Bundestagswahl in Flensburg: Die Dänen kommen
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Stefan Seidler, Bewerber für Listenplatz 1 des Südschleswigschen Wählerverbands (SSW), spricht während eines außerordentlichen Landesparteitags zur Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl.
© Quelle: picture alliance/dpa
Flensburg. Der Kandidat des Südschleswigschen Wählerverbandes (SSW) war kürzlich schon mal in Berlin und hat aus seinem Anspruch keinen Hehl gemacht. Im Bundestag werde man sich in der nächsten Wahlperiode „daran gewöhnen müssen, dass wir dänisch sprechen“, sagte Stefan Seidler.
„Politik skandinavisch gestalten“, „Den Norden stärken“, „Minderheiten schützen und fördern“, stand auf Plakaten hinter ihm. Darunter prangte je ein Wikingerschiff mit geblähten Segeln und der Aufschrift „Mission Bundestag“.
50.000 zählen zur Minderheit
Seidler wurde in Flensburg geboren, hat in Aarhus Politikwissenschaft studiert und begehrt am 26. September für die dänische Minderheit Einlass ins Hohe Haus. Zu ergründen, warum das so ist, ist in Berlin freilich gar nicht so einfach. Da empfiehlt sich ein Ausflug nach Flensburg, in die 90.000-Einwohner-Stadt am äußersten Nordrand der Republik.
Hier wird bis zu ein Viertel der Bevölkerung der dänischen Minderheit zugerechnet, in ganz Schleswig-Holstein sind es rund 50.000 Menschen. Was das konkret bedeutet, merkt man am Ort sehr schnell.
Da ist zunächst Jens Christiansen, Generalsekretär des Südschleswigschen Vereins (SSF), dem etwa 16.000 Menschen angehören und der so etwas wie der Dachverband der 3500-köpfigen Partei der dänischen Minderheit, also des SSW, ist. Christiansens Vater Karl war Anfang der 1960er Jahre Bonner Korrespondent des „Flensborg Avis“, der bis heute existierenden Zeitung der dänischen Minderheit, und zugleich offizieller Repräsentant dieser Minderheit – Journalist und Politiker in einem also.
„Wer sich zu einem Volk zugehörig fühlt, ist ein Teil des Volkes“
Sohn Jens sitzt heute im gediegenen Flensborghus im Zentrum der Stadt. Sein Büro mit den abgeschliffenen Dielen wirkt so aufgeräumt wie der Rest des Backsteingebäudes. Auf das Regal ist eine dänische Flagge drapiert, an den Wänden hängen Ölbilder. Man hört Möwen kreischen.
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Christiansen erläutert, dass die Dänen eine der homogensten Gesellschaften überhaupt seien. Zugleich seien sie liberal und offen. Es gelte die Devise: „Wer sich zu einem Volk zugehörig fühlt, ist ein Teil des Volkes.“
Daraus leitet er das Selbstverständnis der dänischen Minderheit ab, die in Schleswig-Holstein besondere Rechte genießt und seit Jahrzehnten im Landtag vertreten ist. Sie müsse mit ihren 23 Kulturvereinen, ihren 46 Schulen, der eigenen Gesundheits- und Pflegeversorgung sowie den Kirchen mit 22 Pastoren eben das Eigene pflegen.
Bis weit nach dem Zweiten Weltkrieg habe es Spannungen zwischen deutscher Mehrheit und dänischer Minderheit gegeben, sagt Christiansen. „Es dauerte 150 Jahre, dass wir da sind, wo wir jetzt sind.“ Die Spannungen hatten aus der Sicht des Verbandsfunktionärs, der dänischer Staatsbürger ist, indes auch Vorteile.
Den Dänen geht es um Interessensvertretung und Brückenbau
„Wenn eine Gruppe Gegenwind hat, dann steht man intern stärker zusammen“, sagt er. „Wenn diese Gefahr von außen nicht da ist, dann muss man sehr aufpassen, dass sich die Minderheit nicht still assimiliert.“ Das wollen SSF und SSW verhindern.
