Bas: „Fünfjährige Legislaturperiode wäre für den Bundestag gut“
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Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD)
© Quelle: Kay Nietfeld/dpa
Berlin. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas hat sich dafür ausgesprochen, die Wahlperiode für den Bundestag von vier auf fünf Jahre zu verlängern. Im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur plädiert die SPD-Politikerin auch dafür, das Wahlalter für Bundestagswahlen von 18 auf 16 Jahre zu senken.
Hat Ihnen Wolfgang Schäuble nach Ihrer Wahl einen Rat gegeben?
Er hat gesagt, er gebe keine Ratschläge. Und: „Finden Sie ihren eigenen Weg. Sie machen das schon richtig.“ Der Übergang war sehr fair. Er hat sich sehr zurückgenommen, um mir als Nachfolgerin den Raum zu lassen, im Amt anzukommen. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Das erlebt man manchmal auch anders.
Was bereitet Ihnen in diesem Amt die meiste Freude?
Die Plenarsitzungen zu leiten, empfinde ich schon als etwas ganz Besonderes. Wenn man das ganze Plenum vor sich hat und auf den Rängen die Besucherinnen und Besucher sieht, wird einem sehr bewusst: Du repräsentierst jetzt den ganzen Deutschen Bundestag. Das erfüllt mich schon mit einer gewissen Demut.
„Herausforderung, die ich so nicht erwartet hatte“
Was hat Sie am meisten überrascht?
Die vielen internationalen Termine. Das habe ich vorher nicht so deutlich wahrgenommen. Meine Vorstellung war, dass ich mich mit meinen Kolleginnen und Kollegen in erster Linie über unterschiedliche Arbeitsweisen austausche, um voneinander zu lernen. Doch mit dem Ukraine-Krieg war plötzlich alles hochpolitisch, auch für mich als Parlamentspräsidentin. Ich habe zum Beispiel einen sehr engen Draht zum ukrainischen Parlamentspräsidenten Ruslan Stefantschuk. Wir haben häufiger telefoniert und uns schon mehrfach persönlich getroffen. Bei den Treffen geht es dann nicht nur um die Frage, wie wir als Bundestag das ukrainische Parlament ganz praktisch unterstützen können, indem wir zum Beispiel Hunderte von Computern nach Kiew schicken. Es geht auch um die Frage, ob und inwieweit das Parlament sich für Waffenlieferungen einsetzen kann. Da war der Beschluss des Bundestages ein sehr wichtiges Signal. Unseren Staat als Parlamentspräsidentin in der Ukraine oder in Israel nach außen zu vertreten ist eine Herausforderung, die ich so nicht erwartet hatte.
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Sie bekleiden jetzt das zweithöchste Amt im Staat. Sie vertreten den Deutschen Bundestag im Inland wie im Ausland. Sie sitzen beim Staatsbankett im Schloss Bellevue plötzlich neben der spanischen Königin Letizia. Reiben Sie sich manchmal noch die Augen?
Ja. Ich bin ja gebürtig aus einfachen Verhältnissen. Überhaupt in den Deutschen Bundestag gewählt worden zu sein, war schon etwas Besonderes für mich. Wenn man dann noch dieses Amt erreicht, was nicht Teil meiner Lebensplanung war, dann macht mich das nach wie vor stolz.
Sie haben gerade Annemarie Renger gewürdigt, die vor 50 Jahren erste Bundestagspräsidentin wurde. Damals lag der Frauenanteil im Bundestag bei 5,8 Prozent, heute bei 34,9 Prozent. Reicht Ihnen das?
Nein, das reicht mir überhaupt nicht. Ich möchte, dass dieses Parlament die Parität erreicht, also 50:50. Unser Frauenanteil ist zu niedrig. Das liegt unter anderem daran, wie wir Kandidatinnen und Kandidaten aufstellen. Aber auch daran, wie wir mit dem Thema Politik und Familie umgehen. Das liegt an Strukturen, die Frauen abschrecken, überhaupt in die Politik zu gehen. Wenn wir jetzt hoffentlich eine Wahlrechtsreform hinbekommen, wünsche ich mir auch ein verfassungskonformes Verfahren zur Erhöhung des Frauenanteils.
„Frauen hinterfragen sich ja oft“
Paritätsgesetze scheinen kein gangbarer Weg zu sein - sie wurden in Brandenburg und Thüringen jeweils gerichtlich gekippt.
Die vom Bundestag eingesetzte Wahlrechtskommission arbeitet noch an dieser Frage. Vielleicht besteht die Möglichkeit, es über das Wahlgesetz zu regeln. Man sieht, dass Parteien, die ihre Listen freiwillig im Reißverschlussverfahren aufstellen, die meisten Frauen ins Parlament bringen. Ich persönlich finde deshalb, dass eigentlich alle Parteien es so machen müssten.
