Der verblüffend stabile Mr. Biden
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Der übliche Abwärtstrend nach vier Monaten im Amt blieb ihm erspart: US-Präsident Joe Biden.
© Quelle: Alex Brandon/AP/dpa
Liebe Leserinnen und Leser,
ob Nahostkrise oder Belarus-Krise: Die neue US-Regierung fährt durch Wind und Wetter der Weltpolitik wie eine schwere Lok auf Schienen.
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Die Mehrheit der Amerikanerinnen und Amerikaner fühlt sich bei Joe Biden weiterhin gut aufgehoben. Die Sympathie für den Präsidenten bröckelt nicht, im Gegenteil. Biden verbucht die seit dem Zweiten Weltkrieg stabilsten Zustimmungswerte für US-Präsidenten in den ersten vier Monate nach dem Amtsantritt.
Jüngste Umfragen zum „approval rating“ zeigen Werte um die 54 Prozent. Die Zahl liegt zwar niedriger als das gelegentliche Hoch des einen oder anderen Präsidenten. Sie liegt aber bedeutend höher als etwa bei Donald Trump: Der war vier Monate nach Amtsantritt schon in die Dreißiger abgestürzt.
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Die Demoskopie-Webseite Five-Thirty-Eight zeigt einen Durchschnitt aller verfügbaren seriösen Umfragen zum „approval rating“ des Präsidenten.
© Quelle: 538
Als Biden im Januar im Weißen Haus anfing, war vom traditionellen „honeymoon“ in den Umfragen wenig zu sehen. Üblich ist eigentlich ein wochenlanger Aufwärtstrend, der dann aber bald nachlässt.
„Jetzt allerdings fällt aber auch der traditionellen Rückgang der Zustimmung aus, den viele Präsidenten im Laufe ihres fünften Monats erlebt haben“, betont Harry Enten, der Demoskopieexperte des Senders CNN, in einer lesenswerten Analyse.
Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt? Biden stimmt sein Land gerade ein in ein solides Weder-Noch.
Positive Überraschung statt Enttäuschung
Kein Präsident seit 1945 war in seinen ersten Monaten so stabil wie dieser. Woran liegt das?
1. Biden vermeidet systematisch Enttäuschungen: Vom ersten Tag an vermied es Biden, Fallhöhen für sich selbst zu erzeugen. Statt etwas zu versprechen, was er nicht halten kann, lieferte er lieber mehr ab als versprochen war – etwa beim Impfen. So etwas prägt sich ein bei den Leuten und hinterlässt den dauerhaft guten Eindruck von Redlichkeit.
2. Biden hält sich als Person zurück: Biden drängt nicht hechelnd vor die Mikrofone, um sich mit irgendeinem Thema zu profilieren. Damit reduziert der 78-Jährige ein Stück weit seine Präsenz – aber auch seine Angreifbarkeit für den Fall, dass das Thema vielleicht in zwei, drei Wochen schon wieder in neuem Licht erscheint. Die spektakuläre Bereitschaft der USA etwa, den Patentschutz für Impfstoffe aufzuweichen, ließ er die US-Handelsbeauftragte Katherine Tai verkünden, die Washington in der Welthandelsorganisation WTO vertritt. Sollte die WTO am Ende einen anderen Weg der Hilfe für Entwicklungsländer wählen, könnte Biden mitgehen, ohne persönlich sein Gesicht zu verlieren.
3. Bidens Team schafft Ruhe: Trump hat auch den wichtigsten Mitspielern in seinem Kabinett immer misstraut. Mal wurde der Nationale Sicherheitsberater gefeuert, mal der Außenminister, mal der Verteidigungsminister. Immer gab es Streit, nie konnte einer ein eigenes Kraftfeld entwickeln und Probleme selbstständig im Namen der Regierung lösen. Das Ergebnis waren Lärm, Chaos und Nachteile für die USA im Verhältnis zum Rest der Welt. Unter Biden ist es anders: Sicherheitsberater Jake Sullivan, Außenminister Antony Blinken und Verteidigungsminister Lloyd Austin arbeiten geräuschlos zusammen – und erzeugen damit nach außen hin jene Ruhe, in der bekanntlich die Kraft liegt.
4. Biden kann Außenpolitik: In ihren unerwarteten ersten Krisen – Gaza und Belarus – hat die neue US-Regierung alles richtig gemacht. Im Weißen Haus saß zum Glück jemand, der nicht erst die Vokabeln lernen musste. Im Gazakrieg hat Biden Israel nach außen hin unterstützt – und zugleich auf internen Kanäle eine rasche Waffenruhe erzwungen. Als Premier Benjamin Netanjahu sich widersetzte, soll Biden am Telefon laut geworden sein. Biden weiß, wie so etwas geht, er hat das alles Hunderte Mal erlebt.
