Schach allen Prüden: die WM-Auftritte der Kroatin Ivana Knöll
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Begehrt für Selfies: Ivana Knöll posiert im Al-Dschanub-Stadion für ein Selfie.
© Quelle: Robert Michael/dpa
Perkussiv ist Ivana Knölls gut gelaunter Twitterauftritt unterlegt: „Olé Olé Olé, Olé – we are the Champions, we are the Champions“ singt die Stimme vom Band, während die gewohnt kariert gekleidete Knöll zu Sambarhythmen die Hüften schwingt. Die kroatische Nationalmannschaft hat vorher im Viertelfinale der Fußball-WM in Katar mit Brasilien einen der Favoriten bezwungen. Knöll bewegt sich auf die Handykamera zu. Küsschen. Lächeln. „Goodbye, Brazil!“ steht über dem Tweet. Nicht hämisch, sondern sympathisch wirkt der Abschiedsgruß.
Acht Sekunden nur dauert das Tänzchen, das möglicherweise auf ihrem Hotelzimmer aufgenommen wurde. Knöll trägt dabei eine rote Latexhose, ein rotes Bustier und dazu an Armen und Bauch jene rotweißen Quadrate, die ihre Verbundenheit zum kroatischen Team zeigen. Es ist eines ihrer typischen Outfits für einen Stadionbesuch.
Für Kroatiens Team geht es weiter, für Ivana Knöll auch
Der rote Schachbrettdress der ehemaligen Finalistin für die Miss-Kroatien-Wahl 2018 ist Patriotismus in Textil – eine Abwandlung des rot-weißen (eigentlich rot-silbernen) Wappenschilds der Republik – wie es auch andere Fans und vor allem die kroatischen Spieler auf dem Platz tragen, die man auch „Kockasti“ nennt, die „Karierten“.
Ein kleiner historischer Exkurs: Kurz vor der ersten Millenniumswende soll sich der kroatische König Stjepan der Legende zufolge seine Freiheit durch Schachpartien erstritten haben. Dreimal soll er den Dogen der Republik Venedig, in dessen Gefangenschaft er geraten war, besiegt haben.
Entstanden ist das von Knöll adaptierte Schild im Wappen allerdings erst 500 Jahre später und wahrscheinlicher ist es, dass es schlicht die historischen Bezirke des Landes darstellen soll. Rot steht für die innerländischen, weiß für die am Meer liegenden.
Bei der Katar-WM wurde die Fangarderobe zum Politikum
Die oft luftige Wappenwäsche der gebürtigen Frankfurterin Knöll, die mit ihren kroatischen Eltern noch im Kindesalter nach Zagreb ausgewandert war, wäre bei allen Fußballweltmeisterschaften der letzten 40 Jahre so etwas wie ein Running Gag gewesen – ein „Hingucker“ für die Kameraleute, wenn auf dem Platz mal nichts los sein sollte, ein etwas gestriger Fernsehreflex.
Auf dieser speziellen WM in Arabien ist nun aber Fangarderobe ganz allgemein zum Politikum geworden. Die Instagram-Influencerin Knöll erscheint in Eng und Knapp je nach Sichtweise als Repräsentantin westlicher Freiheit, die eben auch die Garderobe einbezieht oder als Erregerin öffentlichen Ärgernisses, die sich respektlos gegenüber der Kultur des Gastgeberlands zeigt. Manche knipsen ein Handyfoto vor Freude, manche vielleicht eher aus Ärger.
Englische Fans im Kreuzritterlook empören in Katar
Kleidung ist dieser Tage allgemein ein Zeichen von Geisteshaltung im Fußballemirat Katar. Nicht immer ist es ein guter Geist, der da wirkt. Für Empörung sorgen vor allem englische Fans in Kreuzritterkostümen in den Straßen von Doha. Mit Kettenhemden, Plastikhelmen und dem Kreuz auf der Brust erinnern sie die Einheimischen an die christlichen Kriegszüge des Mittelalters.
Bei bisherigen Englandspielen wiesen Sicherheitskräfte derart gerüstete Britinnen und Briten am Stadioneingang ab. Diese können sich zwar auf das Drei-Löwen-Wappen des Kreuzzugkönigs Richard Löwenherz, das bei englischen Fußballländerspielen Usus ist, berufen und auf die englische Fahne – das rote Georgskreuz der Kreuzzüge. Sehen aber trotzdem geschmacklos aus. Über so wenig Feingefühl empörte Araberinnen und Araber dürften nicht traurig gewesen sein, als die Engländer im Viertelfinale von den Franzosen nach Hause geschickt wurden.
Ein Flaggen-Dischdascha wird von Einheimischen gefeiert
Abseits davon versuchen sich westliche Besucherinnen schon mal mit Hidschab, was in der Vorwoche auch der katarisch finanzierte TV-Sender Al-Jazeera zeigte und positiv kommentierte. Und westliche Männer hüllten sich in Ghutrahs (die vorzugsweise weiße Kopfbedeckung) und Dischdaschas (das tunikaartige weiße Fließgewand), die an Markständen in Doha in ungewohnt vielfältiger Colorierung verkauft werden. Die Variante eines Südafrikaners, der sich diesbezüglich zu Hause vier afrikanische Flaggen zusammennähen ließ, wurde laut „Washington Post“ von Einheimischen geradezu gefeiert.
