Baden-Württemberg: der grüne Platzhirsch im einst schwarzen Stammland
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Am Sonntag zählt's: Susanne Eisenmann (CDU) tritt in der Landtagswahl in Baden-Württemberg gegen den amtierenden Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) an.
© Quelle: imago images/Arnulf Hettrich, Sebastian Gollnow/dpa, Montage RND
Stuttgart. Die Alpenveilchen sind nicht das Problem, die nehmen die Leute gern. „Bitte sehr“, sagt Susanne Eisenmann und drückt einem Mann mit Stoffbeutel ein Plastiktöpfchen mit rosafarbenen Blumen in die Hand. „Sie müssen’s nur gießen.“ Sie lacht, es ist ein sattes lautes Lachen. Als wäre es nicht ziemlich kalt und zugig in dieser Stuttgarter Ladenpassage zwischen Schuhreparaturdienst, Apotheke und Supermarkt. Als wäre die Lage auch sonst entspannt und auf dem Kalender stünde eine andere Jahreszahl, 2006 zum Beispiel.
Dann nämlich wäre die Sache klar: Wenn am Sonntag Landtagswahl wäre in Baden-Württemberg, gewänne die CDU, so wie in den Jahrzehnten davor. Die Baden-Württemberger müssten nur wählen. Und Eisenmann, Spitzenkandidatin der CDU, würde Ministerpräsidentin.
Aber es ist ja nicht mehr so wie früher. Zwei Wahlperioden lang stellen nun bereits die Grünen den Ministerpräsidenten, erst mit Unterstützung der SPD, seit 2016 in einer Koalition mit der CDU. Das ist auch schon wieder eine so lange Zeit, dass dieser Ministerpräsident namens Winfried Kretschmann mit spöttischem Blick von den Wahlplakaten grüßt. „Sie kennen mich“ steht darauf.
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Stuttgart: "Sie kennen mich" steht auf einem Winfried Kretschmann-Wahlplakat für die Landtagswahl geschrieben.
© Quelle: Christoph Schmidt/dpa
Merkels Botschaft
Mit dieser Botschaft, die keinen Inhalt hat außer dem Appell ans Vertrauen, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der letzten Bundestagswahl für sich Werbung gemacht. Der Grüne Kretschmann hat sich das Zitat von der CDU-Frau geliehen und damit auch die Botschaft: Läuft doch alles, keine Experimente.
Am einen Ende der Ladenpassage hängt auch so Plakat, Eisenmann hat sich mit ihren Blumen und ihren Flugblättern ans andere gestellt. Sie habe ein gutes Gefühl, sagt sie und lacht wieder. Aber die Umfragen sehen die Grünen da bereits deutlich vorne. Kurz vor der Wahl am Sonntag sagen die Umfragen ein historisch schlechtes Ergebnis für die CDU voraus. Zuletzt ist noch die Maskenaffäre hinzugekommen, in deren Mittelpunkt auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Nikolas Löbel aus Baden-Württemberg steht.
Es sieht ganz so aus, als würde Kretschmann ein drittes Mal Ministerpräsident. Die Grünen könnten damit in dem wirtschaftlich starken Bundesland ihren Status als stärkste politische Kraft festigen.
Im Bund warten die Parteichefs Annalena Baerbock und Robert Habeck auf dieses Signal – dass die CDU besiegbar ist. Sie wollen versuchen, mit ihrer Partei zum ersten Mal das Kanzleramt zu erobern.
Eine Art Sonderling
Dabei ist der, von dem das Signal ausgehen soll, einer mit einem Sonderstatus in der Partei. Kretschmann ist eine Art Sonderling, der sich um die Parteilinie oft wenig schert. Er hat für eine Kaufprämie für moderne Dieselautos gekämpft und war damit näher an den Ministerpräsidenten anderer Länder mit Automobilindustrie wie Markus Söder aus Bayern und Stephan Weil aus Niedersachsen als an den Vorstellungen der Grünen-Zentrale.
„Wen würde sie wählen, wenn am Sonntag Klimawandel wäre“, plakatiert deshalb die Klimaliste mit einem Foto der Erde. Das „sie“ ist absichtlich kleingeschrieben. Die Klimapolitik der Grünen sei zu wenig ehrgeizig, sagt ihr Sprecher, der Biochemiestudent Alexander Grevel. Ein Teil der Spitzenleute hat sich zwar Anfang des Jahres zurückgezogen, um die Grünen nicht zu schwächen, aber in fast in allen Wahlkreisen gibt es Kandidaten.