5. Biden hat eine Mission: Der Präsident spricht immer wieder von einer bedeutenden weltgeschichtlichen Phase, in der die USA jetzt nicht allein an sich denken dürften. Es gehe um die weltweite Frage, ob sich der Autoritarismus gegen die Demokratie durchsetzt. Durch die Orientierung an einer größeren historischen Mission verschafft Biden sich derzeit zusätzliches Gewicht, nach innen wie nach außen.
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Schon in den 70er-Jahren, als junger Senator aus Delaware, engagierte sich Joe Biden (rechts) in der Außenpolitik. Das Bild zeigt ihn an der Seite von US-Präsident Jimmy Carter, der 1978 in Camp David den Friedensvertrag zwischen Israel und Ägypten aushandelte.
© Quelle: AP
In seiner Erklärung zu Belarus kritisiert Biden nicht nur die Entführung der Ryanair-Maschine und die Festnahme eines Regimekritikers. Er zieht ganz generell das Fähnchen hoch für den Freiheitskampf der Weißrussen: „Seit Monaten verschafft sich das belarussische Volk Gehör und fordert Demokratie, Achtung der Menschenrechte und Wahrung der Grundfreiheiten. Ich begrüße den Mut und die Entschlossenheit der Weißrussen, die für die Grundrechte kämpfen, darunter Journalisten wie Roman Protassewitch und Oppositionsführer wie Svyatlana Tsikhanouskaya und ihr Ehemann Syarhey Tsikhanouski. Die Vereinigten Staaten werden den Menschen in Belarus in ihrem Kampf beistehen.“
Sollte die Staatsführung in Minsk darin eine Art Kampfansage sehen, liegt sie richtig.
<b>POPPING UP: </b>Gute Seiten des bösen Wolfs
In vielen US-Bundesstaaten verursachen Rehe auf der Fahrbahn immer wieder zum Teil schwere Verkehrsunfälle. Im Magazin „The Atlantic“ bringt der Wissenschaftsjournalist Ed Yong jetzt eine mögliche Gegenmaßnahme ins Spiel, die manche ein bisschen gruselig finden: Wölfe ansiedeln.
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„Das politischste Tier“: Aufnahme aus einer Überwachungskamera von Wölfen im Norden Kaliforniens.
© Quelle: AP
In Wisconsin jedenfalls hätten Wölfe die Zahl der Unfälle um ein Viertel reduziert, schreibt Yong unter Hinweis auf eine Studie von Jennifer Raynor, einer Wolfsspezialistin an der Wesleyan University. Dies erspare dem Staat jedes Jahr Verluste in Höhe von 10,9 Millionen US-Dollar – eine Zahl, die 63-mal höher sei als die Gesamtentschädigung für den Verlust von Vieh oder Haustieren durch Wölfe. Das Raubtier solle daher nicht generell bekämpft, sondern auf intelligente Art einbezogen werden.
Ähnlich sehe es Liana Zanette, eine Ökologin an der Western University in Kanada: „Das i-Tüpfelchen ist, dass Wölfe diese Arbeit das ganze Jahr über auf eigene Kosten erledigen.“ Allerdings hat Yong auch die Sensibilitäten der Wolfsdebatten vor Augen, die derzeit in mehreren Bundesstaaten laufen. Der Wolf sei nun mal derzeit in den USA „das politischste Tier“. Für diese Einschätzung sprechen auch die Klickzahlen. Kein anderer Beitrag wurde am Dienstag im „Atlantic“, der auch Analysen zu Belarus lieferte, von so vielen Nutzern gelesen wie Yongs Beitrag über den Wolf.
<b>FACTS AND FIGURES: </b>Impfmuffel in Trump-Staaten
Etwa 49 Prozent der US-Bevölkerung haben inzwischen mindestens eine erste Corona-Impfung bekommen. Dies meldete das Center for Disease Control (CDC) in Atlanta. 39 Prozent sind bereits vollständig geimpft.
Für Amerikas Impfkampagne markiert dies insgesamt einen schnell erzielten Etappenerfolg. Inzwischen lässt jedoch das Tempo der Kampagne nach: In diversen Regionen stoßen die Behörden auf immer mehr Impfverweigerer. Unklar ist deshalb, ob in allen US-Bundesstaaten das Ziel eingehalten werden kann, bis zum Nationalfeiertag am 4. Juli 70 Prozent zumindest eine Erstimpfung zu geben.
Die 70-Prozent-Marke wird bisher nur von neun Streber-Staaten erreicht. Alle neun übrigens meldeten bei der Präsidentschaftswahl 2020 solide Mehrheiten für die Demokraten: New Mexico (54,3 Prozent), Vermont (66,4), Hawaii (63,7), New Hampshire (52,9), Massachusetts (65,9), Connecticut (59,3), Maine (53,1), New Jersey (57,3) und Rhode Island (59,7).