So gesehen ist es ganz in ihrem Sinne, dass das dänische Parlament 2018 beschloss, Mitglieder der dänischen Minderheit auf eigenen Wunsch dänische Staatsangehörige werden zu lassen. Aus Dänemark fließen zudem jährlich 60 Millionen Euro nach Schleswig-Holstein. Den organisierten Dänen geht es also einerseits um Interessenvertretung und andererseits um Brückenbau. Der SSW bekommt zudem im Wahljahr 500.000 Euro an Parteispenden direkt aus Kopenhagen.
Bis 1961 hatte die dänische Minderheit bereits einen Abgeordneten im Bundestag. Später hielt man es nicht mehr für opportun, einen Kandidaten aufzustellen. Jetzt schon. „Die Parteienlandschaft hat sich verändert“, sagt Jens Christiansen. Statt relativ wenige große Parteien gebe es in Deutschland mittlerweile viele kleine.
Das Globale kann sich nur verwirklichen, wenn es eine Verankerung im Lokalen und im Regionalen hat. Das Globale an sich ist Luft. Das ist Management in einer leeren Aktentasche.“
Jens Christiansen,
Generalsekretär des Südschleswigschen Vereins (SSF)
Auch habe die Polarisierung zwischen rechts und links zugenommen. „Da müssen wir sichern, dass die nationalen Minderheiten eine bessere Möglichkeit bekommen, sich auf Bundesebene zu artikulieren und ihre Belange zu erklären“, findet der Generalsekretär und verweist auf Friesen, Sorben sowie Sinti und Roma, die ebenfalls nationale Minderheiten seien, nur ohne eigenes Mutterland.
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Er führt dann aus, wo der SSW im Bundestag positive Impulse setzen könne, so beim Klimaschutz, in der Digitalisierung oder für die „Wohlfahrtsgesellschaft“. „Wir wollen nicht nur etwas haben, wir wollen auch etwas geben“, sagt Christiansen und wird dann selbstbewusst grundsätzlich: „Das Globale kann sich nur verwirklichen, wenn es eine Verankerung im Lokalen und im Regionalen hat. Das Globale an sich ist Luft. Das ist Management in einer leeren Aktentasche.“
Man müsse deshalb respektieren, dass Menschen irgendwo eine Heimat hätten. „Die Probleme, die wir heute haben, hängen zum Teil damit zusammen, dass man es nicht respektiert.“
Habecks Verbindungen zu Dänemark
Ein paar Stunden später taucht Robert Habeck am Flensburger Hafen auf, vielleicht ein Kilometer vom Flensborghus entfernt. Er geht die Promenade entlang, posiert hier mit einem Jugendlichen für ein Selfie, trifft dort einen Bekannten von früher, der ihm beim Plauschen erklärt, dass er schon in Rente sei.
Der Grünen-Chef lebt in Flensburg, seine vier Söhne wurden in der Stadt groß, studieren im Nachbarland, haben dänische Freundinnen und sprechen miteinander Dänisch. Er kandidiert nun ebenso erstmals für den Bundestag wie Stefan Seidler vom SSW.
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Wahlkampf mit Robert Habeck in Flensburg: Der Grünen-Chef hält eine Rede am Flensburger Hafen.
© Quelle: imago images/Willi Schewski
„Es wäre eine Ehre und ein Prädikat, meine Heimat im Parlament vertreten zu dürfen“, sagt der 51-Jährige anschließend bei einer Kundgebung unter herrlichem Sonnenschein am Hafenbecken. Und er erinnert daran, dass die Mehrheitsdeutschen einst verächtlich auf die Minderheitsdänen herabgeschaut hätten. Heute laute die Lehre: „Man kann Dinge auch anders sagen und sehen.“
Fünfprozenthürde gilt nicht
Habeck hätte es gerne gesehen, wenn der SSW eine Erststimmenkampagne für den grünen Dänenfreund gestartet hätte. Bei der Minderheitspartei aber gilt es schon als Affront, dass die Grünen ihr Wahlprogramm auch in dänischer Übersetzung an Flensburger Ständen auslegen. Der Traum, mit den dänischen Stimmen das erste grüne Direktmandat im Norden zu holen, steht vor dem Scheitern.