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Der Draghi-Effekt: Wie aus Italien ein Impfmeister wurde

Mario Draghi während einer Pressekonferenz.

Mario Draghi während einer Pressekonferenz.

Rom. Mario Draghi ist ein Mann, der wenig redet. Aber wenn er es tut, dann verfehlen seine Worte ihre Wirkung in der Regel nicht. Legendär ist sein Satz aus dem Sommer 2012 während der Eurokrise, als Spekulanten und Hedgefonds gegen die italienischen Staatsschulden und die spanischen Banken wetteten und das Überleben der Einheitswährung gefährdet schien.

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Die Europäische Zentralbank (EZB), erklärte Draghi als deren damaliger Präsident, sei bereit, „alles Notwendige („whatever it takes“) zu tun, um den Euro zu erhalten“. Die bloße Erwähnung der beinahe unbeschränkten monetären Feuerkraft der EZB hatte ausgereicht, die Spekulationswelle einzudämmen und das europäische Bankensystem und den Euro zu stabilisieren.

Heute, als Präsident des Ministerrats von Italien, sagt Draghi in der Covid-Krise Sätze wie diesen: „Wer dazu aufruft, sich nicht zu impfen, der ruft dazu auf, zu sterben – oder andere sterben zu lassen.“ Die deutlichen Worte des italienischen Premiers waren an die Impfgegner im Allgemeinen und an Matteo Salvini im Besonderen gerichtet: Der Chef der rechtspopulistischen Lega flirtet offen mit den „No Vax“, der italienischen Bewegung der Impfgegner.

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Er hatte sich zunächst auch dagegen ausgesprochen, dass man in Italien ab dem 15. Oktober nur noch zur Arbeit wird gehen können, wenn man den sogenannten Green Pass vorweisen kann. Dieses Zertifikat erhält in Italien, wer entweder mindestens einmal geimpft oder genesen oder negativ getestet ist (auch bekannt als 3G-Regel).

Neuer „Draghi-Effekt“ in Italien

Die Ankündigung, die Green-Pass-Pflicht auf die Arbeit auszuweiten, hat bewirkt, dass in der vergangenen Woche die Zahl der verabreichten Impfdosen wieder in die Höhe geschossen ist – ein neuer „Draghi-Effekt“, wie einst im Sommer 2012. In Italien haben inzwischen 83,3 Prozent der Personen über zwölf Jahre mindestens eine Dosis erhalten; 77,6 Prozent haben beide Impfungen. Damit steht Italien deutlich besser da als die meisten europäischen Länder.

Bis Mitte Oktober will Draghi eine Durchimpfung von 90 Prozent der über zwölfjährigen Bevölkerung erreichen – und damit praktisch die Herdenimmunität. Das Ziel scheint durchaus erreichbar zu sein – auch wenn die Impfkampagne trotz „Draghi-Effekt“ insgesamt etwas an Schwung verloren hat. Das liegt aber einzig daran, dass es in Italien kaum noch Ungeimpfte gibt, die man noch immunisieren muss und medizinisch gesehen auch kann.

Hohe Impfbereitschaft und strenge Regeln

Die schon heute sehr hohe Impfquote ist auch ein Verdienst von Armeegeneral Francesco Paolo Figliuolo, den Draghi im März zum Covid-Sonderkommissar ernannte hatte und der das Impfprogramm mit militärischer Disziplin und Logistik durchzieht. Sie spiegelt aber auch die psychologische Verfassung des Landes wider: Italien war im Frühling 2020 als erstes westliches Industrieland äußerst hart von der ersten Covid-Welle erfasst worden – die Bilder der überlasteten Intensivstationen und der Militärfahrzeuge, die in nächtlichen Kolonnen die Särge der Verstorbenen aus dem Krankenhaus von Bergamo abtransportierten, sind immer noch sehr präsent.

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Die Impfbereitschaft in Italien ist generell deutlich höher als in den meisten europäischen Ländern: 90 Prozent der Italienerinnen und Italiener hatten schon im Sommer angegeben, sich impfen lassen zu wollen. Der wichtigste Grund für die hohe Impfquote ist aber zweifellos die Unbeirrbarkeit und Autorität, mit der Draghi die Impfkampagne vorantreibt.

Die Regeln für die Arbeitsplätze sind strikter als in allen anderen Ländern der EU: Wer ab dem 15. Oktober ohne Zertifikat zur Arbeit erscheint, wird umgehend wieder nach Hause geschickt, und die Lohnzahlung wird eingestellt: bei Angestellten des öffentlichen Dienstes nach fünf Tagen, in Privatunternehmen sofort. Für das medizinische Personal gilt die Regel seit vielen Monaten, für die Lehrkräfte an den Schulen und Universitäten seit dem Schulbeginn am 13. September.

„Bestimmte Dinge müssen getan werden, auch wenn sie unpopulär sind“

Einen Green Pass vorweisen muss man in Italien inzwischen für fast alles: für die Benutzung von Zügen, Flugzeugen, Fähren und Überlandbussen, für die Innengastronomie, für den Besuch von Museen, Kinos, Theatern, Veranstaltungen, Messen, Konferenzen, Stadien. Eine derart weit gefasste Green-Pass-Pflicht kommt natürlich einer versteckten Impfpflicht gleich, zumal die Corona-Tests in Italien kostenpflichtig sind und alle drei Tage wiederholt werden müssen.

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Draghi kümmert dies wenig: „Bestimmte Dinge müssen getan werden, auch wenn sie unpopulär sind“, erklärte der Regierungschef unmissverständlich, als er vor einer Woche die neuen Verschärfungen vorstellte. In den Augen Draghis schränkt der Green Pass die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger nicht unverhältnismäßig ein, im Gegenteil: „Der Entscheid, das Obligatorium auf die Arbeit auszuweiten, ist nötig, um das Land immer weiter öffnen zu können“, betonte Draghi.

Ohne die Maßnahmen, so der Premier, werde man im Winter von der nächsten Covid-Welle erfasst – und mit einem Rückfall in den Lockdown bestraft.

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