Verlustreicher Immobiliendeal: Prozess um Finanzskandal im Vatikan beginnt
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Gläubige drängen sich auf dem Petersplatz im Vatikan.
© Quelle: Riccardo De Luca/AP/dpa
Rom. Es ist eine illustre Gesellschaft, die ab Dienstag auf der Anklagebank des vatikanischen Tribunals Platz nehmen wird: Der 73-jährige Hauptangeklagte Angelo Becciu war einst die Nummer zwei im mächtigen vatikanischen Staatssekretariat gewesen und ist der erste Kardinal überhaupt, dem im Kirchenstaat der Prozess gemacht wird. Neben ihm sind Geistliche, Banker, Broker, Finanzjongleure und der Schweizer Anti-Geldwäsche-Spezialist René Brülhart angeklagt. Und zu guter Letzt wird es auch ein Wiedersehen Beccius mit seiner angeblichen früheren Geliebten, der selbst ernannten Geheimdienstexpertin Cecilia Marogna, geben, der einzigen weiblichen Beschuldigten.
Bei dem Prozess geht es in erster Linie um den Kauf einer Luxusimmobilie im Londoner Nobelstadtteil Chelsea, der unter Becciu vom Staatssekretariat eingefädelt wurde und bei dem der Vatikan sehr viel Geld in den Sand gesetzt hatte. Der genaue Verlust für die heiligen Kassen ist bisher nicht bekannt – Schätzungen reichen von 73 bis 166 Millionen Euro. Besonders gravierend: Verwendet wurden auch Spendengelder der Gläubigen aus dem sogenannten Peterspfennig, die eigentlich karitativen Zwecken zugutekommen sollten. Bei dem Deal haben sich einige der Angeklagten mit Provisionen und Boni eine goldene Nase verdient. Cecilia Marogna wiederum soll von Becciu für ihre geheimen Missionen 500.000 Euro erhalten haben, die sie laut der Anklage aber hauptsächlich für ihren aufwendigen Lebensstil verwendet hatte.
Geldwäsche, Erpressung, Betrug, Veruntreuung, Amtsmissbrauch und Urkundenfälschung
Die Anklagepunkte lauten auf Geldwäsche, Erpressung, Betrug, Veruntreuung, Amtsmissbrauch und Urkundenfälschung, wobei die einzelnen Vorwürfe an die Beschuldigten unterschiedlich lauten. Becciu muss sich wegen Veruntreuung, Amtsmissbrauch und Verleitung zur Falschaussage verantworten. Der Prälat aus Sardinien, dem Papst Franziskus alle mit der Kardinalswürde verbundenen Rechte und Privilegien entzogen hat, weist die Anschuldigungen von sich und fühlt sich als Opfer eines Komplotts. Als unschuldig bezeichnet sich auch der Schweizer Brülhart, der jahrelang die vatikanische Finanzaufsichtsbehörde AIF geleitet hatte und von dem Amt 2019 zurückgetreten war. Brülhart wird Amtsmissbrauch vorgeworfen: Er habe seine Aufsichtspflichten als AIF-Präsident zu wenig sorgfältig wahrgenommen und damit die Machenschaften der anderen Angeklagten erst ermöglicht.
Der Prozess findet vor dem vatikanischen Tribunal statt, das von Giuseppe Pignatone präsidiert wird. Der Sizilianer war bis zu seiner Pensionierung einer der profiliertesten und erfolgreichsten Mafiajäger Italiens gewesen und im Oktober 2019 von Papst Franziskus zum Chef der vatikanischen Justiz ernannt worden. Schlagzeilen hatte Pignatone unter anderem gemacht, als er im Jahr 2015 nach intensiven Ermittlungen die römische „Mafia Capitale“ hatte auffliegen lassen. Jahre zuvor hatte er als Staatsanwalt von Palermo unter anderem den mafiösen Bürgermeister der Stadt überführt und später den damaligen Superpaten der Cosa Nostra, Bernardo Provenzano, zur Strecke gebracht.
Angeklagter erfuhr von Prozess aus der Presse
Als souveräner Staat verfügt der Vatikan über eine eigene säkulare Justiz; vor dem vatikanischen Tribunal finden jährlich etwa 30 Prozesse statt. In den meisten Fällen geht es um Diebstähle, die auf dem Petersplatz, der vatikanisches Territorium ist, verübt werden. Das letzte aufsehenerregende Verfahren betraf den Kammerdiener von Papst Benedikt XVI., Paolo Gabriele: Dieser hatte vertrauliche Dokumente an Journalisten weitergeleitet und war deswegen 2012 wegen Geheimnisverrats verurteilt worden. Benedikt XVI. hatte seinen ungetreuen Diener anschließend begnadigt. Der Vatikan verfügt auch über eigene Arrestzellen für Untersuchungshäftlinge; ordentliche Gefängnisstrafen verbüßen Verurteilte aber in italienischen Gefängnissen: So sieht es das Konkordat zwischen dem Vatikan und dem italienischen Staat vor.
Ob es im Fall von Becciu und den anderen neun Angeklagten zu Verurteilungen kommen wird, lässt sich schwer abschätzen. Die Strafprozessordnung des Vatikans stammt noch aus dem Jahr 1913 – in ihr fehlen die modernen Garantien für die Angeschuldigten und ihre Verteidiger weitgehend. Tatsächlich kritisieren die Anwälte schon jetzt, dass im laufenden Verfahren die Rechte der Verteidigung auf schwerwiegende Weise verletzt worden seien. Anwältin Ambra Giovene, Verteidigerin eines der angeklagten Broker, erklärt, dass sie bis heute keine Vorladung gesehen habe. Auch René Brülhart musste aus der Presse erfahren, dass ihm in Rom der Prozess gemacht werde.
Bemängelt wird von den Anwälten außerdem, dass der Prozess sehr kurzfristig angesetzt worden sei – immerhin umfassen die Verfahrensakten 29.000 Seiten. „In der kurzen Zeit, die uns zum Studium der Prozessakten zur Verfügung stand, war es unmöglich, eine seriöse Verteidigung zu organisieren“, betont Giovene, die – zusammen mit allen anderen Anwälten – eine Verschiebung des Prozesses beantragt hatte. Der Antrag auf Verschiebung ist von Pignatone freilich abgelehnt worden. Der Weg des Prozesses erscheint damit vorgezeichnet: Er dürfte, zumindest im Fall von Schuldsprüchen, erst vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte enden. „Und das Resultat wird sein, dass der Vatikan seine obsolete Strafprozessordnung revidieren muss“, betont Francesco Paolantonia, ein weiterer Anwalt des Verfahrens.