Das „Nordirland-Protokoll-Gesetz“: Bringt London den Brexit-Deal in Gefahr?
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„Willkommen in Nordirland“: Die Grenze von Nordirland ist seit Jahren ein umstrittenes Thema in dem Land selbst, Großbritannien und der EU.
© Quelle: GETTY IMAGES EUROPE
London. Wenn man gestern den Blick über britische Tageszeitungen schweifen ließ, dominierte ein Thema die Schlagzeilen. Das neue Gesetz, das es der britischen Regierung ermöglichen soll, Teile des Nordirland-Protokolls einseitig auszuhebeln. „Die EU droht mit rechtlichen Schritten“, titelte „The Independent“. Der „Daily Telegraph“ schrieb: „Brüssel will Großbritannien verklagen“.
Um zu erläutern, was es mit dem „Nordirland-Protokoll-Gesetz“ auf sich hat, welches am Montagabend ins Parlament eingeführt wurde, erschien Außenministerin Liz Truss am Dienstag in vielen politischen Morgensendungen, wo sie sich mit ernster Miene den Fragen der Journalisten stellte. Diese wollten vor allem zwei Dinge verstehen: Welche Ziele verfolgt die Regierung? Und: Warum wurde das Gesetz ausgerechnet jetzt vorgestellt?
Außenministerin Truss nennt Gesetz „alternativlos“
Mit dem neuen Gesetz sei man nun in der Lage, „echte Probleme“ in Nordirland zu beheben, erklärt sie. Außerdem sichere man die „Stabilität“ in der Region, sagte Truss. Sie beschrieb den Schritt als „alternativlos“. Man habe sich in den letzten 18 Monaten um eine Lösung bemüht, die EU sei jedoch nicht bereit gewesen, die Bedingungen des Protokolls zu ändern, betonte sie.
Aufseiten der EU sieht man das anders. Denn diese hatte im Oktober vergangenen Jahres bereits Änderungsvorschläge zugunsten Nordirlands gemacht. So sollten bestimmte Waren und Medikamente leichter gehandelt und der Papierkram reduziert werden.
Im Zuge des Nordirland-Protokolls mit der EU wurde die Zollgrenze zwischen Nordirland auf der einen, und Schottland, England und Wales auf der anderen Seite in die Irische See verlegt. Damit sollten sichtbare Kontrollen zwischen Nordirland und Irland verhindert und so der Frieden in der Provinz gesichert werden. London hatte den Vertrag mit der EU 2019 ausgehandelt und unterschrieben, verschob die vollständige Einführung des Protokolls jedoch immer wieder – und somit auch damit verbundene Probleme wie beispielsweise die Bürokratie.
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Liz Truss, Außenminister von Großbritannien, spricht vor dem britischen Unterhaus (Archivbild).
© Quelle: Jessica Taylor/Uk Parliament/PA
Schadet das Nordirland-Protokoll der regionalen Wirtschaft?
Seit einigen Wochen befindet sich die britische Regierung jedoch in einer besonders schwierigen Lage. Denn bevor es keine grundlegenden Änderungen des Nordirland-Protokolls gebe, so machte die protestantisch-unionistische Democratic Unionist Party (DUP) klar, wolle die Partei die Regierungsarbeit mit der nationalistischen Sinn-Fein-Partei, die sich für einen Zusammenschluss zwischen Nordirland und Irland ausspricht, nicht aufnehmen.
Die Sinn-Fein-Partei, die einst als politischer Arm der IRA galt, wurde bei den Regionalwahlen Anfang Mai erstmals stärkste Kraft. Die DUP, die laut dem Karfreitagsabkommen gemeinsam mit Sinn Fein regieren soll, knüpft die politische Zukunft der Region nun an das Nordirland-Protokoll. Denn es schade angeblich der Wirtschaft und benachteilige die Region im Vergleich zum Rest des Landes.
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Tatsächlich gilt es als unumstritten, dass sich zusätzliche Kosten durch die Bürokratie letztendlich in höheren Verbraucherpreisen oder niedrigeren Unternehmensgewinnen niederschlagen. Die Kehrseite ist jedoch, dass nordirische Unternehmen einen uneingeschränkten Zugang zum EU-Binnenmarkt haben. Ein Umstand, der die Region zu einer der wirtschaftlich stärksten in Großbritannien werden ließ.
Auch die Rolle des Europäischen Gerichtshofs soll beschränkt werden
Für die DUP gilt dennoch: Das Protokoll muss weg oder grundlegend geändert werden. Das von der Regierung vorgestellte 20-seitige Gesetz sieht die Möglichkeit vor, Warenkontrollen zum Schutz des EU-Binnenmarkts einseitig zu stoppen. Zudem soll unter anderem die Rolle des Europäischen Gerichtshofs drastisch beschränkt werden.
Während die DUP den Vorstoß der Regierung begrüßte, stieß das Vorhaben auch auf viel Kritik. Der stellvertretende Vorsitzende der nordirischen Partei Alliance, Stephen Farry, sagte, es füge der Region „echten Schaden“ zu, weil es für Unsicherheit sorgt. Auch Stuart Anderson, Sprecher der nordirischen Industrie- und Handelskammer, betonte, dass einseitige Schritte nicht in ihrem Sinne seien, stattdessen müsse ein „gemeinsamer Weg“ gefunden werden. Denn auch wenn viele für Änderungen des Protokolls sind, ganz verlieren möchte den Deal eigentlich kaum einer. Hinzu kommt die Sorge, dass das Gesetz gegen internationales Recht verstoßen könnte.
Für EU-Vizekommissionspräsident Maros Sefcovic jedenfalls kommt eine Neuverhandlung des Nordirland-Protokolls nicht infrage. „Das würde für die Menschen und Unternehmen in Nordirland nur weitere rechtliche Unsicherheit bedeuten.“ Die EU-Kommission erwäge rechtliche Schritte, manche sehen gar den Brexit-Deal in Gefahr. Liz Truss sagte in einer morgendlichen Interviewrunde, dass es „keinen Grund“ für die „negative“ Reaktion Brüssels gebe. Ob sie damit recht behält?
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