Der Querdenker

Ein Visionär: Heiner Geißler war redegewandt; seine Scharfzüngigkeit war gefürchtet.

Ein Visionär: Heiner Geißler war redegewandt; seine Scharfzüngigkeit war gefürchtet.

Berlin. Es gibt diese besonderen Geschichten von Politikern, deren Karrieren parallel verlaufen, die sich stützen und dann zu Konkurrenten werden. Die sich zuerst fördern und am Ende ist nur noch für einen Platz. Deren Geschichten untrennbar miteinander verwoben sind. Eine dieser Geschichten aus der Bonner Republik ist die von Helmut Kohl und Heiner Geißler.

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Innerhalb weniger Wochen hat die CDU nach Helmut Kohl ihren zweiten großen Reformer und Machtstrategen verloren. Kohl und Heiner Geißler – das war über Jahrzehnte hinweg der Inbegriff streitbarer Politik. Geißler blieb bis zuletzt, trotz schwerer Krankheit, von seiner pfälzischen Heimat Gleisweiler aus der Politik verbunden. Am Dienstagmorgen ist er gestorben.

„Denen rieselt der Kalk aus dem Hirn“

Für viele im politischen Geschäft ist Geißler der Generalsekretär schlechthin. Von 1977 bis 1989 hatte er das Amt inne. Oft spottete er über das Establishment, dessen prägender Teil er über viele Jahrzehnte doch selbst war. Denen riesele „der Kalk aus dem Hirn“, lästerte Geißler. Er ist einer, an den man sich erinnert – quer durch alle Parteien.

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Als Kohl den jungen Modernisierer in seine rheinland-pfälzische Regierung holte, waren beide voller Tatendrang. Sie wollten die Herrschaft der alten Männer in der Union aufbrechen. Doch als Kohl Kanzler wurde, ging Geißler seine eigenen Wege – was Kohl verärgerte.

Kohls Macht sollten nur diejenigen dauerhaft teilen, die dem Chef bedingungslos zur Seite standen. Geißlers moderne Art, Politik zu machen, passte da nicht ins Bild. 1989 wollte der jesuitisch geschulte Intellektuelle nicht mehr nur beim Drachenfliegen oder Klettern in den Dolomiten die Grenzen des Machbaren testen, sondern auch in seiner CDU. Mit ihm als Antreiber hatten sich unter anderem Lothar Späth, Rita Süssmuth und Norbert Blüm darauf verständigt, dass Kohl nicht mehr an die Spitze der CDU gehöre. Der parteiinterne Putsch von Bremen misslang – Kohl blieb Vorsitzender und feuerte seinen „General“. Geißlers Ruf als Visionär blieb.

Sozialpolitiker als Machtmensch

Geißler war immer zweierlei: Sozialpolitiker und Machtmensch. Als Minister in Rheinland-Pfalz und als Jugend- und Familienminister von 1982 bis 1985 sorgte er noch lange vor der Ära Angela Merkel dafür, dass die Union das sozialdemokratische Denken in Sachen Gerechtigkeit nicht ignorierte. Mit dem Aufstieg von Rita Süssmuth drückte Geißler die Einführung einer Frauenquote und eine neue Offenheit für Kinderfreundlichkeit im praktischen Alltag durch.

In zugespitzten Situationen konnte er bisweilen geradezu unchristlich politische Gegner attackieren. Etwa, als er die Sozialdemokraten im Streit um den Nato-Doppelbeschluss als „fünfte Kolonne Moskaus“ bezeichnete. Willy Brandt nannte ihn daraufhin einen „Hetzer wie Goebbels“. Aber Grenzüberschreitungen gehörten für Geißler neben allen christlichen Botschaften zum politischen Handwerkszeug.

Wer sein intellektuelles Niveau nicht aushielt, den schimpfte Geißler zuweilen auch öffentlich einen Dummkopf. Helmut Kohl vergrätzte er während der Flick-Spendenaffäre mit der frechen Behauptung, sein Chef habe wohl einen „Blackout“ gehabt.

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Einer, der niemanden schonte

Mit Attacken wie diesen bewies Geißler ein ums andere Mal, dass er nichts und niemanden schonen würde, sollte es in die seiner Meinung nach falsche Richtung gehen. Welches die richtige ist, hat der redegewandte Querkopf immer mal wieder neu für sich definiert. In den letzten Jahren war nicht mal mehr der Kapitalismus vor dem Politkämpfer sicher.

Als Mitglied von Attac prangerte er die Ungerechtigkeit der Vermögensverhältnisse in der kalten Welt der Ökonomie an. So unversöhnlich Geißler war, so treu und leidenschaftlich zeigte er sich andererseits. Mit seinem frühen Weggefährten und späten Widersacher Kohl gab es nie mehr eine Verständigung. Mit seiner CDU jedoch fieberte er bis zum Schluss.

Von Dieter Wonka

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