Der Ampelstart: geräuschloser Machtwechsel – große Probleme
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Eine Ampel im Berliner Regierungsviertel.
© Quelle: Christoph Soeder/dpa
Berlin. Am Vorabend des Machtwechsels kann man eines sicher sagen: Deutschland bleibt mit Stabilität gesegnet, und das ist nicht wenig. Während in Österreich nach dem Sturz des politischen Blenders Sebastian Kurz dessen System implodiert und sowohl in Polen als auch in Frankreich rechtsautoritäre Kräfte stark sind, vollzieht sich die Übergabe der Amtsgeschäfte in der Mitte des alten Europas reibungslos wie nie. Dass der Sozialdemokrat Olaf Scholz zum neunten Kanzler seit 1949 gewählt werden wird, ist gewiss.
Weitaus weniger gewiss ist, was dem folgt. In die Corona-Krise sind die Ampelparteien SPD, Grüne und FDP hineingestolpert wie Dilettanten. Statt „Freedom Day“ steht Impfpflicht ins Haus. Eine solch abenteuerliche Wende gab es selten. Überdies wird die Ampel 72 Jahre nach Staatsgründung die erste echte Dreierkoalition überhaupt sein. Ihr Wohl und Wehe ist mit vielen Unwägbarkeiten versehen.
„Wer Führung bestellt“
In der SPD zeigt sich, dass Scholz’ berühmter Satz „Wer Führung bestellt, bekommt sie auch“ Wirkung entfaltet. Selbst führende Sozialdemokraten fürchten ein falsches Wort aus eigenem Munde, das den nächsten Regierungschef verprellen könnte. Tatsächlich gäbe es für Kritik Anlass genug.
Der kommende Kanzler hat in der Corona-Krise mit Verzögerung richtig gehandelt. Er kommuniziert bisweilen eigenwillig sparsam. Und er verkündet provozierend spät, wer für die SPD ins Kabinett einzieht. Trotzdem hält die Partei still. Das muss nicht so bleiben. Es wiederholt sich nämlich ein Muster. Scholz’ Vorgänger Helmut Schmidt und Gerhard Schröder standen ebenfalls eher rechts, während die SPD eher links stand. Das barg und birgt Konfliktstoff.
Die FDP hat schon Probleme, bevor die Ampel in die Gänge kommt. Sie glaubte, mit einer Liberalisierung der Corona-Politik glänzen zu können. Nun müssen die Liberalen schmerzhaft erfahren, dass das Virus ihnen nicht gehorcht und man gegen die Realität nicht regieren kann. Für die FDP ist Corona, was für die SPD die Sozialstaatskrise der Nullerjahre war, der sie die Agenda 2010 entgegensetzte, und für die Grünen die Konflikte in Afghanistan und dem Kosovo: Eine Wirklichkeit, an der man nicht vorbeikommt.
Risikofaktor Russland
Die Grünen rüsten personell auf – vor allem Robert Habeck, der starke Leute in sein Klimaschutzministerium holt. Die Partei hat die anspruchsvollste Anhängerschaft. Und ihre Erfolge werden knallhart messbar sein. Einmal jährlich wird man sehen können, ob die CO₂-Emissionen auf dem angestrebten 1,5-Grad-Pfad sinken – oder nicht. Keine noch so geschliffene Robert-Habeck-Rhetorik würde Defizite bemänteln können.
Sollte der russische Präsident Wladimir Putin weiterhin auf Aggression setzen, könnte es auch außenpolitisch rasch sehr ungemütlich werden. So geräuschlos der Machtwechsel also wirkt: Es ist die Ouvertüre zu einem Musikstück, das wir nicht kennen.