2-Prozent-Ziel wieder verfehlt: Ampel gefährdet „Verteidigungsfähigkeit Deutschlands und des Bündnisses“
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Eine Rede und schöne Fotos: Die Opposition kritisiert, dass nach Scholz’ Ankündigung, mehr als 2 Prozent in Verteidigung zu investieren, keine Taten folgten.
© Quelle: Marcus Brandt/dpa
In der Nato droht ein neuer Streit über die Höhe der Verteidigungsausgaben der Mitgliedsstaaten. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hatte vorgeschlagen, den bisherigen Richtwert von 2 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) zum Mindestziel zu machen. Deutschland hatte in den vergangenen Jahren dieses Ziel immer verfehlt. Dies könnte „endgültig das noch vorhandene Vertrauen in Deutschlands Bündnissolidarität und Zuverlässigkeit“ verspielen, warnte der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Florian Hahn. „Die Frage der 2 Prozent ist längst schon keine rein nationale Entscheidung mehr, denn unsere Partner im Bündnis erwarten von Deutschland als Schwergewicht in der Allianz völlig zu Recht, dass wir uns endlich an die gemachten Zusagen halten“, sagte Hahn dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Der verteidigungspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Alexander Müller, begrüßte den Vorstoß von Stoltenberg. „In Deutschland kommt es zum jetzigen Zeitpunkt darauf an, dass wir die militärische Beschaffung stark beschleunigen und so den Einsatz des 100-Milliarden-Euro-Sondervermögens ermöglichen“, sagte er dem RND. Um mehr Geld in die Bundeswehr investieren zu können, sei eine schnelle, unbürokratische und effektive Beschaffung Voraussetzung. „Die Beschaffung muss Chefsache werden“, fordert Verteidigungspolitiker Müller und die Staaten müssten verinnerlichen, dass Investitionen in die eigene Sicherheit von enormer Bedeutung seien.
Bei der Zeitenwenderede im Februar kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) an: „Wir werden von nun an Jahr für Jahr mehr als 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung investieren.“ Verteidigungspolitiker Hahn kritisiert, dass dem keine Taten gefolgt sind. „Tatenlosigkeit bedeutet aber Gefährdung der Verteidigungsfähigkeit Deutschlands und des Bündnisses.“ Er forderte, der Verteidigungshaushalt muss „substanziell und kontinuierlich steigen“. Selbst die 2 Prozent werden seiner Einschätzung nach „nicht das Ende der Fahnenstange sein“.
Selbst die 2 Prozent werden nicht das Ende der Fahnenstange sein.
Florian Hahn,
verteidigungspolitischer Sprecher der Unionsfraktion
Beobachter wie der Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), Christian Mölling, glauben jedoch nicht daran, dass die Bundesregierung mehr Geld in die Hand nehmen wird. „Ich rechne nicht damit, dass Deutschland langfristig das 2-Prozent-Ziel einhalten wird“, sagt Mölling dem RND. „Wir können durch das Sondervermögen zweimal das 2-Prozent-Ziel erreichen, danach aber nicht mehr.“ Scholz habe bisher nicht gezeigt, dass er daran etwas ändern wolle. Auf Deutschland komme nun eine heiße Diskussion zu, so Mölling, da die Bundesrepublik im Vergleich mit anderen Staaten schlecht dastehe.
Nato-Chef Stoltenberg: Müssen mehr Waffen produzieren
„Wir brauchen eine enorme Menge an Munition. Wir brauchen Ersatzteile“, sagte der Norweger in einem BBC-Gespräch am Wochenende.
© Quelle: dpa
Die Grünen-Politikerin Sara Nanni erklärte, dass die Debatte über ein Mehr an Ausgaben für Verteidigung im NATO-Bündnis aufgrund der vermutlich dauerhaften Konfrontation mit Russland leider anstehe. „Allerdings wäre es besser, über konkrete Fähigkeiten zu sprechen, nicht über Prozente des BIP.“ Solche abstrakten Richtwerte seien sehr von der Konjunktur abhängig und führten nicht zu mehr Sicherheit, sagte Nanni dem RND.
Laut der jüngsten Nato-Prognose haben zehn der 30 Mitgliedsstaaten das 2-Prozent-Ziel im vergangenen Jahr erreicht. Deutschland zählt nicht dazu. Für das Jahr 2022 wurde eine Investitionsquote von 1,44 Prozent erwartet – das ist ein geringfügiger Anstieg, zwischen 2014 und 2021 lagen die Militärausgaben der Bundesrepublik bei durchschnittlich 1,3 Prozent. Von den Ausgaben entfielen 14 Prozent auf die Beschaffung von Equipment, zwischen 40 und 50 Prozent auf Personalkosten und zwischen 2 und 4 Prozent auf die Infrastruktur.
Andere Nato-Staaten investieren deutlich mehr: Estland hatte 2022 angekündigt, sein Verteidigungsbudget um 42 Prozent zu erhöhen und 3 Prozent seines BIP für Verteidigung auszugeben. Polen will 2023 ebenfalls 3 Prozent erreichen. Finnland und Schweden, die der Nato in diesem Jahr beitreten wollen, kündigten ebenfalls höhere Verteidigungsbudgets an. Schon im vergangenen Jahr betrugt das Verteidigungsbudget Finnlands mehr als 2 Prozent, Schweden will das 2-Prozent-Ziel 2023 ebenfalls erreichen.
Allerdings sind es vorwiegend kleine Staaten, die gemessen am BIP viel Geld in die Verteidigung investieren. „Absolut betrachtet handelt es sich aber nur um eine kleine Summe“, so Mölling. Den großen Anteil leisten Deutschland, Großbritannien und Frankreich. „Wie viel Geld Nato-Staaten in die Verteidigung stecken, hängt unter anderem von der geografischen Nähe zu Russland ab“, so Experte Mölling. Er rechnet damit, dass mittel- und osteuropäische Staaten jetzt höhere Ausgaben von westeuropäischen Regierungschefs fordern werden.
Wir erleben gerade eine Neulanderfahrung im Militärbereich.
Christian Mölling,
DGAP-Forschungsdirektor
Einer Analyse von McKinsey zufolge haben einige Nato-Länder nach dem Kalten Krieg die Waffenbestände in einigen Bereichen mehr als halbiert. Bei neun untersuchten Ländern ist die Zahl der Kampfpanzer von 18.941 im Jahr 1992 auf 4362 im Jahr 2022 gesunken. Ein Rückgang um 77 Prozent. Bei Kampfflugzeugen beträgt der Rückgang 57 Prozent. Die Ländern sollten sich laut McKinsey stärker abstimmen und gemeinsam Rüstungsgüter bei der Industrie in Auftrag geben, anstatt eine Vielzahl unterschiedlicher Modelle einzeln zu ordern.
„Wir erleben gerade eine Neulanderfahrung im Militärbereich“, sagt Militärexperte Mölling. Auf einmal stehe viel Geld für das Militär zur Verfügung, doch Verteidigung sei mehr, als nur Geld zu investieren. „Wir haben eine bislang halb volle Badewanne bis zum Rand mit Geld gefüllt, aber der Abfluss ist immer noch genauso groß wie früher.“ Die Bundeswehr habe sich eigene Regeln auferlegt, die eine schnelle Beschaffung ausbremsten. „Dazu zählt zum Beispiel die deutsche Zertifizierung von Munition und Fahrzeugen.“ Solche Vorgehensweisen kosten Zeit und Geld, mahnt der Experte.