Bayreuther Bürger zu Habeck: „Ich finde es großartig, dass Sie die Eier haben, hier aufzutreten“
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Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) spricht im Ehrenhof der Stadt Bayreuth vor und mit Bürgerinnen und Bürgern.
© Quelle: Soeren Stache/dpa
Bayreuth. Am Ende des Bürgerdialogs in der Innenstadt von Bayreuth meldet sich am Donnerstagabend ein Mann zu Wort, der Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck mit unverblümten Worten lobt. „Ich finde es großartig, dass Sie die Eier haben, hier aufzutreten“, sagt der Mann zu dem Gast aus Berlin. „Das würde in diesen Zeiten auch nicht jeder machen.“
Der Grünen-Politiker ist am Donnerstagmorgen zu einer zweitägigen Sommerreise aufgebrochen. Die erste Station ist das, was man ein Heimspiel nennt. Denn er sucht den Energiepark Bad Lauchstädt in Sachsen-Anhalt auf, wo sie daran arbeiten, aus acht Windkraftanlagen grünen Wasserstoff zu produzieren und diesen ab 2024 an den Chemiepark in Leuna zu liefern.
Anschließend allerdings wird es ungemütlicher für den Vizekanzler. Die Fragen nach den Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine und die deutsche Reaktion darauf werden drängender – insbesondere nach einer drohenden Gasknappheit im Winter und den längst explodierenden Preisen.
In einem oberpfälzischen Unternehmen, das Wellpappe herstellt, weisen die Mitarbeitenden Sebastian Denk und Markus Malzer vor den mitgereisten Journalisten und Journalistinnen darauf hin, dass die deutsche Industrie abhängig sei von jenem russischen Gas, das nun immer knapper wird. Die Firma Liebensteiner selbst braucht zwar kein Gas; ihre Zulieferer aber schon. „Wir wären indirekt massiv betroffen“, sagen die beiden – wenn es noch weniger würde. Im Übrigen sei die Lage auch deshalb „schwer kalkulierbar“, weil sie auf Vorgaben aus Berlin warten müssten, was im Fall einer Gasmangellage noch produziert werden darf und was nicht. „Die Unsicherheit wächst“, sagen die Mitarbeitenden und geben ihrer Hoffnung Ausdruck, „dass er die Stimmung mitnimmt“. Gemeint ist der Bundeswirtschaftsminister.
Der steht bald darauf dem Chef der Bayreuther Stadtwerke, Jürgen Bayer, gegenüber. Der lässt Habeck wissen, dass auch sein kommunales Unternehmen auf Gas angewiesen sei und dafür nun „Angebote zu fast astronomischen Preisen“ aufgerufen würden. Die Stadtwerke seien gezwungen, diese Preise weiterzugeben. Hinter vorgehaltener Hand heißt es bei den Stadtwerken, die Preise für Verbraucher und Verbraucherinnen könnten um das Vierfache steigen. Dabei weiß sich Bayer mit Habeck einig in der Überzeugung, dass dies vor allem jene Menschen träfe, die keine Sozialleistungen beziehen, aber nicht genug verdienen, um die Preissteigerungen aufzufangen. Bei den Stadtwerken zeigen sie sich jedenfalls dankbar über die Visite.
Davon kann bei vielen Bürgern und Bürgerinnen in der Innenstadt keine Rede sein. Eine Minderheit empfängt den Minister mit Tröten und Trillerpfeifen sowie 90 Minuten nicht nachlassendem Radau, während die Mehrheit ihm mehrfach applaudiert. Auf selbst gemalten Plakaten steht „Kriegstreiber“ und „Volksverräter“. Die Protestierenden aller Altersstufen skandieren „Hau ab“. Sie stoßen sich vornehmlich an Habecks Solidarisierung mit der Ukraine und den deutschen Waffenlieferungen an das Land.
Eine Frau vor der Bühne sagt zu Habeck zwar mitfühlend: „Sie sehen als Mensch etwas mitgenommen aus. Wie lange schlafen Sie denn?“ Der zeigt sich amüsiert und erwidert: „Ich schlafe genug. Danke.“ Ein Zierfischhändler, der mäßigend auf die Demonstranten und Demonstrantinnen einwirken will, sieht sich hingegen existenziell bedroht, weil alte und neue Kunden und Kundinnen neuerdings wegen der Inflation nicht mehr kommen. Der Mann ist gleichzeitig einsichtig genug für die Feststellung, dass dies „vielleicht nicht die richtige Zeit für Zierfische“ sei. Schließlich ist da noch eine andere Frau, die vor verarmenden Rentnern und Rentnerinnen warnt und wissen will: „Welchen Plan haben Sie fürs eigene Volk?“ Gegen Ende bezweifelt einer, ob die Waffenlieferungen denn etwas brächten; Russland gewinne den Krieg ja doch.
Habeck hält an seinen Prinzipien fest
Habeck bemüht sich um Entgegenkommen. Den Zierfischhändler versucht er mit den Worten zu trösten: „Es wird immer noch einen Teil der Gesellschaft geben, der sich Geld zurück legt für Dinge, die sie schön findet.“ Generell betont der Gast, dass er Andersdenkende nicht verurteilen wolle. Es sei wichtig, „die andere Seite zu sehen“, um Populismus und Rechtsradikalismus zu begegnen.
Zugleich hält Habeck an seinen Prinzipien fest. Die Bundesregierung dürfe sich einem völkerrechtswidrigen Krieg nicht unterwerfen; sonst mache das Schule. Und die Waffenlieferungen sorgten mindestens dafür, dass die Ukraine „nicht überrannt werde“. Er versichert: „Es gibt einen Kriegstreiber in Europa.“ Das sei der russische Präsident Wladimir Putin. Es folgt starker Beifall.
Überhaupt lässt Robert Habeck an den Verantwortlichen in Moskau kein gutes Haar. „Sie lügen einem ins Gesicht“, ruft er. Die meisten anderen Menschen auf dem Platz sehen das genauso.
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