Interview mit der Chefin der Mittelstandsunion

Gitta Connemann: „Das Streikrecht unterliegt Grenzen, wie jedes andere Grundrecht auch“

MIT-Vorsitzende Gitta Connemann (CDU) dringt auf strengere Streikregeln im Bereich der kritischen Infrastruktur.

MIT-Vorsitzende Gitta Connemann (CDU) dringt auf strengere Streikregeln im Bereich der kritischen Infrastruktur.

Frau Connemann, der Großstreik hat Deutschland lahmgelegt – weitere Streiks sind nicht ausgeschlossen. Welche Auswirkungen hatte der Streik auf mittelständische Unternehmen?

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Alle Auswirkungen lassen sich derzeit noch nicht absehen. Aber Mittelständler mussten ihren Betrieb runterfahren, weil Beschäftigte nicht zur Arbeit kommen konnten oder Zulieferungen fehlten, zum Beispiel stand auch der Schiffsverkehr still, der Rohstoffe und Vorprodukte liefert. Und das war die betriebswirtschaftliche Seite, natürlich gab es auch Folgen für die Volkswirtschaft.

Und zwar?

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer konnten ihren Arbeitsplatz nicht erreichen, mussten kurzfristig Urlaub nehmen oder gar einen Lohnausfall hinnehmen. Es ist leider nicht so, dass jeder zu Fuß gehen oder sein Fahrrad nehmen konnte, wie es Verdi empfohlen hatte.

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Die Macht wird in Zukunft vor allem bei den Beschäftigten liegen, weil aufgrund des Arbeitskräftemangels der Arbeitsmarkt immer mehr ein Arbeitnehmermarkt wird. Befürchten Sie bei künftigen Tarifkonflikten und Streiks französische Zustände?

Frankreich und Deutschland sind nicht miteinander vergleichbar, sowohl was den Rechtsrahmen als auch die Streikkultur angeht. In der Vergangenheit hat der Dialog in Deutschland zwischen den Tarifvertragsparteien sehr gut funktioniert, beispielsweise die Verhandlungen mit den Industriegewerkschaften: Die wenigen massiven Streikverläufe, die es gab, richteten sich immer gegen die Arbeitgeber direkt. So sollte es eigentlich ja auch sein. Deshalb hatte der Megastreik am Montag auch eine neue Dimension. Denn es haben sich zwei Gewerkschaften zusammengetan, und es wurden unbeteiligte Dritte in Haftung genommen.

Wenn Gewerkschaften im Verkehrssektor streiken, trifft das unweigerlich unbeteiligte Dritte. Heißt das, die Beschäftigten sollten Ihrer Ansicht nach also gar nicht streiken?

Wir wollen Streiks nicht verbieten. Aber für die kritische Infrastruktur brauchen wir klare Regeln, um die Schäden für unbeteiligte Dritte so gering wie möglich zu halten: Zunächst sollte ein verpflichtendes Schlichtungsverfahren durchgeführt werden. Wenn das nicht erfolgreich ist, kann gestreikt werden – mit einer viertägigen Ankündigungsfrist und Notfalldiensten.

Flensburg, Schleswig-Holstein, Streik der Gewerkschaft Ver.di Gewerkschaftler ziehen durch die Flensburger Innenstadt, halten Transparente vor und halten Fahnen hoch und machen Krach mit Trillerpfeifen. Hier: Transparente mit Aufschrift Die Zitrone ist ausgequetscht . Hier: Süderhofenden. Aufnahme vom 24.03.2023, Flensburg, Innenstadt *** Flensburg, Schleswig Holstein, strike of the trade union Ver di trade unionists move through the Flensburg city center, hold up banners and flags and make noise with whistles Here banners with inscription The lemon is squeezed Here Süderhofenden photo from 24 03 2023, Flensburg, city center

„Der gesellschaftliche Friede wird sicher nicht durch einen Tag Warnstreik bedroht“

Megastreik am Montag „Der gesellschaftliche Friede wird sicher nicht durch einen Tag Warnstreik bedroht“ Verdi und die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) haben einen weitreichenden Warnstreik ausgerufen, sie fordern 10,5 Prozent mehr Lohn für Beschäftigte. Führt der große Streiktag zu Unmut in der Bevölkerung? Historiker Dietmar Süß erklärt im Interview, wie die Deutschen dazu stehen – und warum ein Streik nicht nur den Streikenden nützt.

