Interview zum Flüchtlingsgipfel

Alabali-Radovan: „Müssen bereit sein für weitere Aufnahme aus der Ukraine“

Die Politikwissenschaftlerin Reem Alabali-Radovan, wird neue Staatsministerin für Integration im Bundeskanzleramt.

Integrations-Staatsministerin Reem Alabali-Radovan.

Frau Alabali-Radovan, Kommunen und Länder schlagen Alarm: Wieder werden Turnhallen zu Massenunterkünften umgebaut, wieder werden Zeltstädte errichtet. Was können Sie und Frau Faeser den Kommunal­verbänden beim Flüchtlings­gipfel am Dienstag anbieten?

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Der Bund hat bei der vergangenen Minister­präsidenten­­konferenz seine Mitverantwortung bei der Finanzierung der Unterbringung Geflüchteter deutlich bekräftigt. Diese Verantwortung nimmt der Bund bereits jetzt in erheblichem Maße wahr. Spätestens bis zu der nächsten Bund-Länder-Runde müssen die Finanzierungs­fragen abschließend geklärt werden. Bei den laufenden Gesprächen geht es auch um die Verteilung der Geflüchteten, orientiert am Königsteiner Schlüssel.

In den vergangenen Wochen hat zum Teil die Mehrzahl der Bundesländer Sperren im Verteilungs­system eingetragen, teilweise über mehrere Wochen – ist das vorbei?

Es ist nicht ungewöhnlich, dass Länder sich zeitweise aus dem System ausklinken, wenn sie an Kapazitäts­grenzen kommen. Aufnahme und Verteilung laufen im Großen und Ganzen gut, aber nicht immer und nicht überall. Wir nehmen die Sorgen der Kommunen sehr ernst. Es ist eine große, gemeinsame Kraftanstrengung von Bund, Ländern und Kommunen.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige
Merz entschuldigt sich für „Sozialtourismus“-Vorwurf

Am Montagabend hatte CDU-Chef Friedrich Merz bei Bild TV ukrainischen Geflüchteten „Sozialtourismus“ vorgeworfen.

Sie treffen sich mit den kommunalen Spitzenverbänden. Auch einige Bundesländer wären gern dabei und möchten auch über Geld reden, nicht nur über die Verteilung. Warum geht das nicht?

Die Länder sind bei dem Spitzengespräch dabei. Es geht um Fragen zu Ankunft, Unterkunft und Steuerung. Finanziell unterstützt der Bund bereits in erheblichem Maße – rund 2 Milliarden Euro wurden bereits im April zugesagt – und es ist eine erhebliche Entlastung für die Länder, dass die ukrainischen Geflüchteten wie Grundsicherungs­empfänger behandelt werden, deren Kosten der Bund übernimmt. Zudem stellt der Bund mehr als 300 Liegenschaften zur Verfügung. Im gemeinsamen Gespräch wird es darum gehen, wo weitere Unterstützung nötig ist.

Befürchten Sie neue Flucht­bewegungen aus der Ukraine, wenn die Luftangriffe anhalten und der Winter naht? Sind wir darauf vorbereitet?

Zurzeit sind die Zahlen der neu ankommenden Geflüchteten aus der Ukraine weiter rückläufig, rund 150 pro Tag, aber ein harter Kriegswinter kann das ändern. Eine veränderte Fluchtbewegung trifft zunächst die direkten Nachbarn Polen und Tschechien, das haben wir in den vergangenen Monaten gesehen. Wir müssen daher in engem Austausch mit unseren Nachbarländern bleiben und bereit sein zur weiteren Aufnahme von Menschen, die vor Krieg und großer Not aus der Ukraine fliehen.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Polen und die anderen Nachbarländer der Ukraine haben Unglaubliches geleistet bei der Aufnahme der Ukrainerinnen und Ukrainer. Bei der neuen Balkanroute, die durch Tschechien geht, sieht es wieder anders aus: Die Menschen werden nach Deutschland durchgewunken, eine europäische Lösung gibt es nicht. Wie kann sich das ändern?

