Der Machtkampf ist vertagt

Theresa May will 12.000 EU-Vorschriften in das britische Recht überführen. Doch selbst ihre eigene Partei stört sich daran gewaltig: Die Regierung erlange damit zu viel Macht.

Theresa May will 12.000 EU-Vorschriften in das britische Recht überführen. Doch selbst ihre eigene Partei stört sich daran gewaltig: Die Regierung erlange damit zu viel Macht.

London. Spät am Abend kam Premierministerin Theresa May dann doch noch einmal im Parlament vorbei. Da hatten Abgeordnete bereits mehr als 13 Stunden lang gestritten, debattiert und dargelegt, warum sie den Gesetzentwurf zur Aufhebung des EU-Gemeinschaftsrecht missbilligen beziehungsweise befürworten. May kümmerte sich ums Tagesgeschäft, warnte aber kurz vor der Abstimmung, die erst am Dienstag nach Mitternacht stattfand, abermals vor einer Ablehnung.

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Auf diese Frau ist Premierministerin Theresa May angewiesen: Parteichefin Arlene Foster sichert mit ihrer erzkonservativen Democratic Unionist Party May eine hauchdünne Mehrheit im Parlament.

Auf diese Frau ist Premierministerin Theresa May angewiesen: Parteichefin Arlene Foster sichert mit ihrer erzkonservativen Democratic Unionist Party May eine hauchdünne Mehrheit im Parlament.

Das Votum wurde als erste Bewährungsprobe für die konservative Regierungschefin gedeutet, die seit den Neuwahlen im Juni eine Minderheitsregierung anführt und auf die Unterstützung der erzkonservativen nordirischen DUP (Democratic Unionist Party) angewiesen ist. Am Ende kam es nicht zum befürchteten Machtkampf: 326 Abgeordnete stimmten für den umstrittenen Gesetzentwurf – und damit auch sieben Parlamentarier der oppositionellen Labour-Partei. 290 votierten dagegen.

Die Regierung May steht vor einer Mammutaufgabe

„EU (Withdrawal) Bill“ will London eine Regelung aus dem Jahr 1972 aufheben und alle EU-Vorschriften nach dem Brexit in britisches Recht überführen. Auch wenn das ein bisschen wie nach einem Copy-and-Paste-Verfahren klingt, es ist eine Mammut-Aufgabe. Immerhin handelt es sich um mehr als 12.000 Regelungen, die entscheidende Bereiche betreffen wie etwa Arbeitnehmerrechte oder Umwelt- und Verbraucherschutz. Im Grunde muss jede einzelne Vorschrift gesondert geprüft werden, ob sie nach dem EU-Austritt überhaupt noch gelten kann. Erst im Laufe der Zeit, so der Plan, sollen dann einzelne Gesetze abgeschafft oder verändert werden.

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Das Votum bedeutet May zufolge, dass Großbritannien die Verhandlungen mit Brüssel nun „auf einem soliden Fundament“ weiterführen könne. Doch während sie noch von einer „historischen Entscheidung“ sprach, die „den Willen des britischen Volks stützt“, standen in der Nacht bereits etliche Abgeordnete Schlange im Unterhaus, um Änderungsanträge einzureichen.

Opposition-Politiker sprechen von einem stillen Staatsstreich

Der Entwurf hat scharfe Kritiker, die eine Einmischung in die Gewaltenteilung fürchten und immer wieder auf Heinrich VIII. verweisen. Der herrschsüchtige Tudor-Monarch mit dem roten Vollbart setzte im 16. Jahrhundert gerne Gesetze des Parlaments per Erlass außer Kraft. Wie der despotische König, so der Vorwurf etlicher Politiker und Beobachter, wolle Mays Kabinett die Macht auf dem Weg zum Brexit und darüberhinaus an sich reißen.

„Es ähnelt einem stillen Staatsstreich“, schimpfte ein Labour-Parlamentarier. Ein Liberaldemokrat nannte es „einen dunklen Tag für die Mutter aller Parlamente“. Wird etwa Westminster entmachtet? May und ihre Minister rechtfertigen sich mit den komplexen Verhandlungen und der tickenden Uhr, weshalb man in bedeutenden Fragen auf die sogenannten Henry-VIII-Klauseln zurückgreifen wolle.

In der Tory-Partei rumort es

Doch selbst innerhalb des konservativen Lagers hat sich Widerstand formiert. Der einflussreiche Tory-Abgeordnete Dominic Grieve bemängelte, durch den Entwurf in seiner jetzigen Form erhalte die Regierung für den Brexit Befugnisse, „die unsere verfassungsrechtlichen Prinzipien brechen“. Parteikollegin Nicky Morgan verwies auf eines der zentralen Versprechen der Brexit-Befürworter: Die Wähler hätten mit ihrer Stimme „einem souveränen Parlament in Westminster die Kontrolle zurückgeben wollen, nicht einer übermächtigen Regierung“. Beide Politiker waren Teil einer konservativen Gruppe, die sofort nach dem Votum Änderungsanträge stellte.

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Die Tory-Abgeordnete Nicky Morgan will Änderungsanträge sofort durchsetzen, um dem EU-Recht ein Ende zu bereiten.

Die Tory-Abgeordnete Nicky Morgan will Änderungsanträge sofort durchsetzen, um dem EU-Recht ein Ende zu bereiten.

Das Problem für May: Während die Opposition als auch EU-Freunde in den Reihen der Tories für einen weichen Ausstieg plädieren, pochen Hardliner in der konservativen Partei darauf, keine Kompromisse einzugehen. Sie befürchten, durch Zugeständnisse könnte die harte Brexit-Linie verwässert werden. Die politische Zukunft von Theresa May steht auf dem Spiel. Noch ist das Gesetz nicht verabschiedet, weitere Lesungen sowohl im Unter- als auch im Oberhaus folgen – genauso wie noch mehr Debatten um den richtigen Weg raus aus der EU.

Von Katrin Pribyl/RND

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