Hunderte Bolsonaro-Anhänger stürmen Regierungsviertel in Brasiliens Hauptstadt
Tausende Demonstrierende hatten das Parlament und andere Regierungsgebäude zeitweise besetzt und verwüstet.
© Quelle: Reuters
Brasília. Anhänger des ehemaligen brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro haben den Kongress in der Hauptstadt Brasília gestürmt und kurzzeitig die Schaltzentralen der wichtigsten Staatsgewalten des Landes unter ihre Kontrolle gebracht. Sie schlugen die Scheiben der Fassade ein und drangen in die Eingangshalle vor, wie am Sonntag im Fernsehsender Globo zu sehen war. Zuvor waren bereits Hunderte Demonstranten auf das Gelände des Parlaments vorgedrungen und auf das Dach des Gebäudes gelangt. Die Polizei setzte Pfefferspray und Blendgranaten ein, konnte die Unterstützer des früheren rechten Staatschefs Bolsonaro aber nicht aufhalten.
Männer und Frauen mit brasilianischen Flaggen liefen durch Flure und Büros und ließen ihrem Hass auf die neue Linksregierung freien Lauf, wie am Sonntag im Fernsehsender TV Globo zu sehen war. Sie stießen Stühle und Schreibtische um, warfen Fensterscheiben ein, beschädigten Kunstwerke und schmierten Parolen an die Wände. Ein Angreifer nahm sogar die Bürotür des bei Bolosonaro-Anhängern besonders verhassten Bundesrichters Alexandre de Moraes als Trophäe mit.
Staatschef Luiz Inácio Lula da Silva war zum Zeitpunkt der Attacke nicht in Brasília. Er war in die Stadt Araraquara im Bundesstaat São Paulo gereist, um sich über die Folgen der schweren Unwetter in der Region zu informieren.
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Bezeichnend: Die Anhänger des "Law-and-Order"-Mannes Bolsonaro fielen vor allem durch blinde Zerstörungswut im Kongress auf.
© Quelle: picture alliance/dpa/AP
Neben dem Kongressgebäude und dem Regierungssitz stürmten die Bolsonaro-Anhängerinnen und Anhänger auch den Sitz des Obersten Gerichtshofs. Die Richter hatten während der Amtszeit von Bolsonaro den rechten Staatschef immer wieder in die Schranken gewiesen und werden von seinen Unterstützern deshalb verachtet.
Ich verurteile diese antidemokratischen Handlungen, die dringend mit der Härte des Gesetzes geahndet werden müssen.
Rodrigo Pacheco,
Staatspräsident
„Ich verurteile diese antidemokratischen Handlungen, die dringend mit der Härte des Gesetzes geahndet werden müssen“, schrieb Senatspräsident Rodrigo Pacheco auf Twitter. „Ich habe mit dem Gouverneur des Bundesdistrikts, Ibaneis Rocha, telefoniert, mit dem ich in ständigem Kontakt stehe. Der Gouverneur teilte mir mit, dass der gesamte Polizeiapparat sich darauf konzentriert, die Situation unter Kontrolle zu bringen.“
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Anhänger des ehemaligen brasilianischen Präsidenten Bolsonaro halten ein Transparent mit der Aufschrift «Militärische Intervention», während sie den Kongress in der Hauptstadt Brasilia stürmen.
© Quelle: picture alliance/dpa/AP
In den sozialen Netzwerken war auch zu sehen, wie Bolsonaro-Anhänger mit Stangen einen berittenen Polizisten attackieren und offenbar verletzen. In den Regierungsgebäuden wurden reihenweise Scheiben zerschlagen. Später traf Bundespolizei im Regierungsviertel ein, Hubschrauber kreisten und versprühten Pfefferspray.
Gerade zu Beginn der Krawalle gab die Polizei keine gute Figur ab. Schon seit Tagen kampierten zahlreichreiche Bolsonaro-Anhänger vor dem Hauptquartier der Streitkräfte. Als am Samstag und Sonntag rund 4000 weitere Unterstützer des Ex-Präsidenten in Bussen in der Hauptstadt eintrafen und zum Regierungsviertel zogen, wurden sie sogar von Beamten eskortiert. Polizisten machten Selfies mit den Demonstranten und drehten Handy-Videos, wie im Fernsehen zu sehen war.
Bolsonaro ist derzeit in der Trump-Heimat Florida
Der abgewählte Rechtspolitiker Bolsonaro hält sich derzeit in Florida auf, was umgehend in Brasilien zu Gerüchten führte, der Aufstand sei von dort geplant worden - mit Unterstützung Trumps, der in Palm Beach seinen Wohnort hat. Entgegen den Gepflogenheiten hatte Bolsonaro nicht an der Amtseinführung seines Nachfolgers Lula am Neujahrstag teilgenommen und war mit seiner Familie in die USA geflogen.
