Austritt der Türkei aus Istanbul-Konvention: Das sind die Reaktionen
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Schon am Samstag wollten Aktivistinnen gegen den türkischen Ausstieg aus der Istanbul-Konvention auf die Straße gehen.
© Quelle: Emrah Gurel/AP/dpa
Istanbul. Die Türkei ist aus der Istanbul-Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt an Frauen ausgetreten. In der Nacht zum Samstag wurde ein entsprechendes Dekret von Präsident Recep Tayyip Erdogan publik gemacht, das Ankaras Ratifizierung des Vertrags aufhebt.
Beobachter sprachen von einem schweren Schlag für Verfechter und Verfechterinnen von Frauenrechten, die die Konvention als ein wichtiges Werkzeug zur Bekämpfung häuslicher Gewalt ansehen. Schon am Samstag wollten Aktivistinnen gegen den türkischen Ausstieg aus der Istanbul-Konvention auf die Straße gehen.
Einige Vertreter der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP von Erdogan hatten sich für für eine Überarbeitung der Konvention ausgesprochen, da sie zu Ehescheidung ermutige und traditionelle Familienwerte untergrabe. Hardliner behaupten auch, der Vertrag fördere Homosexualität durch den Gebrauch von Begriffen wie sexueller Orientierung, Geschlecht und Geschlechtsidentität.
Dies bedrohe die türkischen Familien, argumentieren sie. Beobachter nehmen vor diesem Hintergrund auch eine Zunahme von Hassreden in der Türkei wahr. Erst kürzlich bezeichnete Innenminister Süleyman Soylu Mitglieder der LGBT-Gemeinde in einem Tweet als „Perverse“. LGBT ist die englische Abkürzung für lesbisch, schwul, bisexuell und transgender.
Die Generalsekretärin des Europarates, Marija Pejčinović Burić, übte scharfe Kritik am türkischen Austritt aus der Istanbul-Konvention. Der Entschluss sei „niederschmetternd“ und ein „riesiger Rückschlag“ für bisherige Anstrengungen. Besonders beklagenswert sei der Schritt Ankaras, weil er „den Schutz von Frauen in der Türkei, in ganz Europa und darüber hinaus untergräbt“.
Bundestagsvize Roth: „Ein Schlag ins Gesicht der Frauen“
Frauengruppen und ihre Mitstreiter machen sich für den Erhalt der Istanbul-Konvention stark. Sie riefen zu Demonstrationen unter dem Motto „Nimmt die Entscheidung zurück, wendet den Vertrag an“ in der ganzen Türkei auf.
Die Ministerin für Familie, Arbeit und Soziales, Zehra Zümrüt Selcuk, betonte via Twitter, dass die Rechte von Frauen nach wie vor durch türkische Gesetze geschützt seien. Das Justizsystem sei „dynamisch und stark genug“, neue Regelungen einzuführen. Gewalt an Frauen sei ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, schrieb die Ministerin. Die Regierung werde auch weiterhin „null Toleranz“ dafür haben.
Einige Juristen verwiesen darauf, dass die Istanbul-Konvention für die Türkei weiterhin Gültigkeit habe. Schließlich könne Erdogan das Land nicht einfach ohne Zustimmung des Parlaments austreten lassen, das den Vertrag 2012 ratifizierte. Doch nach seiner Wiederwahl 2018 gingen weitreichende Machtbefugnisse auf den Präsidenten über, die zulasten des parlamentarischen Systems mit erweiterten Rechten für die Exekutive einhergehen.
Die Grünen-Politikerin Claudia Roth verurteilte den Austritt der Türkei aus dem Abkommen scharf. Es sei „ein Schlag ins Gesicht der Frauen sowie aller demokratisch gesinnten Menschen in der Türkei“, sagte die Bundestagsvizepräsidentin der Deutschen Presse-Agentur.
Der Austritt zeige, „wie hohl und substanzlos die bisherigen Behauptungen und Ankündigungen von Erdogan und seiner Regierung sind, man arbeite an der Wiederannäherung zu Europa und an einem neuen Menschenrechtsplan“, so Roth. Anfang März hatte der türkische Präsident einen „Aktionsplan“ zur Stärkung von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit im Land angekündigt.
RND/AP/dpa