De Maizière gegen Scholz bei Anne Will: „Grenze zwischen Selbstbewusstsein und Übermut schmal“
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/WE6NJMOKRNHMVD75ENLST5CELQ.jpg)
Was bedeuten die Landtagswahlergebnisse? Olaf Scholz hat eine Idee.
© Quelle: imago images/IPON
Berlin. Im Deutschaufsatz leiden Schülerinnen und Schüler gelegentlich darunter, dass es Lehrer gibt, die meinen, die einzig richtige Interpretation eines Gedichts zu kennen. Wahlergebnisse werden – obwohl sie eigentlich weniger rätselhaft sind als Lyrik –, je nach eigenem Interesse, stets sehr unterschiedlich interpretiert. Das hat sich einmal mehr bei der „Anne Will“-Sendung am Abend der Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz gezeigt.
Der SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz interpretiert das Ergebnis vor allem dahingehend, „dass es eine Mehrheit ohne die Union geben kann“. Scholz – der trotz schlechter Umfragewerte seiner Partei im Bund Kanzler werden will – betont: „Ein Ergebnis für die Union unter 30 Prozent ist möglich – und das strebe ich auch an.“ In welcher Konstellation er im Zweifel regieren möchte – ob eher mit einer Ampel oder mit Rot-Rot-Grün – möchte Scholz aber nicht beantworten.
Die CDU hat verloren. Die SPD hat stagniert. Wir haben gewonnen.
Robert Habeck (Grüne)
Parteichef
Der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck antwortet auf Scholz‘ Vortrag mit folgendem Dreiklang: „Die CDU hat verloren. Die SPD hat stagniert. Wir haben gewonnen.“
Der frühere Bundesinnenminister Thomas de Maizière übernimmt die undankbare Aufgabe, an diesem Wahlabend für die CDU in der Runde zu sitzen. Er spricht von einer „bitteren Enttäuschung, nicht ganz ohne Überraschung“. Er verweist auf die starke Rolle, die beliebte Ministerpräsidenten – also Malu Dreyer (SPD) in Rheinland-Pfalz und Winfried Kretschmann (Grüne) – bei der Wahl gespielt haben.
De Maizière sagt, Olaf Scholz sei bekanntermaßen selbstbewusst. „Manchmal ist die Grenze zwischen Selbstbewusstsein und Übermut schmal“, sagt de Maizière, wobei er süffisant auf die seit Monaten schwachen Umfragewerte im Bund hinweist.
Damit kommen alle anwesenden Politiker ihrer Aufgabe nach, in den Wahlergebnissen vor allem das zu erkennen, was sie für die eigene Partei am günstigsten auslegen lässt. Parteien, die erfolgreich aus Landtagswahlen hervorgehen, erkennen am Wahlabend naturgemäß ein Signal auch für den Bund. Die Bundesvertreter von Parteien, die im Land verloren haben, wissen selbstverständlich immer, warum es vor allem eine Landtagswahl war.
Der Abend ist aus der Sicht derer, die nicht in der Union sind, vielversprechend und interpretationsfähig.
Ursula Münch
Politikwissenschaftlerin
Die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch drückt es sehr treffend so aus: „Der Abend ist aus der Sicht derer, die nicht in der Union sind, vielversprechend und interpretationsfähig.“ Eine große Bedeutung der Persönlichkeit habe es bei der Wahl allerdings auch gegeben. Im Übrigen habe sich gezeigt, dass Wahlen in der Mitte gewonnen würden, sagt Münch. Und ermuntert Scholz, sich in dieser Hinsicht in der eigenen Partei durchzusetzen.
Die „Spiegel“-Journalistin Christiane Hoffmann gibt allerdings auch zu bedenken, mit dem Verweis auf die Persönlichkeitswahl mache man es der Union an diesem Wahlabend zu einfach. Es gebe auch eine große Unzufriedenheit mit der Corona-Regierungspolitik, zum Beispiel in Sachen Impfen. Auch das habe auf die Ergebnisse der Union durchgeschlagen.
Als sicher dürfte mit Blick auf die Bundestagswahl aktuell tatsächlich nur gelten, dass niemand das Ergebnis vorab kennen kann. Und dass es am Wahlabend in Talkrunden so interpretiert werden wird wie jedes Wahlergebnis: durch die Brille des Einzelnen.