Vize-Geschäftsführer des Jagdverbands: „Die Dimension des Falls macht fassungslos“
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/6XKJDABGTNAX7L2EPUYKJC4HKY.jpeg)
Markierungen wurden am Rand der Kreisstraße 22 zwischen den Orten Mayweilerhof und Ulmet (Rheinland-Pfalz) aufgetragen. Am Vortag wurden dort eine Polizistin und ein Polizist bei einer Verkehrskontrolle erschossen.
© Quelle: Harald Tittel/dpa
Berlin/Kusel. Nach den tödlichen Schüssen auf zwei junge Polizisten in der Pfalz vermuten die Ermittlerinnen und Ermittler, dass die mutmaßlichen Mörder Jagdwilderei vertuschen wollten. Seit Dienstag sind die 32 und 38 Jahre alten Saarländer wegen Verdachts auf gemeinschaftlichen Mord und Wilderei in Untersuchungshaft.
Doch was wird unter Wilderei verstanden? Wie oft kommt sie vor? Und welche Strafen drohen? Torsten Reinwald, der stellvertretende Geschäftsführer und Sprecher des Deutschen Jagdverbandes, gibt im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) Antworten.
Herr Reinwald, warum werden Menschen zu Wilderern?
Das Thema Wilderei ist schwer zu fassen. Deshalb kann man nicht pauschal sagen, was für Leute das machen. Das können zum Beispiel Jugendliche sein, die sich ausprobieren wollen oder eine Mutprobe machen. Das kann ein Autofahrer sein, der das Wild nach einem Unfall mit nach Hause nimmt oder ein Jäger, der in einem fremden Revier jagt, für das er keine Erlaubnis hat. Und das können natürlich auch Leute sein, die das gewerblich machen und das Fleisch verkaufen.
Was versteht man denn genau unter dem Begriff Wilderei?
Wilderei ist, wenn ich unerlaubter Weise Tiere jage und fange, sie mir also zu eigen mache. Das Töten gehört in letzter Konsequenz auch dazu. Das hängt damit zusammen, dass das Wild in Deutschland als herrenlos gilt, es gehört also niemandem. Das sogenannte Aneignungsrecht hat nur der Pächter des jeweiligen Jagdreviers.
Wer ist denn dazu berechtigt, auf die Jagd zu gehen?
Erst mal muss man eine staatliche Jägerprüfung ablegen. Dann erhält man einen Jägerbrief und den kann man dann bei der Jagdbehörde vorlegen und einen Jagdschein beantragen. Die Behörde stellt dann einen Jagdschein für ein Jahr oder maximal drei Jahre aus. Vorher findet aber noch eine Zuverlässigkeitsprüfung statt. Die beinhaltet die Kontrolle eines polizeilichen Führungszeugnisses und eine Abfrage beim Verfassungsschutz. Außerdem kann die Behörde auch ein medizinisches Attest vom Arzt einfordern. Wer einen Jagdschein bekommt, ist dazu berechtigt, Waffen zu erwerben. Aber er braucht dann noch eine Jagderlaubnis für ein bestimmtes Revier, um jagen zu dürfen. So eine stellen die jeweiligen Landbesitzer aus. Nur wer selbst Land mit mehr als 75 Hektar besitzt, darf dort selbst jagen – vorausgesetzt, er verfügt über einen Jagdschein.
Und was passiert, wenn die Frist des Jagdscheins nach einem Jahr oder drei Jahren abgelaufen ist?
Dann kann man wieder zur Behörde gehen und einen neuen Schein beantragen. Die Behörde kann die Zuverlässigkeit aber auch entziehen. Dann darf man keine Waffen mehr besitzen und natürlich auch nicht mehr jagen.
Das war ja auch bei dem Tatverdächtigen in Kusel der Fall, richtig?
