Zali Steggall: Wie eine ehemalige Profiskifahrerin Australiens Politik umkrempelt
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Die australische Politikerin und ehemalige Profiskifahrerin Zali Steggall spricht auf einer Wahlkampfveranstaltung.
© Quelle: Ash Berdebes/Wahlkampfteam Zali Steggall
Sydney. Australiens Wahl Ende Mai hat nicht nur dem bisherigen Mitte-rechts-Bündnis ein Ende gesetzt und die Sozialdemokraten zurück in die Regierung katapultiert: Die Wahl hat auch die Türen für eine Reihe parteiloser Stimmen im Parlament geöffnet. Diese sogenannten Teal-Independents, wie sie in Australien genannt werden, sind fast alle Akademikerinnen, die sich für das Klima einsetzen und mehr Integrität in der Politik fordern.
Den Trend trat Zali Steggall los, eine ehemalige Profiskifahrerin und erfolgreiche Anwältin. „Ich mochte meinen Beruf, doch ich war der festen Überzeugung, dass wir ein besseres Parlament, eine bessere Debatte und vor allem mehr Frauen brauchten, die sich etwas zu sagen trauten“, berichtete sie im Zoom-Interview.
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Steggall hatte ihren eigenen Durchbruch bereits 2019: Damals entthronte sie den einstigen australischen Premierminister Tony Abbott in einem bis dahin als sicher geltenden liberalkonservativen Wahlkreis in Sydney. Eine „Grassroots“-Kampagne katapultierte sie quasi über Nacht ins Parlament – entstanden aus der Frustration über einen Politiker, der „in der Vergangenheit verhaftet war“, anstatt in die Zukunft zu blicken, wie Steggall es formulierte.
Kulturelles Problem in Canberra
Drei Jahre nach ihrem Sieg über das „Urgestein der australischen Politik“ stand Steggall erneut im Rampenlicht – nicht nur weil ihre neue Gegenkandidatin der Liberalkonservativen mit umstrittenen Thesen zu Transgendermenschen negativ auffiel, sondern auch, weil ihr Erfolg die Inspiration für die Welle an unabhängigen Kandidatinnen lieferte.
„Ich denke, vielen Leuten hat es nicht gefallen, dass einige der vermeintlich sicheren Sitze die Wähler als selbstverständlich hingenommen haben“, sagte Rebecca Wilcox, eine Studentin, die ebenfalls für die unabhängige Kandidatin in ihrem Wahlkreis gestimmt hat. Die 18-Jährige gesteht, dass sie vor allem angesichts des Machoverhaltens großer Teile der Politik verärgert war. „Es besteht ein kulturelles Problem in Canberra, das nicht durch ein paar Seminare gelöst werden kann.“
Frustration in der Bevölkerung
Losgetreten hat die Welle dieser Unzufriedenheit eine junge Frau, die einst im Parlament in Canberra arbeitete. Sie soll 2019 von einem Kollegen im Büro einer Ministerin vergewaltigt worden sein. Der Ärger formierte sich aber erst im vergangenen Jahr in einer Bewegung, als ein weiterer, in diesem Fall historischer Missbrauchsvorwurf ans Tageslicht kam, der den früheren australischen Justizminister betraf.
In beiden Fällen verhielt sich der damals zuständige Regierungschef, Abbotts Nachfolger Scott Morrison, zurückhaltend und wühlte damit die Stimmung im Land auf. „2021 war ein Wendepunkt für die australische Politik“, sagte Steggall. Gleichzeitig war das Verhalten Morrisons symptomatisch für seine gesamte Amtszeit, in der das Land neben der Pandemie Dürren, Buschfeuer und Überschwemmungen historischen Ausmaßes durchmachen musste. So fuhr er während der tragischen Buschfeuer 2019/2020 in den Urlaub nach Hawaii und verärgerte seine Landsleute mit Bemerkungen wie „er müsse ja keinen Löschschlauch halten“.
Anthony Albanese als neuer Premierminister von Australien vereidigt
Zwei Tage nach den Parlamentswahlen in Australien legte der 59-jährige Labor-Chef Anthony Albanese seinen Amtseid ab.
© Quelle: Reuters
Steggall und ihr Team machten sich zunutze, dass die Frustration in der Bevölkerung stetig zunahm. „Wenn man unzufrieden mit dem Status quo ist, dann kann man nicht am Rand sitzen, sondern muss selbst etwas tun und Teil der Lösung sein.“ Die Politikerin führte unzählige Videotelefonate mit anderen städtischen Wahlkreisen und lieferte tatkräftige Unterstützung für weitere „Grassroots“-Kampagnen. Die Bewegung der „Unabhängigen“, der sogenannten Teal-Kandidaten, wie sie sich aufgrund der gewählten türkisen Kampagnenfarbe nannten, war geboren.
Ende des Zweiparteiensystems?
Vor allem der Kampf gegen den Klimawandel, aber auch die Einführung einer unabhängigen Integritätskommission gegen Veruntreuung und Korruption in der Politik fand bei den Gemeinden Zuspruch. Hatte das Zweiparteiensystem – sozialdemokratische Labor Party versus liberalkonservative Koalition – bei den letzten Wahlen im Jahr 2019 noch funktioniert, stellten die Teal-Kandidaten es bei der Wahl im Mai nun auf den Kopf.
Obwohl die Labor Party aufgrund des australischen Wahlsystems tatsächlich mit einer Mehrheit von 77 Sitzen regieren kann, stimmte letztendlich einer von drei wahlberechtigten Australiern für eine kleinere Partei oder einen unabhängigen Kandidaten. „Ich hoffe, dass das das Ende des Zweiparteiensystems einläutet“, sagte Steggall. Letzteres sei zu simplistisch, lasse zu viele Stimmen verstummen und versage dabei, Reformen anzustoßen. „Ich finde, man muss keine Partei formen“, ist ihre Meinung. Parlamentarier könnten auch ohne Parteibuch zusammenarbeiten.
Frauen „Macht geben“
Der Sieg der unabhängigen Kandidatinnen läutete aber noch eine weitere Zeitenwende im australischen Parlament ein: So ist dieses inzwischen diverser als je zuvor – zehn von 22 Ministerien werden von Frauen geführt und mit Penny Wong steht erstmals eine Asiatin dem Außenministerium vor. Steggall erfreut diese deutlich verbesserte Repräsentation von Frauen, sie betont aber auch, dass den Frauen nun die „Macht“ gegeben werden muss, um wirklich etwas bewirken zu können.
An Letzterem arbeitet sie selbst bereits auf Hochtouren: Während des Gesprächs zählt sie die vielen Meetings auf, die sie seit der Wahl bereits gehalten oder anberaumt hat, um vor allem ihr Herzensprojekt, die „Climate Bill“, doch noch durchsetzen zu können. Dieser Gesetzentwurf sieht vor, dass Australien seine Emissionen bis 2030 um 60 Prozent unter das Niveau von 2005 senkt, ein Vorschlag, der unter der früheren Regierung zum Scheitern verurteilt war.
Steggall setzt nun auf den neuen Premier Anthony Albanese, der seine Labor-Partei zu immerhin 43 Prozent verpflichtet hat – ein deutlicher Sprung von den 26 bis 28 Prozent der Vorgängerregierung. Vielleicht seien einige Abstriche nötig, sinnierte Steggall, sie sei aber auf alle Fälle bereit, mit der Regierung an einer Lösung zu arbeiten.
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