Der EU-Gipfel verharrt im Wartestand
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Merkel und Macron wollen die Flüchtlingskrise der EU lösen. Doch eine Einigung mit den anderen Staaten ist unwahrscheinlich.
© Quelle: dpa
Brüssel. Symbolhafter hätten die Probleme der Vergangenheit die EU kaum einholen können: Kurz bevor die Staats- und Regierungschefs der Union gestern in Brüssel zusammenkamen, musste das Treffen verlegt werden. Gase in der Küche des strahlend-neuen Europa-Hauses machten einen Umzug in das alte, etwas heruntergekommene Tagungsgebäude früherer Begegnungen nötig. Als ob das Schicksal den 28 Staatenlenkern signalisieren wollte, dass sie sich auf dem Weg in die Zukunft der EU zunächst den vielen ungelösten Themen stellen sollten.
Dabei hatte die Bundeskanzlerin gleich zu Beginn unerwartete Unterstützung erfahren, als sie die demokratische Entwicklung in der Türkei „sehr negativ“ einschätzte, vor den Journalisten von „großer Sorge“ sprach und eine Kürzung der rund 4,4 Milliarden Euro forderte, die Brüssel dem Land am Bosporus zur Vorbereitung einer EU-Mitgliedschaft eingeräumt hat. Mitten in ihre Ausführungen mischte sich im Vorbeigehen der gerade abgewählte österreichische Amtskollege Christian Kern ein: „Ich stimme zu und beende damit meine Ausführungen“, scherzte er. Merkel lächelte amüsiert. Viel Gelegenheit hatte sich dazu am ersten Tag des Treffens nicht.
Die Flüchtlingsfrage bleibt zunächst ungelöst
Die EU auf der Suche nach Einigkeit und Entschlossenheit. Hier der französische Staatspräsident Emmanuel Macron, der wieder einmal schwärmte: „Heute Abend und morgen werden wir die Angelegenheit haben, ein Europa voranzubringen, das schützt“, sagte er und setzte hinzu: „Das schützt angesichts der Migrationen.“ Auf der anderen Seite die bekannten Blockierer: Die Flüchtlingsfrage blieb auch auf diesem Gipfeltreffen ungelöst – trotz eines Treffens der vier Visegràd-Regierungschefs mit Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Vorabend.
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Auf der Tagesordnung des Gipfels stehen auch die Querelen mit der Türkei. Doch die Staaten können sich nicht auf eine gemeinsame Linie einigen, die EU-Beitrittsgespräche zu beenden.
© Quelle: AP
Das Türkei-Problem, vor allem auf deutsche Initiative hin auf die Tagesordnung geschoben, wurde zwar besprochen, aber nichts entschieden. Für die Forderung nach einem Abbruch der Beitrittsgespräche ist ohnehin keine Mehrheit unter den 28 Partnern in Sicht. Den Grund nannte die Kanzlerin selbst: Das Land habe „Herausragendes“ in der Flüchtlingskrise geleistet, lobte Merkel. Deshalb solle Ankara auch die vereinbarten nächsten drei Milliarden Euro bekommen, um die Migranten bei sich aufzunehmen. Kürzungen auf der einen Seite, weitere Mittel auf der anderen – eine Union der scheinbaren Widersprüche.
Tusk will den EU-Gipfel aufwerten
Ratspräsident Donald Tusk will den Stillstand durchbrechen. Als Antwort auf die Reformappelle legte er eine „Leaders Agenda“ vor: Die wichtigsten Punkte: monatliche Treffen der Staats -und Regierungschefs (anstatt nur vier bis sechs Mal im Jahr), stärkeres Gewicht für den EU-Gipfel, der den Ministerräten nicht nur Arbeitsaufträge geben, sondern zu Kompromissen mit Mehrheitsentscheid verpflichten soll.
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Donald Tusk mahnt als Ratspräsident die Regierungschefs an, sich in wichtigen Themen wie der Flüchtlingskrise zu einigen. Dies müsse bis Sommer 2018 geschehen.
© Quelle: EPA
Tusk fordert Antworten: Bis zur Europawahl 2019 müssten alle großen Themen abgeräumt werden. Eine Einigung in der Migrationsfrage bis zum Sommer nächsten Jahres, Umbau der Wirtschafts- und Währungsunion bis in zwei Jahre. „Blockaden überwinden“ und „Fortschritte erzielen“ nannte er das Konzept in seinem Einladungsbrief zu dem Brüsseler Treffen.
Rajoy muss sich Kritik aus Belgien gefallen lassen.
Doch Beschlüsse fielen wieder einmal schwer, nicht nur wegen Kanzlerin Angela Merkel, die mit Blick auf ihre Koalitionsverhandlungen in Berlin keine weitreichenden Zusagen machen konnte. Aber wohl auch deshalb, weil die Union plötzlich von eigenen Problemen eingeholt wurde.
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Belgiens Ministerpräsident Charles Michel kritisierte die Einsätze der spanischen Polizei in Barcelona scharf.
© Quelle: imago stock&people
Der maltesische Ministerpräsident Joseph Muscat sah sich Fragen nach der Ermordung der regierungskritischen Journalistin Daphne Caruana Galizia ausgesetzt, die Korruptionsvorwürfen auch gegen den Premier nachgegangen war. Und Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy musste sich allenthalben Bemerkungen zum Katalonien-Konflikt stellen. Sein belgischer Kollege Charles Michel breitete Attacken wegen des brutalen Polizeieinsatzes in Barcelona sogar ausgiebig aus und bot sich dann noch als Ratgeber an: „Er hat meine Telefonnummer und für einen europäischen Kollegen bin ich immer erreichbar.“ Rajoy schwieg.
Von Detlef Drewes/RND