Überalterte Bevölkerung: Die Griechen werden grau

Ein griechischer Rentner sieht auf das Meer im Süden von Athen (Archivfoto).

Ein griechischer Rentner sieht auf das Meer im Süden von Athen (Archivfoto).

Athen. Mit seinen schroffen Berg­massiven und tiefen Fluss­tälern ist Evrytania eine der beeindru­ckendsten Land­schaften Grie­chen­lands. Früheste Spuren menschlicher Besied­lung gehen zurück bis ins sechste Jahr­tausend vor unserer Zeit­rechnung. Aber jetzt bekommt in Evrytania das geflügelte Wort von den „alten Griechen“ eine ganz neue Bedeu­tung: Keine andere Region in der Europä­ischen Union ist so über­altert. Das zeigen neue Daten der Statistik­behörde Euro­stat. Weil in den vergangenen Jahr­zehnten immer mehr junge Menschen wegen fehlender Bildungs­angebote und schlechter Berufs­chancen die Region verließen, stehen in Evrytania heute statis­tisch jedem Einwohner im Renten­alter nur noch 1,2 Berufs­tätige gegen­über.

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Die abgelegene Berg­region Mittel­grie­chen­lands ist eine Art Fenster in die Zukunft. So wie hier könnte es in einigen Jahr­zehnten überall in Grie­chen­land aussehen. Noch ist Italien in der EU das Land mit der ungüns­tigsten Bevölke­rungs­entwick­lung. Der Anteil der über 65-Jährigen macht 22,8 Prozent der Einwohner aus, gegen­über 20,3 Prozent im EU-Durch­schnitt. In Grie­chen­land sind es 22 Prozent. Aber nach Hoch­rech­nungen von Euro­stat werden die Grie­chen die Italiener 2030 als „ältestes“ Volk der EU ablösen.

Bald „ältestes“ Volk der EU

2011 erreichte die Bevölke­rungs­zahl des Landes mit 11,1 Millionen ihren Höhe­punkt. Seither geht sie ständig zurück. 2020 schrumpfte die grie­chische Bevöl­kerung so stark wie nie zuvor seit dem Ende des Zweiten Welt­krieges, nämlich um 46.234 Menschen. Wie viele Bewohner und Bewoh­nerinnen das Land aktuell hat, wird die Volks­zählung zeigen, die am vergan­genen Wochen­ende begann und bis Mitte Dezember dauert. Statistiker schätzen, dass die Bevöl­kerungs­zahl seit der voran­gegan­genen Erhebung 2011 um eine halbe Million gesunken ist und aktuell 10,6 Millionen beträgt.

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In vielen Ländern Europas schrumpft die Bevöl­kerung infolge sinkender Geburten­raten. EU-weit ist die Zahl der unter 18-Jährigen seit 1994 um gut 15 Prozent zurück­gegangen. Die niedrigsten Geburten­raten in der EU haben die Italiener, Griechen und Spanier. In Grie­chen­land kommen mehrere Faktoren verschärfend hinzu. Anders als andere europä­ische Staaten und die USA erlebte Grie­chen­land in den Jahren nach dem Zweiten Welt­krieg keinen Baby­boom. Das war auch eine Folge des grie­chischen Bürger­kriegs, der sich an den Welt­krieg anschloss.

Zwischen 1950 und 1974 wanderten mehr als eine Million Grie­chinnen und Grie­chen aus, davon über 600.000 nach Deutsch­land. Die Schulden­krise der Jahre 2010 bis 2018 löste eine weitere Welle der Emigration aus: Eine halbe Million junge Grie­chinnen und Grie­chen verließen ihre Heimat, weil sie dort wegen der Spar­programme keine Chance auf eine Karriere sahen. Mit diesem Exodus verlor Hellas nicht nur viele seiner besten Talente, sondern auch deren Nach­wuchs. Jene, die zurück­blieben, verzichteten wegen wirt­schaft­licher Schwierig­keiten häufig auf Kinder. Vor der Krise waren in Grie­chen­land pro Jahr etwa 118.000 Babys zur Welt gekommen. Vergan­­genes Jahr waren es nur 85.600. Diesen Geburten standen 132.000 Sterbe­fälle gegen­über. Wenn sich der Trend des vergan­genen Jahr­zehntes fortsetzt, wird Grie­chen­land in 30 Jahren nur noch 8,3 Millionen Einwohner haben.

Staatliche Prämie für jedes Neugeborene

Die Regie­rung des seit Mitte 2019 amtierenden konser­vativen Minister­präsidenten Kyriakos Mitso­takis versucht gegen­zu­steuern. Als erste Maß­nahme kündigte Mitso­takis gleich nach seiner Wahl eine staat­liche Prämie von 2000 Euro für jedes Neu­geborene an. Sie wird seit Anfang 2020 gezahlt. Kinder­reiche Familien erhalten zusätz­­liche Steuer­vorteile, die Mehr­wert­steuer auf Baby­artikel wurde gesenkt. Beide Ehe­partner haben künftig nach der Geburt eines Kindes Anspruch auf vier Monate bezahlten Urlaub, zwei davon auf Kosten der staat­lichen Arbeits­verwal­tung. Väter bekommen nach der Geburt eines Kindes sechs Monate Kündi­gungs­schutz. Die Arbeits­bedin­gungen für junge Eltern sollen flexibler werden. Der Staat will 50.000 neue Kita- und Kinder­garten­plätze finan­zieren und Nachbar­schafts­initiativen zur Kinder­betreuung fördern. Für die Programme setzt Grie­chen­land Mittel aus dem EU-Corona-Aufbau­fonds RRF ein.

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Ob die Initia­tiven greifen, muss sich in den nächsten Jahren in der Geburten­­statistik zeigen. Wenn nicht, geht Grie­chen­land schweren Zeiten entgegen. Die Über­alte­rung der Bevöl­kerung gefährdet nicht nur die Renten­systeme, zumal nicht nur die Geburten­rate sinkt, sondern auch die Lebens­erwar­tung steigt. Die gesamte wirt­schaft­liche Zukunft des Landes steht auf dem Spiel. Der Inter­natio­nale Währungs­fonds (IWF) setzt Grie­chen­lands lang­fristiges Wachs­tums­poten­zial wegen des Bevöl­kerungs­schwunds nur bei 0,9 Prozent im Jahr an. Das wirft die Frage auf, ob das Land die Hilfs­kredite überhaupt plan­mäßig zurück­zahlen kann. Athen erhielt in den Krisen­jahren 2010 bis 2018 insgesamt 278 Milliarden Euro. Die Tilgung dieser Darlehen läuft bis ins Jahr 2070.

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