Kretschmann zeigt sich unberührt: „Ich wüsste nicht, was man mit der neuen Partei schneller hinbekommen sollte“, sagt er. Schließlich müsse man ja Mehrheiten organisieren.
Die könnten erneut grün-schwarz gefärbt sein nach der Wahl. Er wolle keine Experimente, hat Kretschmann gesagt. Aber er hat schon mit der SPD regiert, die ein ganz anderes Duell bestreiten muss in dieser Wahl: Sie ringt mit der FDP um die Plätze der dritt- und viertstärksten Partei.
FDP setzt auf Zitrone
Die Liberalen geben sich richtiggehend aufgekratzt. Eine Ampelkoalition mit Grünen und SPD könnte ihre Rückkehr an die Regierung ermöglichen. Der liberale Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, Marco Buschmann, empfahl sogar bereits eine grün-gelbe „Zitruskoalition“ als „energetisierenden Vitamincocktail“ für Baden-Württemberg. Nicht nur nebenbei wäre das für die FDP die Möglichkeit, kurz vor den Bundestagswahlen die Jamaika-Verweigerungsscharte im Bund etwas in Vergessenheit geraten zu lassen.
Ampel oder Zitrone – die CDU fände sich dann als Oppositionspartei wieder, neben der AfD, die in Baden-Württemberg bisher ihre besten westdeutschen Ergebnisse erzielt hat. Ob dies so bleibt, ist offen: Der Landesverband gilt als tief zerstritten, auch zwei der Hauptkontrahenten auf Bundesebene – Fraktionschefin Alice Weidel und Parteichef Jörg Meuthen – gehören ihm an.
Und auch in der CDU könnte der nächste Grabenkampf bevorstehen. In der Fehleranalyse, die bei manchen in der CDU schon vor dem Wahltag begonnen hat, kommt Eisenmann nicht gut weg. Sie hat mal das Büro des damaligen Ministerpräsidenten Günther Oettinger geleitet, sie tritt robust auf und hat im Rennen um die Spitzenkandidatur CDU-Chef Thomas Strobl geschickt ausgebootet. Aber als Kultusministerin ist sie nicht nur Teil des Kretschmann-Kabinetts, was Angriffe ohnehin erschwert. Die 56-Jährige ist außerdem verantwortlich für die Schulpolitik, die in Corona-Zeiten noch schwieriger ist als sonst.
Platon als Zeuge
Um Weihnachten herum sprach sie sich für Öffnungen ohne Rücksicht auf den Inzidenzwert aus. In der CDU verweisen manche darauf, dass danach die Umfragewerte der CDU zurückgegangen seien. Es könnte für Eisenmann sogar schwierig werden, in den Landtag einzuziehen. Ihren Stuttgarter Wahlkreis hat bisher der grüne Verkehrsminister Winfried Herrmann gewonnen.
Ein wenig hat Eisenmann versucht, mit der Debatte um ein angebliches Verbot von Eigenheimen, das die Grünen gar nicht gefordert hatten, zu punkten. Ihr Hauptvorwurf an Kretschmann aber ist: Er rede zu viel und entscheide zu wenig. Man brauche sowohl Mut als auch Besonnenheit, entgegnet der 72-Jährige auf solche Vorhaltungen und hat gleich mehrere Denker von Platon bis Max Weber als Zeugen parat. Fehler räumt er zwischendurch mal ein, wie etwa den, sich vor ein paar Jahren gründlich verschätzt zu haben bei der Prognose des Lehrerbedarfs. Geschadet hat ihm all das offenbar nicht. Dass er wegen einer Erkrankung seiner Frau seine Wahlkampfauftritte reduziert hat, spielt keine wesentliche Rolle. Es findet ohnehin viel im Internet statt.
In Umfragen schneidet Kretschmann auch bei CDU-Anhängern besser ab als Eisenmann.
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Anfang der Woche hat er indirekt nicht Eisenmann, sondern Baerbock und Habeck abserviert. Die hatten die Maskenaffäre als Beleg für „schwarzen Filz“ bezeichnet. Es gehe um das Fehlverhalten Einzelner, befand Kretschmann. „Das sollte man erst mal auch so benennen und nicht rumspekulieren.“ Da war Kretschmann plötzlich sogar eine Art Schutzengel der CDU.