Die schon erwähnte Annemarie Renger hat sich seinerzeit in der SPD-Fraktion selbst als Bundestagspräsidentin vorgeschlagen. Müssen sich Frauen einfach mehr zutrauen, selbstbewusster nach vorne gehen?
Viele tun das heute schon. Aber ich sage auch immer: Ihr müsst euch vernetzen, mutig sein, euch einfach etwas zutrauen. Frauen hinterfragen sich ja oft: Kann ich das? Will ich das? Was steht mir im Weg? Sie denken sehr lange darüber nach und am Ende sagen sie: Ich will doch nicht. Ich finde: Wenn man eine Chance bekommt, sollte man sie ergreifen.
Ihre Vorgänger Norbert Lammert und Wolfgang Schäuble sind mit dem Versuch einer Wahlrechtsreform gescheitert. Sie müssen jetzt nicht die Initiative ergreifen, Sie können abwarten, was die dazu eingesetzte Kommission vorschlägt.
Ich bin recht positiv gestimmt. Die Regierungsfraktionen haben in den Koalitionsvertrag geschrieben, dass sie eine Reform - auch eine Verkleinerung des Bundestags - umsetzen wollen. Aber jetzt erwarte ich auch, dass etwas kommt. Unser Ziel muss sein, dass wir zur Regelgröße von 598 Abgeordneten zurückkehren. Die Vorschläge hierzu liegen auf dem Tisch. Jetzt muss man den Willen haben, es zu entscheiden. Wir haben auch zeitlichen Druck. Wenn wir nicht Anfang des Jahres einen neuen Vorschlag haben, gilt die Reform aus der vergangenen Legislaturperiode, und wir müssen die Zahl der Wahlkreise von 299 auf 280 reduzieren. Das Problem ist: Mit dieser Reform ist nicht garantiert, dass am Ende tatsächlich eine Verkleinerung des Bundestags kommt.
Ampel-Fraktionen und CDU/CSU haben völlig konträre Vorschläge vorgelegt. Lässt sich da im Bundestag ein breiter Konsens finden?
Mir wäre es lieb, die Union wäre mit im Boot, um die Reform auf breitere Füße zu stellen. Ich will die Hoffnung noch nicht aufgeben, dass zu Beginn des kommenden Jahres noch ein gemeinsamer Vorschlag kommt.
„Union muss sich überlegen, ob sie mitmachen möchte“
Die Kommission diskutiert auch über eine Senkung des Wahlalters von 18 auf 16 Jahre. Für Kommunalvertretungen, für viele Landtage und jetzt auch für das Europa-Parlament gibt es das schon. Nicht für den Bundestag. Wie erklärt man das jungen Menschen?
Das ist unverständlich. Ich persönlich bin dafür, das Wahlalter von 16 Jahren auch auf Bundesebene einzuführen. Es gibt Studien, die besagen: Wer bereits im jüngeren Alter während der Schulzeit wählen durfte, geht mich wachsender Wahrscheinlichkeit später auch zur Wahl.
Aber dafür braucht man eine Zwei-Drittel-Mehrheit, weil das Grundgesetz geändert werden müsste.
Das stimmt. Die Union muss sich überlegen, ob sie auf Bundesebene mitmachen möchte. Auf kommunaler Ebene und in den Landtagen hat das Wahlalter 16 ja auch nicht zu großen Verwerfungen geführt.
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Stichwort Länder - bis auf Bremen haben alle eine fünfjährige Wahlperiode. Könnte das ein Vorbild für den Bundestag sein?
Ich kann mir das gut vorstellen. Nach der Wahl 2017 war es so, dass wir erst im März eine Regierung hatten, weil zuvor eine Jamaika-Koalition nicht zustande gekommen war. Bis damals die große Koalition ans Arbeiten kam, war das erste Jahr schon fast um. Dann hat man noch zwei Jahre, denn anschließend fängt der Wahlkampf schon wieder an. Also: Eine fünfjährige Legislaturperiode wäre auch für den Deutschen Bundestag gut. Und vielleicht könnte auch die eine oder andere Wahl zusammengelegt werden.
Bei der Modernisierung der Parlamentsarbeit wird auch über elektronische Abstimm-Möglichkeiten diskutiert. Wie stehen Sie dazu?
Ich treibe das gerade voran. Wir prüfen ganz aktuell die technischen Voraussetzungen im Plenarsaal und klären im Geschäftsordnungsausschuss die rechtlichen Fragen, die sich bei einer solchen Umstellung des Abstimmungsverfahrens stellen. Die allermeisten Abgeordneten wünschen sich elektronische Abstimmungen. Sie möchten keine Abstimmungskarten mehr einwerfen, die per Hand gezählt werden müssen.
