgungsbehörden, dass es sich um organisierte Kriminalität handelt.
In Hessen durchsuchten mehr als 1500 Beamtinnen und Beamte laut BKA und ZIT 80 Objekte und nahmen mehr als 60 Verdächtige fest. Hier waren zwei Drogenhändlerbanden im Fokus der Ermittler. Bei den Razzien wurden 120 Kilogramm Marihuana, 25 Kilogramm Haschisch und über 6000 Cannabispflanzen, drei Kilogramm Heroin, etwa ein Kilogramm Kokain und 100 Kilogramm Streckmittel, über 30 Kilogramm Amphetamin und 15 Kanister Amphetaminbase sowie über 20 Waffen, darunter mehrere Schusswaffen, sichergestellt. Zudem wurden über 30 Luxusautos und Bargeld in Höhe von 250.000 Euro beschlagnahmt. 70 sichergestellte IT-Geräte werden nun ausgewertet. Zwei Verdächtige wurden in Spanien festgenommen – das könnte für eine internationale Ausrichtung der Banden sprechen.
Ohne An0m hätten Ermittler in Niedersachsen keine Ahnung gehabt
In Niedersachsen rückten die Beamtinnen und Beamten an drei Orten zu Durchsuchungen aus: in Hannover, im Landkreis Celle und im Landkreis Schaumburg. Vier Beschuldigte wurden am Montag festgenommen, dazu kommen weitere fünf, die bereits Anfang Mai festgenommen wurden. Ihre Aktivität waren aber nicht nur auf die Region beschränkt: Auf Anfrage des RND bestätigt das Landeskriminalamt (LKA) Niedersachsen, dass sie sowohl regional als auch international aktiv waren. „Ohne diese Datensätze wären diese Strukturen und das bandenmäßige Zusammenwirken nicht erkennbar gewesen“, teilt das LKA mit. 500 Chats werteten die Ermittlerinnen und Ermittler vor den Durchsuchungen aus. Zwar schließt das LKA auf Anfrage aus, dass es sich um Mitglieder von Rockerbanden handelt, schweigt aber zur Frage, ob die Verdächtige möglicherweise Mitglieder von kriminellen Clans sind. Die Verdächtigen aus den drei Orten stünden aber definitiv miteinander im Kontakt.
In Sachsen gab es fünf Haftbefehle nach Durchsuchungen mit 300 Beamtinnen und Beamten an 13 Orten, teilt das LKA auf Anfrage des RND mit. Da die Verdächtigen unterschiedlicher Nationalität sind, schließen die Ermittlerinnen und Ermittler aus, dass es sich um Angehörige eines Clans handelt. „Da gibt es keine Hinweise zu“, teilt eine Pressesprecherin mit. Weitere Details könne sie aufgrund der andauernden Ermittlungen nicht nennen. Beim Einsatz wurden 20.000 Euro Bargeld, mehrere Kilogramm Betäubungsmittel, fünf Kryptohandys und fünf normale Handys sowie Computer und Datenträger sichergestellt.
Kleine Fälle in Bayern und Baden-Württemberg
Im Landkreis Passau (Bayern) und Esslingen (Baden-Württemberg) gab es jeweils einen Einsatz. In Esslingen hoben Beamtinnen und Beamten eine Indoor-Marihuana-Plantage aus, zwei Männer wurden festgenommen, dazu 31 Kilogramm verkaufsfertige Ware sichergestellt. In Bayern gibt es drei Verdächtige, die allerdings nicht in Untersuchungshaft sitzen. „Das hier ist nur ein kleiner Teilbereich im Gesamtkonzept der großen Aktion“, teilt ein Sprecher des zuständigen Polizeipräsidiums mit. Es wurden 600 Gramm Marihuana gesichert.
Die Durchsuchungen am Montag waren ein Erfolg für die Strafverfolgung, wie sie auch Bundesinnenminister Horst Seehofer gelobt hat – doch stehen die Beamtinnen und Beamten noch ganz am Anfang. Auch deswegen nennen die Behörden keine Details. Bernhard Krause von der Zentralstelle für Internetkriminalität ist sich aber sicher: „Das wird noch viele Ermittlungen nach sich ziehen.“