Bolsonaro verurteilte den Angriff seiner radikalen Anhänger auf das Regierungsviertel. „Friedliche Demonstrationen sind Teil der Demokratie. Plünderungen und Überfälle auf öffentliche Gebäude, wie sie heute stattgefunden haben, fallen jedoch nicht darunter“, schrieb der rechte Ex-Staatschef auf Twitter. „Während meiner gesamten Amtszeit habe ich mich stets an die Verfassung gehalten und die Gesetze, die Demokratie, die Transparenz und unsere heilige Freiheit geachtet und verteidigt.“
Präsident Luiz Inácio Lula da Silva warf Bolsonaro vor, seine Anhänger aufgestachelt zu haben. „Sie nutzten die sonntägliche Stille, als wir noch dabei waren, die Regierung zu bilden, um zu tun, was sie taten. Es gibt mehrere Reden des ehemaligen Präsidenten, in denen er dies befürwortet. Dies liegt auch in seiner Verantwortung und in der Verantwortung der Parteien, die ihn unterstützt haben“, sagte Lula.
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Der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hat den Angriff von radikalen Anhängern seines Vorgängers Jair Bolsonaro auf Regierungsgebäude in der Hauptstadt Brasília verurteilt.
© Quelle: Eraldo Peres/AP/dpa
Bolsonaro verbat sich die Anschuldigungen. „Ich weise die Vorwürfe zurück, die der derzeitige Chef der brasilianischen Regierung ohne Beweise erhebt“, schrieb er.
Bolsonaro war im vergangenen Oktober dem Linkspolitiker Luiz Inácio Lula da Silva in der Stichwahl unterlegen und zum Jahreswechsel aus dem Amt geschieden. Er hatte seine Wahlniederlage nie ausdrücklich anerkannt. Radikale Anhänger des Ex-Militärs hatten bereits nach der Wahl immer wieder gegen Lulas Sieg protestiert und die Streitkräfte des Landes zu einem Militärputsch aufgerufen.
Alle Vandalen werden gefunden und bestraft.
Luiz Inácio Lula da Silva,
Brasiliens Präsident
Präsident Luiz Inácio Lula da Silva verurteilte den Angriff scharf. „Das war Barbarei. Das waren Faschisten. Alle Vandalen werden gefunden und bestraft“, sagte der Staatschef am Sonntag. „Wir werden auch herausfinden, wer sie finanziert hat.“ Per Dekret ordnete Lula an, dass die Bundesregierung die Verantwortung für die öffentliche Sicherheit in Brasília übernimmt. „Was sie heute getan haben, ist beispiellos in der Geschichte des Landes“, sagte er.
USA und EU unterstützen Brasiliens Präsident Lula
Unterstützt wurde er in seiner scharfen Kritik durch seinen amerikanischen Amtskollegen: „Die Vereinigten Staaten verurteilen jeden Versuch, die Demokratie in Brasilien zu untergraben“, schrieb der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan. „Unsere Unterstützung für die demokratischen Institutionen Brasiliens ist unerschütterlich.“ US-Präsident Biden nannte die Vorfälle nach Angaben seiner Sprecherin „ungeheuerlich“.
Auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell stärkte der neuen Regierung von Lula den Rücken. „Die EU verurteilt die antidemokratischen Akte der Gewalt, die am Sonntag, den 8. Januar, im Herzen des Regierungsviertels von Brasília stattgefunden haben“, teilte Borrell am Sonntagabend mit. „Die brasilianische Demokratie wird über Gewalt und Extremismus siegen“, hieß es weiter.
Die Chefin der regierenden Arbeiterpartei (PT) hat am Sonntag schwere Vorwürfe gegen die Verantwortlichen in der Hauptstadt Brasília erhoben. „Die Regierung des Bundesbezirks war unverantwortlich angesichts der Invasion in Brasília und im Nationalkongress“, schrieb Gleisi Hoffmann am Sonntag auf Twitter.
Der Gouverneur und sein Sicherheitsminister, ein Anhänger von Bolsonaro, sind für alles verantwortlich, was passiert.
Gleisi Hoffmann,
„Das war ein angekündigtes Verbrechen gegen die Demokratie, gegen den Willen der Wähler und für andere Interessen. Der Gouverneur und sein Sicherheitsminister, ein Anhänger von Bolsonaro, sind für alles verantwortlich, was passiert“, schrieb sie.
Beobachter berichteten, Bolsonaros Anhänger seinen koordiniert in die Hauptstadt befördert worden.
Sicherheitschef entlassen
Noch am Abend (MEZ) wurde der Sicherheitschef der Hauptstadt Brasília, Anderson Torres, entlassen. „Ich habe die Entlassung des Sicherheitsministers des Bundesdistrikts beschlossen und gleichzeitig alle Sicherheitskräfte auf die Straße geschickt, um die Verantwortlichen festzunehmen und zu bestrafen“, schrieb der Gouverneur des Bundesbezirks, Ibaneis Rocha, auf Twitter. „Ich bin in Brasília, um die Demonstrationen zu beobachten und alle Maßnahmen zu ergreifen, um die antidemokratischen Ausschreitungen im Regierungsviertel einzudämmen.“
Die Ereignisse erinnern an die Erstürmung des Capitols in der US-Hauptstadt Washington durch Anhänger des abgewählten US-Präsidenten Donald Trump. In Deutschland hatten rechte Aktivisten, Verschwörungstheoretiker und sogenannte Reichsbürger am 30. August 2020 versucht, den Reichstag zu stürmen, waren jedoch von Polizisten daran gehindert worden.
RND/dpa