„Manchmal muss man das Mikrofon abstellen“
Um mal auf den Parlamentsalltag zu sprechen zu kommen: Wenn Sie die Sitzungen leiten, wie gehen Sie dann mit der AfD und deren Sticheleien und Provokationen um?
Ich schaue bei der Vorbereitung immer, zu welchen Tagesordnungspunkten ich die Sitzung leite. Man merkt ja schon im Vorfeld, welche Debatten in der Öffentlichkeit laufen. Und wir haben uns im Präsidium fest vorgenommen, insbesondere persönliche Angriffe sofort zu ahnden. Lebendige und manchmal auch hitzige Debatten soll es natürlich geben. Daher braucht man etwas Fingerspitzengefühl. Manche Debatten muss man erst mal laufen lassen - dann schreitet man hinterher ein. Manchmal - wenn auch sehr selten - muss man der Rednerin oder dem Redner das Mikrofon abstellen. Das habe ich schon gemacht. Wenn es ganz schlimm laufen sollte, muss man vielleicht auch mal das scharfe Schwert von 1000 Euro Ordnungsgeld nutzen oder über einen Sitzungsausschluss nachdenken.
Die AfD versucht auch in dieser Wahlperiode vergeblich, einen Vizepräsidentenposten zu bekommen. Sind Sie damit glücklich?
Es gibt für keine Fraktion einen Anspruch darauf, dass ihre Kandidatin oder ihr Kandidat gewählt wird. Das Bundesverfassungsgericht hat die Wahlfreiheit der Abgeordneten betont. Es geht bei den Vizepräsidenten auch um die Repräsentation des Hauses. Sie übernehmen nach außen öffentlichkeitswirksame Auftritte. Ich finde es richtig, dass es ein Amt bleibt, in das man mit breiter Mehrheit gewählt werden muss. Die jeweilige Person muss sich dem Plenum stellen und von dem Vertrauen der Mehrheit getragen werden, um das Haus repräsentieren zu können.
Bei der Gesetzgebung erleben wir gerade, dass es viele beschleunigte Verfahren gibt. Dass zum Teil komplexe Gesetzestexte den Abgeordneten erst ganz kurz vor der Abstimmung vorliegen. Das ist natürlich der Krisenlage geschuldet. Aber ist das auf Dauer haltbar?
Nein, das darf kein Dauerzustand sein. Und das habe ich bereits mehrfach im Ältestenrat deutlich gemacht. Wir hatten immer wieder Krisen - wie die Finanzkrise, die Flüchtlingskrise oder die Corona-Krise -, in denen das Parlament schnell reagieren musste. Zu viele beschleunigte Verfahren tun dem Parlament und den Abgeordneten jedoch nicht gut - und den Lösungen am Ende auch nicht. Die Abgeordneten brauchen ausreichend Zeit, um sich in die Themen einarbeiten zu können, Alternativen zu überlegen und abzuwägen. Und die Bürgerinnen und Bürger müssen die Debatten und Vorschläge nachvollziehen können. Sonst entfremden wir uns.
„Mir macht eher der nächste Winter Sorge“
Stichwort Krisenwinter. Was ist Ihr Eindruck: Wie kommt Deutschland da durch?
Durch diesen Winter kommen wir bislang ganz gut, auch weil wir unsere Gasspeicher konsequent gefüllt haben und jetzt in großer Geschwindigkeit LNG-Terminals bauen. Mir macht eher der nächste Winter Sorge. Die Planungen zu unserer zukünftigen Energieversorgung der Zukunft müssen jetzt weitergehen. Auch mit unseren Partnern in Europa. Das muss jetzt schnell überlegt und umgesetzt werden, damit wir nicht im nächsten Winter ein größeres Problem bekommen.
Die Ampel hat jetzt viele Hilfspakete beschlossen. Es fällt aber auf, dass die Umsetzung nicht hinterher kommt. Viele Hilfen werden erst rückwirkend gezahlt, die Menschen bräuchten sie aber schon heute. Ist das ein befriedigender Zustand?
Ich hoffe, wir lernen daraus. Auch an dieser Stelle müssen wir erkennen, dass vielen Kommunen an allen Ecken das Personal fehlt. Ich würde mir wünschen, dass wir für die nächsten Krisen jetzt schon überlegen, welche Behörde zuständig ist und über welche Mechanismen - etwa über die Steuer ID - wir Hilfen abwickeln können. Wichtig ist doch, dass die Unterstützung möglichst schnell bei den Menschen und auch möglichst gerecht verteilt ist.
RND/dpa