Und dann ist da natürlich der viel diskutierte Regenbogen, das buntgestreifte Statement für sexuelle Diversität, dessen Weichspülvariante, die „One Love“-Armbinde, der Fifa schon zu viel Eintreten für die Menschenrechte war. Er ist trotzigerweise überall zu sehen. Zahlreiche Fußballfans solidarisieren sich erst recht mit der LGBTQI+-Gemeinde und tragen die farbigen Streifen, um ein Zeichen zu setzen gegen die Kriminalisierung von Homosexualität in dem Emirat.
Laut Fifa sollten die Fans damit auch in den Stadien zugelassen werden – was aber bisher nicht einheitlich klappte. Und der Demonstrant, der beim Spiel zwischen Portugal und Uruguay mit einer Regenbogenfahne übers Spielfeld lief, wurde gestoppt und abgeführt, indes bald wieder freigelassen.
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Diskussion und Fan-Selfies: Kroatien-Fan Ivana Knöll mit katarischen Sicherheitskräften beim Brasilien-Spiel.
© Quelle: IMAGO/PA Images
Knölls Dress fällt in Katar eher in eine andere No-Go-Kategorie: zu viel Haut, zu wenig Stoff. Die staatliche Tourismuswebsite bittet um Respekt vor der örtlichen Kultur und „auf freizügige Kleidung zu verzichten“. Schulter und Knie sollten nach Möglichkeit nicht zu sehen sein. Auch Fangruppen raten im Internet von kurzen Hemden und kurzen Hosen ab.
Sicherheitskräfte versuchten, Knöll-Selfies zu verhindern
Die Reaktionen seien aber nicht nur empört, Knöll selbst spricht sogar von überwiegend positiver Resonanz. Bei Instagram und Twitter gibt es zumindest Bilder der selbstbewussten und publikumswirksamen Kroatin mit dem breiten Lächeln, auf denen kein bisschen schlecht gelaunt wirkende arabische Männer ihren Auftritt auf der Stadiontreppe mit dem Handy filmen.
Securitypersonal schritt beim Brasilien-Spiel ein, versuchte aber nur, weitere Fotosessions von Fans mit Knöll zu verhindern. „Ich habe sie gefragt, warum sie so unhöflich sind“, wurde Knöll in der „Bild“ zitiert. Dabei gab es im Stadion gar kein Knöllchen für Knöll – sie wurde weder des Platzes verwiesen noch zu einem Kleidungswechsel aufgefordert.
Ob die relative Toleranz ihr gegenüber auch mit dem sympathischen Auftritt des kroatischen Teams zusammenhängt? Die Mannschaft um Starspieler Luka Modric könnte diesmal den Pokal holen. Und zuletzt hatte vor allem Leo, der Sohn von Nationalspieler Ivan Perisic, die Herzen der Fußballfans erobert, als er nach dem Aus für Brasilien über den Platz lief und den tief enttäuschten Neymar tröstete.
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Beim Argentinien-Spiel dürfte Knöll wieder jubeln
Vermutlich sind die Sicherheitskräfte auch vorsichtig, weil sie wissen, dass die Augen der Welt kritisch und genau auf Katar schauen. Und natürlich sorgt das Auftreten Knölls für Aufsehen. Der kroatische Zeichner Nik Titanik ist auf Knölls Twitter-Account mit einer aktuellen Karikatur vertreten, auf der zwei Katarer vor einem Foto des offenherzigen Fußballfans stehen. „Heute jubeln wir für Kroatien“, sagt der eine zum anderen. „Wir brauchen einfach mehr Zeit, um die negativen Auswirkungen dieses Phänomens auf unsere Kultur festzustellen“, fügt er im Hinblick auf Knöll hinzu. Titanik unterstellt den Betrachtern ein „Bleib ruhig noch ein wenig, Ivana“.
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Dieses Mehr an Zeit wird ihnen gewährt werden. Wenn am kommenden Dienstag im Lusail Iconic Stadium das Halbfinale Kroatien gegen Argentinien angepfiffen wird, wird Ivana Knöll unzweifelhaft wieder dabei sein und die „Karierten“ wohl in einem neu zusammengewürfelten Schachbrettoutfit anfeuern.
„Wenn ich es verdient habe, verhaftet zu werden, verhaftet mich“
Bei T-Online wird Knöll zitiert, dass sie nicht glaube, jemanden durch ihr Bikinioberteil zu verletzen und das auch nicht wolle. „Wenn ich es deswegen verdient habe, verhaftet zu werden, dann verhaftet mich“, lautet allerdings der letzte Satz. Eine Aufforderung?
Einen solchen Publicityvolltreffer sollte ihr Katar nicht bescheren. Und solange sie nicht, wie „Bild“ jüngst mutmaßte, irgendwann nackt auftritt, ist eine Festnahme auch eher nicht zu erwarten. Ihren eigenen WM-Sieg hat Knöll sowieso erreicht – auch ohne einen solchen ultimativen Skandal.
Der seit 2013 bestehende Knolldoll-Instagram-Account, der vor der WM etwa eine Million Follower hatte, ist jetzt schon auf das Doppelte gewachsen.