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Kollision von Personenzügen

Zugkatastrophe in Indien mit mehr als 300 Toten: Fehler im Signalsystem löste Unglück aus

Bei dem schweren Zugunglück im indischen Bundesstaat Odisha sind neuen Angaben zufolge mindestens 280 Menschen ums Leben gekommen.

Bei dem schweren Zugunglück im indischen Bundesstaat Odisha sind neuen Angaben zufolge mindestens 280 Menschen ums Leben gekommen.

In Indien kommt es zu einem schweren Zugunglück mit mehr als 300 Toten. Wir haben die wichtigsten Informationen für Sie hier in Kürze zusammengefasst:

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  • Wann und wo hat sich das Zugunglück ereignet? Zu der Katastrophe kam es am vergangenen Freitag (2. Juni) gegen 19 Uhr Ortszeit in einer ländlichen Gegend im indischen Bezirk Balasore, gut 200 Kilometer südwestlich von Kolkata.
  • Was ist passiert? Drei Züge waren laut Behörden an dem Unfall beteiligt. Erste Ermittlungen ergaben, dass einer der Züge, der Coromandel Express, ein Signal zum Einfahren in die Hauptstrecke erhalten hatte, das Signal aber später wieder aufgehoben wurde. Der Zug fuhr auf eine andere Strecke und stieß mit einem dort abgestellten Güterzug zusammen, berichtete die Nachrichtenagentur PTI. Zehn bis zwölf Wagen eines Zuges entgleisten, und einige Trümmer fielen auf ein benachbartes Gleis. Ein anderer Personenzug, der aus der Gegenrichtung kam, raste in die Trümmer, wodurch bis zu drei Wagen des zweiten Zuges ebenfalls entgleisten, wie ein Sprecher des Eisenbahnministeriums, Amitabh Sharma, erklärte.
  • Wie viele Todesopfer gibt es? Die Zahl der Todesopfer stieg auf mehr als 300, wie am Sonntag bekannt wurde. Die Einsatzkräfte hatten am Samstagabend 15 weitere Todesopfer aus den Wracks der Züge geborgen. Die Identifizierung der Opfer kommt nur langsam voran. Bislang sei nur bei 45 Leichen klar, um wen es sich handle, sagte der zuständige Beamte Mayur Sooryavanshi am Montag. 33 Tote seien den Familien übergeben worden.
  • Wie viele Menschen wurden verletzt? Zusätzlich zu den Toten wurden rund 900 Menschen verletzt, berichtete die Nachrichtenagentur Press Trust of India unter Berufung auf den leitenden Staatssekretär des Staates Odisha, Pradeep Jena. Rund 200 besonders schwer verletzte Personen seien in Spezialkliniken in anderen Städten in Odisha gebracht worden. 200 weitere seien nach kurzer Behandlung wieder entlassen worden, der Rest werde in örtlichen Kliniken behandelt.
  • Was weiß man zur Ursache? Das Zugunglück ist nach Angaben von Bahnminister Ashwini Vaishnaw von einem Fehler im elektronischen Signalsystem ausgelöst worden. Dies habe dazu geführt, dass ein Zug fälschlicherweise das Gleis gewechselt habe, sagte Vaishnaw dem Rundfunksender New Delhi Television. Wer genau verantwortlich sei, werde eine Untersuchung ergeben, erklärte der Minister. Die Polizei ermittelt wegen möglicher strafbarer Fahrlässigkeit - eine Eisenbahnbehörde hatte der Polizei empfohlen, entsprechend zu ermitteln, wie örtliche Medien am Montag berichteten.

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Scholz und von der Leyen äußern Bestürzung

Es handelt sich bei dem Unfall um eines der schwersten Zugunglücke der vergangenen Jahrzehnte. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen haben sich bestürzt darüber gezeigt. Scholz schrieb am Samstag über den Kurznachrichtendienst Twitter: „Das Zugunglück in Indien mit Hunderten Toten und Verletzten erschüttert mich zutiefst. Meine Gedanken sind bei den Opfern, Verletzten und ihren Familien. Deutschland steht an der Seite Indiens in dieser schweren Zeit.“

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EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kondolierte ebenfalls über Twitter. Sie schrieb an die Adresse von Regierungschef Narendra Modi: „Europa trauert mit Ihnen“. Sie spreche den Angehörigen der Opfer angesichts der schrecklichen Nachrichten ihr tief empfundenes Beileid aus und wünsche den Verletzten baldige Genesung.

Ausmaß wurde mit Tagesanbruch sichtbarer

Mit Tagesanbruch am Samstag wurde das Ausmaß des Zugunglücks besser sichtbar. Etwa ein Dutzend havarierte Waggons lagen auf und neben den Gleisen, mit den Rädern in die Höhe ragende Stahlkolosse, einige mit aufgerissenen Abteildecken, die Fenster zerschmettert. Auf und neben den Waggons versuchten Dutzende Helfer in Zivilkleidung und Rettungskräfte mit orangefarbenen Schutzanzügen verzweifelt, verletzte Passagiere unter den tonnenschweren Trümmern zu retten.

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Es seien dazu auch Kräne und Bulldozer herangebracht worden, hieß es. Lebend wurde aber seit Freitagabend niemand mehr aus den entgleisten, umgestürzten und teils ineinander verkeilten Waggons gerettet, sagte der Direktor der Feuerwehr- und Notfallabteilung, Sudhanshu Sarangi, der Nachrichtenagentur AP.

