Corona-Krise: Die zweite Welle kommt von rechts
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Auf einer Protestdemonstration in Berlin hält ein Mann ein Schild hoch.
© Quelle: imago images/Steinach
Hannover. Noch vor vier Wochen wirkte Deutschland weltweit wie eine Art Wunderland. Medien rund um den Globus berichteten mit ehrfurchtsvollem Unterton über die hohe medizinische Effizienz in Deutschland, über die niedrigen Todesraten, aber auch über eine positive emotionale Ausstrahlung von Land und Leuten: Die Deutschen schienen in dieser Krise aus irgendeinem Grund besonnener und vernünftiger zu sein denn je.
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Wie war das zu erklären? Die Los Angeles Times zum Beispiel listete Mitte April ihren Lesern drei Gründe auf, warum in Deutschland einiges gerade deutlich besser laufe als etwa in den USA. Es gebe erstens ein großes Vertrauen der Deutschen in ihre politische Führung. Zweitens habe die deutsche Regierungschefin, selbst Naturwissenschaftlerin, ein offenes Ohr für Fachleute. Und drittens seien die Parteien in Deutschland nicht auf Krawall aus, sondern auf Kooperation.
Etwas Neues reißt jetzt ein
Inzwischen aber, alles neu macht der Mai, gibt Deutschland leider ein ganz anderes Bild ab. Grölend erheben sich auf der Straße Virusverächter und Verschwörungstheoretiker und zeigen “denen da oben” drohend die Faust. Zugleich lässt auch in den Salons der Reichen der Rückhalt für die Regierung nach: War der Shutdown nicht vielleicht doch übertrieben?
Im neuen ARD-Deutschlandtrend legen AfD und FDP als einzige Parteien einen Punkt zu. Hier äußert sich die Unruhe jener, denen die Lockerungen nicht schnell genug kommen und nicht weit genug gehen.
Auf der anderen Seite aber fordern jetzt 56 Prozent der Deutschen, man solle unbedingt an den Beschränkungen festhalten – in der Vorwoche sagten das nur 41 Prozent. Auch im Lager der Bremser von Lockerungen wächst also Unruhe: besorgte Bürger, wohin man blickt.
Etwas Neues reißt jetzt ein, Deutschland driftet auseinander. Im schlimmsten Fall könnten die jetzigen Tage den Beginn einer tiefen Polarisierung markieren wie in den USA. Am Ende stehen dann einander völlig fremd gewordene gesellschaftliche Lager gegenüber, sprachlos und voller Hass, aufgestachelt in der jeweils eigenen Internetblase.
Deutschland sucht den Sündenbock
Viel wird darüber diskutiert, welche Kräfte es sind, die sich jetzt versammeln. Doch da muss man nicht lange theoretisieren. Genau hinzusehen genügt schon, etwa beim ominösen “Spaziergang” in Gera, wo vor einer Woche Thüringens FDP-Landeschef Thomas Kemmerich an der Seite von Verschwörungstheoretikern und AfD-Leuten marschierte. Letztes Mal hatte der Unternehmer Peter Schmidt die Demonstration angemeldet, ein Mann des CDU-Wirtschaftsrats. Diesmal organisiert die Sache ein gewisser Marek Hallop, ein Reichsbürger.
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Radikale und Nichtradikale finden noch etwas leichter zusammen als in der Flüchtlingsdebatte: Proteste von Gegnern der Lockdown-Maßnahmen diese Woche in Düsseldorf.
© Quelle: imago images/Felix Jason
Alle sehen sich geeint im Vorwurf, Angela Merkel habe eine Wirtschaftskrise ausgelöst. Dass diese Krise, die leider eine Weltwirtschaftskrise ist, ebenso Schweden betrifft, das viel liberalere Lockdown-Regeln hatte als Deutschland, wird ignoriert.
Deutschland sucht den Sündenbock. Und weil die jetzt anschwellende Elitenkritik ganz elegant ohne jeden Rassismus auskommt, gibt es keine klaren Trennlinien mehr: Radikale und Nichtradikale finden noch etwas leichter zusammen als in der Flüchtlingsdebatte. Kemmerich führt bereits Lockerungen ganz eigener Art vor, im Verhältnis der Liberalen zu Rechtsaußen. So weicht man den Immunschutz der Demokratie auf. Es ist Zeit, die wahre Natur der gefährlichen zweiten Welle zu erkennen, vor der so oft gewarnt wurde und um deren Flachhalten es in nächster Zeit geht. Sie ist kein epidemiologisches, sondern ein politisches Phänomen. Sie kommt von rechts.
RND