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Wie würden Sie das regeln?

Zurzeit ist das Streikrecht in Deutschland ein reines Richterrecht, anders als in vielen anderen europäischen Ländern, in denen es Arbeitskampfgesetze gibt. Damit kommt es zu einem Flickenteppich in Deutschland – abhängig vom jeweiligen Richter. Aus unserer Sicht braucht es ein neues Gesetz, das einen Rahmen für Streiks im Bereich der kritischen Infrastrukturen setzt, und zwar nur für diesen Bereich, damit der Streik am Ende von Verhandlungen steht und nicht am Anfang.

Kritiker sagen, das wäre die Axt am Streikrecht. Auch CDU-Chef Friedrich Merz steht zum Streikrecht.

Friedrich Merz und ich sind uns einig, dass das Streikrecht ein hohes Gut und vom Grundgesetz geschützt ist – aber es unterliegt Grenzen, wie jedes andere Grundrecht auch. Streiks greifen ja massiv in Grundrechte anderer ein. Deshalb sagen die Gerichte, der Streik ist eine scharfe Waffe. Sie sollte nur gezückt werden, wenn alle anderen Mittel versagt haben – gerade bei kritischen Infrastrukturen.

Deutsche Bahn zieht Bilanz nach Großstreiktag – und äußert Kritik

Verdi sprach vom größten Streik seit 1992. Die Gewerkschaften wollten mit ihrem Warnstreik den Druck auf die Arbeitgeber in den Tarifverhandlungen erhöhen.

Bei den aktuellen Tarifverhandlungen fordern die Gewerkschaften wegen der Inflation hohe Lohnsprünge. Sorgen Sie sich vor einer Lohn-Preis-Spirale?

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Ich befürchte, dass Deutschland bei überzogenen Tarifabschlüssen in eine Lohn-Preis-Spirale gerät. Hohe Abschlüsse bedingen höhere Preise. Wir reden im Übrigen auch nicht über Unternehmen, die mit hohen Gewinnen gesegnet sind: Die Deutsche Bahn etwa fährt seit Jahren Milliardenverluste ein. Es gibt viele Kommunen, die inzwischen von Haushaltssperren betroffen sind. Bürgerinnen und Bürger werden also die Tarifabschlüsse bezahlen müssen. Erste Bürgermeister haben schon angekündigt, die steigenden Kosten mit Steuererhöhungen abzufedern. Ich sehe noch ein weiteres Problem: Im Moment profitiert vor allem der Staat von den Tarifabschlüssen.

Das müssen Sie konkretisieren.

Ein Beispiel: Wenn ein Müllwerker 4000 Euro brutto im Monat verdient und eine Gehaltserhöhung von 500 Euro bekommt, würde er netto nur etwa 260 Euro mehr erhalten. Der Rest geht an den Staat. Diejenigen, die jetzt auf 500 Euro mehr hoffen, werden am Ende des Monats enttäuscht sein. Die gerechteste Lösung wären Steuerentlastungen für alle.

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Es gibt sicher viele Menschen, die sich über 260 Euro mehr im Monat freuen würden.

Natürlich. Auch außerhalb des öffentlichen Dienstes. Besser wären deshalb für alle Arbeitnehmer Steuerentlastungen, zum Beispiel die vollständige Abschaffung der kalten Progression. Sie bezeichnet die Steuermehrbelastung, die durch Gehaltserhöhungen entsteht, wenn die Einkommenssteuer nicht an die Inflation angepasst wird. Bis 2021 hatten wir die kalte Progression abgeschafft. 2022 lebte sie unter der Ampel leider wieder auf. Zwar soll es 2023 dafür einen Ausgleich geben, aber nicht in voller Höhe. Ebenfalls wichtig wäre die Reduzierung der Energiesteuern wie der Stromsteuer: Die privaten Haushalte in Deutschland zahlen eine deutlich höhere Stromsteuer, als nach EU-Vorgabe erforderlich wäre. Die Ampel muss dringend nachbessern.

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Was konkret stellen Sie sich aber für die aktuellen Tarifverhandlungen vor?

Ich appelliere an beide Seiten, schnellstmöglich notfalls unter Einbindung eines Schlichters zu einem Abschluss zu kommen. Danach muss der Bund dafür sorgen, dass die Betriebe wie auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer seitens des Staates entlastet werden, weil die Kosten sicher umgelegt werden.


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