Vier Bummel-Staaten liegen dagegen noch immer unter 47 Prozent. Alle vier stachen im Jahr 2020 hervor durch hohe Anteile an Trump-Wählern: Mississippi (57,6 Prozent), Louisiana (58,5), Alabama (62,0) und Wyoming (69,9).
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Wyoming ist beim Impfen der langsamste US-Bundesstaat, allerdings hat er auch eine sehr geringe Bevölkerungsdichte: Scheune am Fuße der Grand Tetons.
© Quelle: Jon Sullivan, PD Photo.
<b>Deep Dive:</b> Neue Inflation – und neuer Reagan?
Ooops, er hat es schon wieder getan. Lawrence Summers, von 1991 bis 1993 Chefökonom der Weltbank, hat erneut in einem vielbeachteten Aufsatz vor Inflation gewarnt. Sein jüngster Warnhinweis erschien zu Beginn der Woche in der „Washington Post“. Die Biden-Administration würde das Thema gern beiseiteschieben. Doch Summers verlangt Aufmerksamkeit, nicht nur wegen seiner Thesen, sondern auch wegen seiner Vita: Er ist ein Freund der Demokraten und war über viele Jahre Barack Obamas Chefberater für Wirtschaft.
Summers sieht ein unheilvolles Zusammenwirken vieler Faktoren kommen, die am Ende die Preise heillos treiben könnten: Die Amerikanerinnen und Amerikaner haben während der Pandemie viel Geld angesammelt, das sie jetzt bald ausgeben wollen, hinzu kommen die staatlichen Konjunkturprogramme in nie dagewesener Größenordnung, eine wachsende Knappheit an Material und Rohstoffen sowie, „auch wenn das wünschenswert ist“, höhere Mindestlöhne und gestärkte Gewerkschaften.
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Droht bald eine Zinserhöhung wegen zunehmender Inflation? Hauptsitz der US-Notenbank in Washington, D.C.
© Quelle: Ting Shen/XinHua/dpa
Wenn die Notenbank auf die Geldentwertung mit Zinserhöhungen reagiere, drohe eine Rezession, warnt Summers. Dies könne dann nicht nur ökonomische, sondern auch politische Folgen haben – und zu Lasten der Demokraten gehen. Schon bei der Wahl Richard Nixons 1968 und Ronald Reagans 1980 hätten vorangegangene Inflationswellen die Demokraten die Präsidentschaft gekostet.
<b>WAY OF LIFE: </b>Bunt fürs Leben
Als Joschka Fischer im Jahr 1985 als erster Minister der Grünen seinen Amtseid leistete, tat er dies in Turnschuhen. Das Bild ging um die Welt. Die Sneakers, weiß, von Nike, landeten im Deutschen Schuhmuseum in Offenbach. Er habe damals ein Zeichen des Andersseins setzen wollen, sagte Fischer später. Er wollte lässiger sein als „die Etablierten“.
Inzwischen haben sich, so ist das Leben, die Zeiten abermals gewandelt. Nun sind weiße Turnschuhe das Signum der Gestrigen.
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Farbexplosion: Nike x Sacai Vapor Waffle.
© Quelle: Nike
In den USA jedenfalls häufen sich Hinweise auf eine bevorstehende wahre Explosion der Farben auf dem Turnschuhmarkt. Und da geht es nicht etwa um irgendein blasses Blau. Von „electric orange“ ist die Rede und von „neon pink“. Bei der Farbauswahl, schreibt die „New York Times“, ziehen die Konzerne zunehmend Psychologen und Farbtheoretiker zu Rate: Welche Charaktereigenschaft spiegelt sich in welcher Farbe wieder? Zudem prüfen Techniker, wie sich dieser oder jener Farbton darstellt, wenn er auf Fotos auf Instagram weitergereicht wird, etwa „abends um 20 Uhr, wenn der Handyakku schon schwach ist“.
Wer als Produzent nicht ganz den gewünschten Ton trifft, bleibt auf der Ware sitzen. Bis zu 90 Prozent der unterbewussten Bewertung eines Turnschuhs erfolgten allein aufgrund der Farbe, sagt Jenny Ross von New Balance. Ihr Jobtitel klingt cool: „Head of concept design and strategy for lifestyle footwear“. Zu den Spezialitäten ihrer Firma gehört „ein Grau, das Charakter hat“.
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Es geht um „bisher nicht sichtbare Farben“: Nike Volt.
© Quelle: Nike
Auf Giftgrün – oder besser: neon lime – setzt unterdessen Nike. Die Farbe Volt kommt in der Natur nicht vor. Doch gerade das macht Volt so cool: „Wir entwickeln Farben, die von innen beleuchtet erscheinen“, sagt Marthe Moore, Creative Director bei Nike. Es gehe um „bisher nicht sichtbare Farben“.
Nie erschien Joschka Fischer so spießig wie heute...
Der nächste USA-Newsletter erscheint am 1. Juni. Stay cool and stay tuned!
Ihr Matthias Koch
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