„Es war dunkel und ich konnte Schreie hören“

Ein Augenzeuge sagte dem örtlichen Fernsehsender NDTV, er sei aus dem Schlaf gerissen worden, als sein Zug plötzlich entgleiste – und das Chaos losbrach. „10 bis 15 Menschen fielen auf mich“, erzählte er dem Sender. Er selbst sei mit Verletzungen am Hals und an den Händen davongekommen, habe dann aber überall Leichen und abgetrennte Körperteile erblickt.

„Es war ein ohrenbetäubender Lärm, ich spürte den Boden unter meinen Füßen erzittern. Unser Zug wurde vor- und zurückgeworfen“, wurde ein Fahrgast von der Zeitung „Times of India“ zitiert. Dann habe er aus dem Fenster geschaut und die entgleisten Waggons gesehen, mit darunter eingeklemmten Menschen. „Es war dunkel und ich konnte Schreie hören.“ Ein anderer Mann schilderte, wie völlig Aufgelöste später in einem Feld Verstümmelter nach Angehörigen suchten. „Der Anblick war zu schrecklich, um ihn zu beschreiben.“

In Indien wurde in den vergangenen Jahren zwar viel in die Bahn investiert, aber Probleme dauern an. Auf dem 64.000 Kilometer langen Schienennetz gibt es jedes Jahr Hunderte Eisenbahnunfälle. Sie werden meist auf menschliches Versagen oder veraltete Signalanlagen zurückgeführt. Immer wieder gibt es dabei viele Tote. 2016 kamen 146 Menschen ums Leben, als ein Zug zwischen Indore and Patna entgleiste. Im August 1995 wurden 358 Menschen getötet, als nahe Neu Delhi zwei Züge zusammenprallten.

Große Hilfsbereitschaft und Zivilcourage

Dorfbewohner erklärten, sie hätten ein lautes Geräusch gehört, als die Waggons aus den Schienen gesprungen seien. Daraufhin seien sie zur Unglücksstelle geeilt, um Opfern beizustehen. „Die Ortsansässigen sind wirklich Risiken eingegangen, um uns zu helfen“, zitierte Press Trust of India einen anderen Überlebenden, Rupam Banerjee. „Sie halfen nicht nur dabei, Leute herauszuziehen, sondern fanden unser Gepäck wieder und brachten uns Wasser.“

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Die Hilfsbereitschaft nach dem Unglück war groß. Stunden danach gab es Berichte, wonach viele Menschen in Krankenhäusern Blut für die Verletzten spenden wollten. „Ich hoffe, dass das einige Leben rettet“, sagte ein Spender der indischen Nachrichtenagentur ANI. Odishas Verwaltungschef Pradeep Kumar Jena sagte, er habe viele Anfragen von Blutspende-Interessierten erhalten.

Helferinnen und Helfer räumen die Stelle des Zugunglücks in Indien auf.

Helferinnen und Helfer räumen die Stelle des Zugunglücks in Indien auf.

Verzweifelte Angehörige warten auf Identifizierung

Bislang sei nur bei 45 Leichen klar, um wen es sich handle, sagte der zuständige Beamte Mayur Sooryavanshi am Montag. 33 Tote seien den Familien übergeben worden. Identifiziert wurden die Toten in einem Krankenhaus in Bhubaneswar, etwa 200 Kilometer vom Unglücksort entfernt. In dem Spital wurden auch die Verletzten behandelt. Verzweifelte Angehörige standen vor dem Gebäude Schlange. Zwei große Bildschirme zeigten immer wieder Fotos der Toten, die jeweils mit einer Nummer versehen waren. Viele Leichen waren so entstellt, dass sie kaum zu erkennen waren. Hinterbliebene suchten an der Kleidung oder anderen Einzelheiten nach Hinweisen.

Viele Wartende berichteten, sie seien tagelang unterwegs gewesen. Die Anreise wurde noch dadurch erschwert, dass mehr als 120 Züge in Odisha nach dem Unglück verspätet waren oder ausfielen, wie die indische Bahn mitteilte.

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Premier trauert um Opfer

Bahnminister Ashwini Vaishnaw sagte der Nachrichtenagentur ANI, er habe eine Untersuchung zur Ursache der Zugkatastrophe angeordnet. Am Samstagmorgen traf er an der Unfallstelle ein, um sich ein Bild vom Ausmaß der Tragödie zu machen.

Premierminister Narendra Modi zeigte sich erschüttert und schrieb auf Twitter: „In dieser Stunde der Trauer sind meine Gedanken bei den trauernden Familien.“ Am Unglücksort machte er sich ein Bild von den Bergungsarbeiten und besuchte anschließend Verletzte in einem Krankenhaus. Er versprach rasche Hilfe der Regierung. Die feierliche Einweihung einer neuen Hochgeschwindigkeitszugstrecke von Goa nach Mumbai, bei der er am Samstag dabei sein sollte, sagte Modi ab. Die Züge dort sind ausgestattet mit einem System zur Verhinderung von Kollisionen, das die am Freitag verunglückten Züge nicht hatten.

Die Regierung von Odisha machte den Samstag zu einem Tag der Trauer. Viele Züge fielen aus oder wurden umgeleitet. Das Büro des Premierministers kündigte – wie dies in Indien bei Unfällen in Zusammenhang mit der Infrastruktur üblich ist - schon kurz nach dem Unglück eine Entschädigung für die Angehörigen der Toten von je 200.000 Rupien (etwa 2300 Euro) an. Verletzte sollen etwa 50.000 Rupien bekommen.

RND/dpa/AP

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