Ja, wir wissen, dass Herr S. in der Vergangenheit eine jagdliche Ausbildung gemacht hat. Der Jagdschein, also die Zuverlässigkeit, wurde ihm aber 2008 erstmals entzogen. Wir wissen auch, dass er 2020 erneut einen Jagdschein beantragen wollte, doch er ist damit wieder gescheitert. Und es gab vorab schon mal ein Verfahren gegen ihn wegen Wilderei.
Laut Polizeiangaben drohten Johannes Andreas S. deswegen zwischen drei Monaten bis zu fünf Jahren Haft. Welche Strafe droht grundsätzlich beim Wildern?
Das Strafmaß orientiert sich an der Schwere der Tat. Wenn man wirklich regelmäßig wildern geht und das Fleisch dann auch verkauft, also das gewerblich betreibt und damit Gewinne erzielt, dann ist das schon eine schwere Straftat. Da sind wir auf jeden Fall eher bei fünf Jahren als bei drei Monaten.
Ist Wilderei in Deutschland ein großes Problem?
Nein, das spielt eher eine untergeordnete Rolle. Das Bundeskriminalamt ermittelt pro Jahr im Durchschnitt etwa 1100 bis 1500 Fälle von Wilderei. Die aktuelle Jagdstatistik (des Deutschen Jagdverbandes, d. Red.) besagt, dass jährlich knapp 1,3 Millionen Rehe, 700.000 bis 900.000 Wildschweine und knapp 60.000 Rotwild und Damwild jagdlich erlegt werden. Wenn man das zusammenzählt, kommt man auf über zwei Millionen Wildtiere, die jedes Jahr legal bei der Jagd erlegt werden. Wenn man das ins Verhältnis zur Wilderei setzt, ist letzteres nur ein verschwindend geringer Anteil.
Gibt es da nicht auch eine Dunkelziffer von Wilderern, die gar nicht erwischt werden?
Na ja, Dunkelziffern haben es ja so an sich, dass man sie nicht genau kennt. Aber selbst, wenn der Faktor der bekannten Fälle zehn oder 100 wäre, also wenn es in Wirklichkeit statt knapp über 1000 Fällen 10.000 oder 100.000 Fälle wären, wäre der Anteil in Relation zu dem, was legal bei der Jagd erlegt wird, immer noch klein. Etwas anders ist die Bedeutung natürlich, wenn man es aus Sicht des Tierschutzes sieht.
Was meinen Sie damit?
Wilderer benutzen oft selbstgebaute Schlingen oder Fallen, umgebaute Waffen oder sogar Armbrüste, Pfeil und Bogen. Das führt häufig dazu, dass die Tiere nicht sofort tot sind, sondern nur verletzt werden und noch lange leiden. Da reden wir dann über mangelnde Tötungswirkung. Unsere Aufgabe als Jäger ist dagegen, möglichst schnell zu töten, um genau das zu vermeiden.
Kann man mit der Wilderei viel Geld verdienen?
Also reich wird man davon wohl nicht. Da gibt es sicher andere Berufe in Deutschland, mit denen man schneller zum Millionär wird. Wilderei spielt in Deutschland einfach nicht so eine große Rolle. Anders ist das zum Beispiel in Afrika. In Kenia zum Beispiel ist die Jagd seit vielen Jahren verboten. Wenn Wilderer da auf Wildhüter treffen, wird meistens sofort geschossen. Und zwar auf die Menschen. Da geht es um Leben und Tod.
Das erinnert ja leider an die Polizeimorde in Kusel.
Ja, dabei sind das Dimensionen, die ich aus Deutschland überhaupt nicht kenne, obwohl ich schon seit 20 Jahren im Geschäft bin. Deshalb macht mich der Fall in Kusel auch so fassungslos. Wie verroht und kaltblütig müssen diese Menschen sein, die zu so etwas fähig sind? Das ist ein absoluter Einzelfall und ich hoffe, dass das auch so bleibt. Normalerweise spielt Wilderei in Deutschland wirklich keine große Rolle.