Der irre Lebensweg des Wikileaks-Gründers Julian Assange
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Julian Assange hat sein selbst gewähltes Exil wieder verlassen – widerwillig und lautstark protestierend, in Handschellen, nun mit weißem Vollbart.
© Quelle: Jack Taylor/Getty Images
London. Es ist ein Dienstag, dieser 19. Juni 2012, als Julian Assange in das rot geziegelte viktorianische Gebäude im schicken Londoner Stadtteil Knightsbridge spaziert, die ecuadorianische Botschaft liegt direkt neben dem Nobelkaufhaus Harrods. Gerade läuft die Fußballeuropameisterschaft in Polen und der Ukraine, der britische Premierminister heißt David Cameron und von einer Saga namens Brexit kann noch niemand etwas ahnen.
Erst knapp sieben Jahre später, an diesem 11. April 2019, einem Donnerstag, soll Julian Assange sein selbst gewähltes Exil wieder verlassen – widerwillig und lautstark protestierend, in Handschellen, nun mit weißem Vollbart. Am Donnerstagmorgen wurde der Mitbegründer der Enthüllungsplattform Wikileaks festgenommen und am Nachmittag von einem Londoner Gericht für schuldig befunden, gegen seine Kautionsauflagen in Großbritannien verstoßen zu haben. Zudem liege ein Auslieferungsantrag aus den USA vor, teilte Scotland Yard mit. Die US-Justiz wirft dem Enthüllungsaktivisten vor, sich mit der Whistleblowerin Chelsea Manning verschwört zu haben.
Assange wollte einer Auslieferung nach Schweden entgehen
Die britische Polizei bekam die Erlaubnis erteilt, die Botschaft zu betreten, nachdem die Regierung in Quito ihr diplomatisches Asyl für den 47-Jährigen zurückgezogen hatte. Der Australier hatte sich damals in dem Gebäude verschanzt, um einer Verhaftung und einer Auslieferung nach Schweden zu entgehen, wo er wegen Missbrauchsvorwürfen befragt werden sollte.
Gleichwohl zeigte er sich stets überzeugt, dass er dann in die USA ausgewiesen würde, wo er eine Strafverfolgung befürchtet. Wegen der Veröffentlichung brisanter Dokumente zu den Kriegen in Afghanistan und im Irak drohen ihm ein Verfahren und womöglich lebenslange Haft.
Laut seiner Anwältin Jennifer Robinson will er nun gegen seine Auslieferung kämpfen. Die Verhaftung von Assange schaffe einen gefährlichen Präzedenzfall für die Rechte von Journalisten, sagte Robinson. Auch während seiner Verhaftung präsentierte sich der 47-Jährige nicht als gebrochener Mann. Er hielt als Zeichen für die Welt das Buch "Die Geschichte des Sicherheitsstaates" demonstrativ in die Kamera.
Wikileaks kritisierte den Entzug des diplomatischen Asyls
Der britische Außenminister Jeremy Hunt begrüßte die Entwicklung. Assange habe die Botschaft in Geiselhaft genommen, die Situation sei „unerträglich“ für die Vertretung gewesen. Wikileaks kritisierte hingegen den Entzug des diplomatischen Asyls für ihren Gründer als „illegal“ und Verletzung internationalen Rechts.
Der ecuadorianische Botschafter habe die britische Polizei "eingeladen", Assange zu verhaften. Deren Regierung hatte jedoch erst diese Woche betont, dass der Australier nicht auf unbegrenzte Zeit in der Londoner Vertretung des südamerikanischen Landes bleiben könne. "Es wäre nicht gut für seinen geistigen Zustand, für seine Gesundheit", hieß es. Tatsächlich wurde die Situation für Ecuador zunehmend zu einer Belastung – was auch das Verhältnis zwischen dem Staat und dem Flüchtenden immer mehr störte.
Und so überrascht es kaum, dass Präsident Lenín Moreno auf das Benehmen des Dauergasts verwies: „Das unhöfliche und aggressive Verhalten von Herrn Julian Assange, die feindlichen und drohenden Erklärungen seiner verbündeten Organisation gegen Ecuador, die Überschreitung internationaler Verträge“ hätten dazu geführt, dass das Asyl „nicht länger tragbar und realisierbar“ sei.
Bedingung für die Festnahme: Keine Folter oder Todesstrafe
Der Australier habe sich in die internen Angelegenheiten anderer Staaten eingemischt, zuletzt im Januar 2019, als Wikileaks Dokumente aus dem Vatikan geleakt habe, kritisierte Moreno. Auch soll Assange laut Präsident Sicherheitskameras in der Botschaft blockiert und Personal schlecht behandelt haben.
Ecuador habe seine Verpflichtungen im Rahmen des internationalen Rechts „vollständig erfüllt“, sagte Moreno. Allein eine Bedingung stellte er. Assange solle nach seiner Festnahme nicht an ein Land ausgeliefert werden, in dem ihm Folter oder die Todesstrafe drohten. Das wurde offenbar von der britischen Regierung garantiert.
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Assange, der blasse Mann mit den weißen Haaren, lebte in einem 20 Quadratmeter großen Zimmer, vollgestellt mit Möbeln und ausgestattet mit Computer und einer Lampe, die das Sonnenlicht imitiert. Es waren nur kurze Momente, in denen er in den Genuss echten Tageslichts kam, sodass die hell gestrichenen Wände des Apartments im ersten Stock wie dicke Mauern wirken mussten.
Gleichwohl haperte es offenbar an seinem Sinn für Sauberkeit. So ermahnten etwa Angestellte, Assange solle sein Bad gründlicher putzen und auf die Hygiene seiner Katze achten. Ab und zu wandte sich der gesundheitlich angeschlagene Assange von einem kleinen Balkon aus an seine Fans. Doch selbst die Zahl der Anhänger, die vor der Botschaft für ihren Helden protestierten, wurde mit den Jahren kleiner.
In den USA wird er als „Verräter“ und „Cyber-Terrorist“ beschimpft
Nachdem Mitte 2010 die Vorwürfe der sexuellen Belästigung von zwei Schwedinnen laut geworden waren, hatte der Wikileaks-Gründer monatelang von der britischen Hauptstadt aus gegen seine Auslieferung gekämpft, bekam unter Auflagen Hausarrest und verbrachte mehr als ein Jahr auf dem Landgut eines Freundes, von wo aus er weiter bis zur höchsten Instanz klagte. Doch er verlor. Seine letzte Chance, Asyl zu erhalten, sah er in der ecuadorianischen Botschaft.
Assange hatte die Vergewaltigung stets bestritten. 2017 wurde die Anklage fallengelassen. Weitere Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs waren im Sommer 2015 verjährt. Assange, der die Whistleblower-Bewegung geprägt hat, ist überzeugt davon, dass die Anschuldigungen gegen ihn politisch motiviert sind. Er fürchtete, nach kürzester Zeit in Amerika zu landen, hätte er sich in Schweden zu den Vorwürfen befragen lassen.
In den USA ist der Zorn auf seine Wikileaks-Enthüllungen, die eine weltweite diplomatische Krise ausgelöst hatten, groß. Politiker beschimpften ihn damals als „Verräter“ und „Cyber-Terroristen“. Er und Mitarbeiter belegten mit Hilfe hunderttausender Dokumente auf der Internetplattform Wikileaks unter anderem Folterungen in irakischen Gefängnissen und die hohen Opferzahlen, andere geheime Militärpapiere beschäftigten sich mit der Lage in Afghanistan und im US-Gefangenenlager Guantanamo.
Von Katrin Pribyl/RND