Adolf Eichmann – Schlusspunkt am Galgen
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/26NEBGOAMZNXCA5NJYSYCJKKVM.jpg)
NS-Kriegsverbrecher Adolf Eichmann (Zweiter von links) steht während seiner Vernehmung am ersten Prozesstag vor dem Bezirksgericht in Jerusalem.
© Quelle: dpa
Berlin. Das Los fiel auf den 24-jährigen Schalom Nagar. Der knapp zehn Jahre zuvor nach Israel eingewanderte Jemenite muss im ersten Stockwerk des Ajalon-Gefängnisses von Ramla den Mechanismus bedienen, der die Falltür unter den Füßen Adolf Eichmanns öffnet.
Der 1. Juni 1962 ist gerade zwei Minuten alt. Der ehemalige SS-Obersturmbannführer fällt, mit einem Strick um den Hals, kurz nach Mitternacht in den Tod. Nagar ist sein Henker. Es ist sein erstes und einziges Mal, dass er einen Menschen tötet.
Adolf Eichmann, geboren in Solingen, war Protokollant der geheimen Wannseekonferenz am 20. Januar 1942. Dort wurde unter Leitung seines Chefs im Reichssicherheitshauptamt, SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich, der bereits beschlossene Massenmord an Jüdinnen und Juden strategisch geplant und detailliert organisiert.
Eichmann soll Lager besucht und Morde beobachtet haben
Es ging um den Transport der europäischen Jüdinnen und Juden in die Vernichtungslager, deren Planung und Bau sowie die Entwicklung von Vergasungsmethoden. Eichmann soll später Lager besucht und die Morde durch Gas beobachtet haben.
An Eichmann vollstreckte Israel das einzige Mal in seiner Geschichte die Todesstrafe. 60 Jahre ist das her.
Eichmanns Hinrichtung markiert den Schlusspunkt eines weltweit aufsehenerregenden Prozesses vor dem Jerusalemer Bezirksgericht und dessen spektakulärer Vorgeschichte mit der Entführung des Deutschen aus Argentinien. Eichmanns Ende war aber auch der Anfang der NS-Prozesse in der Bundesrepublik der 1960er-Jahre.
Israel zahlte Anwaltshonorar
55 Jahre alt war Eichmann, als der Prozess gegen ihn am 11. April 1961 eröffnet wurde. Sein Ankläger, der israelische Generalstaatsanwalt Gideon Hausner, warf ihm nach dem Gesetz zur Bestrafung von Nazis und Nazihelfern „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, „Verbrechen gegen das jüdische Volk“, die „Mitgliedschaft in einer verbrecherischen Organisation“ sowie Kriegsverbrechen vor.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/5F2RGKZUKYL3WJWJNA2AILX6MQ.jpg)
Karteikarte von Adolf Eichmann, dem 1962 in Tel Aviv hingerichteten Organisator des Massenmords an den Jüdinnen und Juden in den 1940er-Jahren in der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung Nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg.
© Quelle: Thoralf Cleven
Der bereits aus den Nürnberger Prozessen bekannte deutsche Anwalt Robert Servatius verteidigte Eichmann. Der Staat Israel kam für das Anwaltshonorar in Höhe von 20.000 US-Dollar auf, da die Bundesrepublik die Kostenübernahme verweigert hatte. Servatius war jedoch auch an den nicht zu knappen Einnahmen aus der Vermarktung von Eichmanns Erinnerungen beteiligt.
Zum Prozess in Jerusalem konnte es nur kommen, weil der israelische Geheimdienst Mossad Eichmann nach Israel entführt hatte.
Unter falschem Namen
Nach dem Krieg war er zunächst unter falschem Namen als Holzfäller in der Lüneburger Heide untergetaucht. Dann gelang ihm, nach kurzem Aufenthalt in einem Franziskanerkloster in Bozen, 1950 über die sogenannte Rattenlinie die Flucht nach Argentinien. Von nun an nannte sich der Holocaustmanager Ricardo Klement, holte seine Familie nach und fand eine Anstellung als Elektriker in einem Lkw-Werk von Daimler-Benz.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/SIGH56B4KBH5VEAOVBGHCZ5G54.jpg)
Adolf Eichmann vor dem Gericht in Jerusalem. Links unten ist sein Anwalt Robert Servatius zu sehen.
© Quelle: picture alliance / Everett Collection
Lange Zeit war unbekannt, dass die Bundesregierung spätestens seit 1952 wusste, dass Eichmann nahe Buenos Aires lebte. Die mit ehemaligen Nazis durchsetzte Organisation Gehlen, Vorgänger des Bundesnachrichtendienstes (BND), warnte jedoch davor, diese Information weiterzugeben. Denn der Gesuchte könne im Falle eines Prozesses zur Belastung für Bonn werden.
Bauer informierte Israel
Der Grund: Der Chef des Kanzleramts, Adenauers Vertrauter Hans Globke, hatte 25 Jahre zuvor als Beamter im NS-Innenministerium den Kommentar zu den Nürnberger Rassegesetzen mitverfasst. In der DDR bezeichnete ihn die SED-Propaganda deshalb als „Eichmann von Bonn“. Heute sind sich Historiker einig, dass Globke durch Verwaltungshandeln mitverantwortlich für die Judenvernichtung war.
Der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der nach dem Jerusalemer Prozess in der Bundesrepublik eine zentrale Rolle bei den NS-Prozessen spielen sollte, informierte 1957 die israelische Regierung, wo sich Eichmann aufhielt. Den Rest erledigte der Mossad in einer spektakulären Kommandoaktion, über deren Ablauf nach wie vor unterschiedliche Versionen kursieren. Fakt ist: Israels Premierminister David Ben Gurion verkündete am 23. Mai 1960, Eichmann sei nun in Israel inhaftiert.
Erdrückendes Beweismaterial
So fragwürdig das Verhalten der bundesdeutschen Regierung und auch die Entführung Eichmanns durch den israelischen Geheimdienst auf dem Boden eines souveränen Staats gewesen war – das Verfahren, das von Hunderten Journalistinnen und Journalisten beobachtet wurde, genügte allen rechtsstaatlichen Ansprüchen.
Das Beweismaterial war erdrückend: Rund 1600 Dokumente standen den Richtern zur Verfügung. 16 Jahre nach dem Holocaust berichteten nahezu 100 Überlebende der Vernichtungslager erstmals vor einer breiten Öffentlichkeit über den Horror von Verfolgung und Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden. Die Aussagen waren erschütternd, doch der „Cheflogistiker des Todes“ auf der mit Panzerglas vor Angriffen geschützten Anklagebank blieb kühl.
Adolf Eichmann beteuerte bis zum Schluss, er sei lediglich ein Rädchen im Getriebe gewesen, Einfluss hätte er keinen gehabt, er hätte nur Befehle befolgt und wäre somit im juristischen Sinne unschuldig. Die 1933 emigrierte jüdische Publizistin Hannah Arendt beschrieb Eichmann in ihren Berichten für „The New Yorker“ als Technokraten ohne Überzeugungen und prägte dafür später die Beschreibung der „Banalität des Bösen“.
Globke ungeschoren
Globke und damit auch Adenauer kamen ungeschoren davon. Eichmann schwieg. Ein Antrag seines Anwalts Servatius, Globke als Zeugen zu befragen, lehnte das Gericht – wohl auch in Folge des Agierens von Agenten verschiedener Geheimdienste im Hintergrund des Prozesses – ab. Diese Akten des BND sind übrigens bis heute unter Verschluss.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/VTCCU4WM2RGYFGCRODUZHGXGEI.jpg)
Bundeskanzler Konrad Adenauer (links) und Staatssekretär Hans Globke im Gespräch. Aufgenommen im September 1963 in der italienischen Hauptstadt Rom.
© Quelle: picture-alliance / dpa
Am 15. Dezember 1961 endet der Prozess gegen Adolf Eichmann. Am Ende räumt er zwar ein, dass es sich bei der Schoah um eines der schwersten Verbrechen in der Menschheitsgeschichte gehandelt hätte. Doch dafür könne er in keiner Weise verantwortlich gemacht werden. Verteidiger Servatius beantragt, das Verfahren einzustellen.
Die Richter unter dem Vorsitzenden Moshe Landau kommen zu einem anderen Schluss. Dokumente, Protokolle, Befehle und unterzeichnete Statistiken würden beweisen, dass Eichmann eine führende Rolle bei der Planung, Organisation, Ausführung und Überwachung des Holocausts gespielt hätte. Das Gericht schreibt Eichmann auch die Verantwortung für die massenhafte Tötung durch Giftgas in den Vernichtungslagern zu. Die Richter verhängen die Todesstrafe.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/TUPMVJQUZZHWXKN2ELNDP7FVY4.jpg)
Gnadengesuch Eichmanns.
© Quelle: picture alliance / dpa
Folgenreicher Prozess
Die Bedeutung dieses Prozesses, der weltweit im Rundfunk und Fernsehen übertragen worden war, liegt in seinen Folgen. Vor allem in der Bundesrepublik erwachte durch das Eichmann-Verfahren das breitere Interesse an der Aufklärung von Nazi-Verbrechen. Fritz Bauer trug dazu bei, dass die Zahl der Anklagen vor westdeutschen Gerichten deutlich stieg und ab 1963 die Auschwitz-Prozesse begannen.
Eichmann scheitert am 29. Mai 1962 mit einem Antrag auf Berufung und einem Gnadengesuch an den damaligen zweiten Staatschef Israels, Jitzchak Ben Zwi. Stunden vor seinem Tod nimmt ein Pfarrer Eichmann die Beichte ab. Die Henkersmahlzeit ist ein Glas Wein. Dann begleitet Schalom Nagar den Deutschen auf seinem letzten Gang zum Galgen.
Laden Sie sich jetzt hier kostenfrei unsere neue RND-App für Android und iOS herunter