Wir brauchen dringend weitere Anstrengungen für ein neues europäisches Asylsystem. Das ist mühsam, und es ist nach den Wahlen in Italien und Schweden nicht einfacher geworden. Aber wir können die Augen nicht davor verschließen, dass es immer Fluchtbewegungen geben wird, Menschen vor Krieg und Leid fliehen, und dass Europa immer ein Ziel dieser Fluchtbewegungen bleibt.

NRW-Innenminister Herbert Reul im RND-Videointerview

Im RND-Interview sprach NRW-Innenminister Reul über die Aufnahme russischer Deserteure, den Kampf gegen Clankriminalität und die Vorratsdaten­speicherung.

Friedrich Merz und die Union reden von „Pull-Faktoren“ durch Bürgergeld und Chancen­aufenthalts­recht. Letzteres soll in den kommenden Wochen beschlossen werden, Sie haben sich dafür starkgemacht. Schaffen wir falsche Anreize für Menschen, sich auf den Weg nach Deutschland zu machen?

Nein. Friedrich Merz hat da versucht, für Stimmen zur Landtagswahl am rechten Rand zu fischen, das war unerträglich. Das Chancen­aufenthalts­recht kommt mit einer klaren Stichtags­regelung: Wer am 1. Januar 2022 mindestens fünf Jahre geduldet in Deutschland lebt, soll hier bleiben und arbeiten dürfen. Wir wollen den menschenunwürdigen Zustand der Ketten­duldungen abschaffen, der Menschen über viele Jahre zum Nichtstun zwingt, und ihnen endlich eine Perspektive geben. Es handelt sich dabei um rund 135.000 Menschen, die unter diese Stichtags­regelung fallen können. Neue Anreize schafft das Gesetz damit nicht. Es geht darum, Ungerechtigkeiten abzuschaffen für die Menschen, die schon lange da sind.

Soll in den Iran weiter abgeschoben werden?

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Auf keinen Fall. Ich unterstütze den Vorschlag von Boris Pistorius, der für die nächste Innenminister­konferenz einen Abschiebestopp auf die Tagesordnung gesetzt hat. Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und andere Bundesländer haben bereits entschieden, nicht mehr in ein Land abzuschieben, dessen Regime willkürlich friedliche Demonstrantinnen umbringt. Weitere Bundesländer sollten sich dem schnellstmöglich anschließen. Dazu bin ich mit Nancy Faeser und meinen Länder­kolleginnen im Austausch.

Wie viel Solidarität mit aus der Ukraine Geflüchteten ist knapp acht Monate nach dem Beginn des russischen Überfalls noch übrig? Wie gefährlich sind die aufkommenden Neiddebatten?

Es gibt in Deutschland nach wie vor eine große Solidarität, das erlebe ich in vielen meiner Gespräche. Es sind jetzt weniger Geflüchtete als im Frühjahr privat untergebracht, aber das ist kein Zeichen dafür, dass die Solidarität abnimmt. Es ist normal, dass Menschen sich nach einigen Monaten eine eigene Unterkunft suchen. Das ist auf dem angespannten Wohnungsmarkt nicht einfach, damit müssen wir jetzt umgehen. Ich habe gerade erst mit ukrainischen Migranten­organisationen gesprochen, auch sie nehmen weiter eine große Solidarität wahr und sind dankbar für die gute Aufnahme von ukrainischen Geflüchteten. Es gibt immer wieder unsägliche Kampagnen gegen Geflüchtete, auch aus russischen Propaganda­schleudern. Dem müssen wir entschieden entgegentreten.

Laden Sie sich jetzt hier kostenfrei unsere neue RND-App für Android und iOS herunter.

Mehr aus Politik

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige
Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Outbrain UK Ltd, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken