„Alle machen mit, alle haben Lust“ – was junge Freiwillige über ihren Dienst berichten
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Freiwilliges Engagement als Lebenserfahrung: Hanna Röhrs, Hannah Schönefeld und Simon Spelsberg absolvieren einen Freiwilligendienst – und sind begeistert.
© Quelle: privat
Berlin. Die Debatte rund um eine Dienstpflicht für junge Leute flammt regelmäßig auf, so auch in diesem Spätsommer. Kurz bevor die Parteien ihre Grundsatz- und Wahlprogramme für die nächste Bundestagswahl verfassen, beziehen immer mehr Politiker und Verbände Stellung zum Thema. Im Fokus diesmal der neue Freiwillige Wehrdienst im Heimatschutz, die Idee der Wiedereinführung von Wehrpflicht und Zivildienst sowie die Idee eines Gesellschaftsdienstes des Zukunftsforschers Daniel Dettling.
Doch was sagen eigentlich diejenigen, die sich auch ohne Verpflichtung zu einem freiwilligen Engagement für die Gesellschaft entschlossen haben? Fünf Freiwilligendienstleistende erzählen im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND), was sie motiviert, wie das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) und andere Freiwilligendienste ihr Leben verändert haben und wie wichtig die Rolle der freien Entscheidung für sie ist.
Hanna Röhrs (23): „Ein Pflichtdienst hätte das nicht erreicht“
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Hanna Röhrs restauriert als FSJlerin im Bereich Denkmalpflege alte Malereien.
© Quelle: privat
„Durch das FSJ habe ich gelernt, was ich wirklich will. In meinem FSJ für die Internationalen Jugendgemeinschaftsdienste (IJGD) bei den Jugendbauhütten der Deutschen Stiftung Denkmalschutz habe ich bis Ende August in ganz Brandenburg und Berlin bei der Erhaltung von Denkmälern mitgearbeitet, in Kirchen, Klöstern und Schlössern.
Auf die Idee, mich für den Denkmalschutz zu engagieren, bin ich erst nach meinem Bachelorabschluss gekommen. Doch auch dann hat mir das FSJ noch sehr viel gebracht: Ich wurde nicht nur direkt an der Restaurierung von Gemälden, Malereien, Stoffen und Schriftstücken beteiligt. Ich durfte auch an Seminaren teilnehmen und altes Handwerk direkt kennenlernen. So etwas führt dazu, dass man Dinge ausprobiert, zu denen man sonst nie Gelegenheit hätte.
Wäre ich nach dem Abitur zu einem Dienst verpflichtet gewesen, wäre ich wohl nie darauf gekommen, mich in der Denkmalpflege zu engagieren. Zu dem Zeitpunkt wusste ich ja noch gar nicht, was ich will. Nach dem Studium der Kunstgeschichte war das anders, da wusste ich genau was ich wollte, da wollte ich Erfahrung sammeln. Und jetzt bin ich mir sicher: Das ist es, was ich aus meinem Leben machen möchte. Ich glaube, ein Pflichtdienst hätte das bei mir nicht bewirken können.“
Jonathan Schol (21): „Warum sollte man die Leute aufhalten?“
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Jonathan Schol absolviert sein FSJ beim Arbeiter Samariterbund in Berlin.
© Quelle: privat
„Ich habe in den vergangenen zwölf Monaten hauptsächlich einen Newsletter und die Notfall-App ‚Berlin schockt‘ des Arbeiter Samariterbundes (ASB) mitbetreut. Mit Hilfe der App kann im Falle eines Herzinfarktes schnell Hilfe angefordert werden. Gearbeitet habe ich in Vollzeit und dafür monatlich 345 Euro bekommen.
Allein davon könnte man nicht leben. Wichtig für die Entscheidung, es dennoch zu tun, war, dass der Bundesfreiwilligendienst als Praxisteil für mein Fachabitur anerkannt wird. Außerdem kommt das gesellschaftliche Engagement bei vielen Hochschulen gut an und gibt Extrapunkte bei der Bewerbung.
Ich denke, Freiwilligendienste sind generell ideal für alle, die sich ausprobieren und herausfinden wollen, ob ein bestimmter Bereich etwas für sie ist. Eine Pflicht zu so einem Dienst finde ich nicht sinnvoll. Viele Leute wissen nach dem Abitur genau, was sie machen wollen, warum sollte man die aufhalten?“
Anna-Ida Almus (19): „Alle machen mit, alle haben Lust“
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Anna-Ida Almus produziert in ihrem FSJ Kultur beim Kulturbüro Münsterland einen eigenen Podcast.
© Quelle: Münsterland e.V.
„Kulturschaffende haben es in der Corona-Krise schwer. In meinem FSJ beim Kulturbüro Münsterland, das ich im Sommer beendet habe, konnte ich ihnen ein wenig helfen. Beim Kulturbüro unterstützen wir nämlich Künstler bei ihrer eigenen Vermarktung, organisieren aber auch selbst Events.
Nach dem Abitur hatte ich eigentlich mit einem Schauspielstudium geliebäugelt. Darum habe ich mich dann auch für ein FSJ Kultur entschieden. Dabei merkte ich dann aber schnell, dass es doch Kommunikationswissenschaft werden soll. Das FSJ hat mich also darin bestärkt, worüber ich vorher nur vage nachgedacht hatte.
Im Nachhinein war es für mich ein Glücksfall, dass ich mich dafür entschieden habe, mich freiwillig für ein Jahr im Bereich der Kultur zu engagieren. Ich bin wirklich froh, dass ich das gemacht habe. Hier habe ich so viele Erfahrungen wie noch nie gesammelt, und das ohne Prüfungsdruck wie in der Schule. Ich hatte sogar ein eigenes Projekt: einen Podcast, den ich selbst produzieren durfte – Kommunikation eben.
Mit einer Dienstpflicht wäre für mich bestimmt vieles anders gelaufen. Wenn man gezwungen wird, dann macht man halt irgendwo seinen Dienst und denkt nicht darüber nach, was einem Spaß macht. Bei denen, die sich freiwillig engagieren, ist das ganz anders. Das habe ich gespürt, wenn ich in Workshops andere FSJler getroffen habe. Da merkt man: Alle sind freiwillig da, alle machen mit, alle haben Lust. Das ist ein Gewinn für alle Beteiligten, und ich kann jedem nur empfehlen, es selbst auszuprobieren.“
Simon Spelsberg (19): „Man wächst als Mensch und Persönlichkeit“
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Simon Spelsberg bildet in seinem FSJ bei den Maltesern Ersthelfer aus und betreut Demenzerkrankte.
© Quelle: privat
„Was ich studieren wollte, wusste ich als Oberstufenschüler noch nicht. Aber ich wusste genau, was ich nach dem Abitur machen wollte. In der Schule habe ich im Schulsanitätsdienst mitgemacht. Das hat mir so viel Spaß gemacht, dass ich schon in der elften Klasse wusste: In dieser Richtung wollte ich in einem FSJ weitermachen. Damit bin ich bei den Maltesern in der Diözese Essen gelandet. Ich betreue Demenzerkrankte und bildete in Erste-Hilfe-Kursen junge und alte Menschen aus, damit sie im Notfall etwas tun können.
Und das war eine der besten Entscheidungen meines Lebens. Im Tagestreff für Demenzerkrankte habe ich gelernt, den Kontakt zu älteren Menschen wertzuschätzen. Und man spürt dort, dass man mit seiner Arbeit allen Beteiligten – Kranken, Angehörigen und sich selbst – etwas Gutes tut.
Was ich nach dem FSJ studieren will, weiß ich jetzt auch. In den Erste-Hilfe-Kursen habe ich gemerkt: Vor einer Gruppe stehen, liegt mir. Darum möchte ich jetzt auf Lehramt studieren. Vor meinem FSJ war das nur eine von vielen Optionen, über die ich nachgedacht habe.
Man wächst im FSJ als Mensch und Persönlichkeit. Eine Dienstpflicht hätte für mich nicht viel verändert, ich habe mich ja früh für genau dieses Engagement entschieden. So ein Jahr macht aber auch deshalb Spaß, weil man von jungen Leuten umgeben ist, die sich ebenfalls freiwillig einsetzen und Spaß an der Sache haben. Diese gemeinsame Entscheidung verbindet uns – auch, wenn das Taschengeld schon einmal knapp werden kann.“
Hannah Schönefeld (20): „Ein politisches Jahr“
Hannah Schönefeld absolviert ihr Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ) auf dem Kinderbauernhof Pinke Panke in Berlin-Pankow.
© Quelle: privat
„In meinem Freiwilligen Ökologischen Jahr habe ich den Menschen das Leben mit der Natur und den Tieren nähergebracht. Ich habe bis Ende August auf dem Kinderbauernhof Pinke Panke in Berlin-Pankow gearbeitet. Dort habe ich so einige prägende Situationen erlebt. Zum Beispiel sind Jugendliche zu mir gekommen, die gesagt haben: Ich habe noch nie ein Schwein gesehen. Und da frage ich mich: Wie soll man dann lernen, wie man mit Tieren und der Natur umgeht? Das FÖJ kann hier ein wichtiger Berührungspunkt sein, glaube ich.
Auf dem Bauernhof habe ich die Tiere gefüttert und mit Kindergruppen gearbeitet. Neben der Arbeit in der Einsatzstelle, habe ich mich für alle Ökologischen Freiwilligendienstleistenden in Deutschland eingesetzt. Dafür gibt es bei uns ein Sprechersystem, in dem Freiwillige aus allen Bundesländern vertreten sind. Hier können wir uns politisch einbringen und die Gesellschaft mitgestalten. Das FÖJ ist ein politisches Jahr. Hier bekommt man die Klimakrise und Wasserknappheit direkt mit, und darüber reden die FÖJ-Sprecher auch mit Politikern.
Durch das FÖJ habe ich so viele Ideen und Anregungen für meine Zukunft bekommen, dass ich das gar nicht alles in einem Beruf unterkriegen kann. Deshalb steht für mich fest, dass ich mich auch jetzt, nach meinem FÖJ, weiter sozial engagieren will.
Ich habe deshalb so große Lust dazu, mich einzubringen, weil ich das alles freiwillig gemacht habe. Und ich glaube, das geht vielen anderen auch so. Wenn Leute überhaupt keine Lust haben und dann für ein Jahr in diese Berufe gehen müssen – was bringt das den Leuten und den Einsatzstellen? Als eine der Bundessprecherinnen des FÖJ positioniere ich mich klar gegen eine Dienstpflicht und plädiere dafür, freiwilliges Engagement zu stärken.
Ich persönlich denke außerdem: Um mehr Menschen für den Freiwilligendienst zu begeistern, müsste man über andere Möglichkeiten in der Schule nachdenken. In Irland ist zum Beispiel ein Schuljahr nur für soziales Engagement und Praktika da – so etwas wäre doch auch hier sinnvoll.“