„Deutschland muss jetzt helfen“: Afrika-Gipfel mit Merkel wirft Schatten voraus
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Bundeskanzlerin Angela Merkel empfängt am Freitag zehn Staatschefs zum Afrika-Gipfel in Berlin.
© Quelle: imago images/Political-Moments
Berlin. Kürzlich wurde die Marke der 100 Millionen verabreichten Vakzine überschritten – in Deutschland sind nun knapp 60 Prozent der Gesamtbevölkerung vollständig gegen das Coronavirus geimpft. Zahlen, von denen der afrikanische Kontinent noch meilenweit entfernt ist. Lediglich 2 Prozent der Bürgerinnen und Bürger Afrikas haben den vollen Impfschutz, und die tödlichste Phase der Pandemie ist auf dem Kontinent in vollem Gange.
Beim „Compact with Africa“-Gipfel können interessierte Unternehmer nun mit Bundeskanzlerin Angela Merkel sowie Politikern aus zwölf afrikanischen Staaten diskutieren. Im Vordergrund stehen soll dabei die wirtschaftliche Lage auf dem Kontinent und Chancen, die sich für Entwicklungsländer auftun – angesichts der Corona-Lage in Afrika wird die Pandemie jedoch auch ein omnipräsentes Thema darstellen.
Anfang des Monats vermeldete die Weltgesundheitsorganisation WHO in Afrika einen neuen Negativrekord: 6400 neue Todesfälle im Zusammenhang mit dem Coronavirus innerhalb von sieben Tagen. In der vergangenen Woche ist die Zahl der Todesopfer um 43 Prozent gestiegen. Die Dunkelziffer wird deutlich höher geschätzt. Im Hinblick auf den bevorstehenden Afrika-Gipfel mit der Bundeskanzlerin an diesem Freitag haben die Hilfs- und Entwicklungsorganisationen klare Forderungen an die Bundesregierung.
„Höchste Zeit, dass Deutschland Impfdosen weitergibt“
„Es wird höchste Zeit, dass Deutschland ungenutzte Impfdosen an Afrika und andere Kontinente weitergibt“, äußerte Mareike Haase, Referentin für internationale Gesundheitspolitik bei Brot für die Welt im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Millionen Dosen werden vernichtet, während in Afrika weniger als 2 Prozent der Menschen voll geimpft sind.“
Auch Peter Meiwald, Leiter der Abteilung Afrika und Naher Osten vom Hilfswerk Misereor, sieht bei der Impfquote großen Nachholbedarf. „Wenn man sich die Zahlen anschaut und den Impfstatus vergleicht, dann klafft da einfach eine Lücke, die moralisch überhaupt nicht zu vertreten ist“, sagte Meiwald dem RND.
Ein Kardinalsfehler sei bereits zu Beginn der Impfstoffentwicklung gemacht worden, „als die Bundesregierung Steuergelder in nicht unerheblicher Höhe zur Entwicklung der Impfstoffe zugesagt hat“, so Maiwald. „In diesen Beschluss keine Konditionierung aufzunehmen, die besagt, dass es Anteile an Impfstoffen für die Länder gibt, die es sich sonst nicht leisten können – das war sicher ein Fehler, der am Anfang der Kette stand.“
„Stattdessen machen die G7-Staaten und andere Länder der Welt große Versprechungen, dass sie überschüssige Impfdosen an die ärmeren Länder abgeben werden“, kritisiert Dieter Müller, Leiter des Bereichs Globale Gesundheit bei Medico International. Das stelle in der Realität immer ein Problem dar, „weil das nicht frühzeitig und auch nicht geplant geschieht. Die Staaten können sich schlicht nicht vernünftig darauf einstellen“.
„Deutschland muss jetzt helfen“
Stefan Liebing, Vorsitzender des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft, nimmt die Bundesrepublik ebenfalls in die Pflicht. „Je nach Entwicklungsstand haben wir sehr unterschiedliche Ansteckungsraten.“ Der entscheidende Punkt sei jetzt aber, die Impfungen möglichst flächendeckend zu verteilen. „Deutschland muss jetzt helfen. Wir sollten bilateral arbeiten und mehr Impfstoff an Afrika abgeben. Momentan machen wir das nur mit ganz wenigen Ausnahmen.“ Die Bundesrepublik solle nun zusehen, viel enger mit den afrikanischen Regierungen zusammenzuarbeiten.
Meiwald erhoffe sich jetzt eine neue Debatte über die Freigabe der Patente – „zumindest eine temporäre“. Diese sei vonnöten, um eine schnelle Produktion auf dem afrikanischen Kontinent voranzutreiben. „Es hat sich ein bisschen was getan, aber es ist auch viel Zeit verloren gegangen. Man müsste deutlich schneller vorankommen“, so Meiwald.
Hoffnung auf Corona-Impfstoff aus eigener Kraft
In Afrika werden rund 183 Millionen weitere Dosen benötigt, um die Impfhürde von 10 Prozent bis Ende September zu nehmen. Die Hoffnungen liegen nun auf dem Senegal, wo das Institut Pasteur in Dakar derzeit versucht, die eigene Herstellung eines Corona-Impfstoffs zu etablieren. Ähnliche Projekte sind auch bereits in Marokko und in Südafrika auf dem Vormarsch.
„Es gibt eine ganze Reihe an ersten Kooperationen und Absichtserklärungen. In der kurzen Frist wird es allerdings nicht möglich sein, die afrikanischen Bedarfe komplett in Afrika herzustellen“, so der Vorsitzende des Afrika-Vereins, Liebing. „Aber wenn wir jetzt anfangen, eine zusätzliche Impfstoffquelle vor Ort durch lokale Produktion zur Verfügung zu stellen und das Schritt für Schritt wächst, dann kann es zumindest für die nächsten Krankheitswellen von großer Bedeutung sein.“
Medico-Experte Müller legt das Hauptaugenmerk ebenfalls auf die Zukunft. „Wir wissen alle, dass es nicht die letzte Pandemie sein wird. Und da ist das Gebot der Stunde, nicht nur auf die jetzige Pandemie zu reagieren, sondern auch vorausschauend Bedingungen zu schaffen, dass die afrikanischen Staaten Möglichkeiten haben, eigenständig zu reagieren.“ Ansonsten werden sich Situationen wie diese „immer wieder wiederholen“.
Biontech-Gründer Sahin ebenfalls am Afrika-Gipfel beteiligt
Der Afrika-Gipfel am Freitag wird das insgesamt vierte Treffen in dieser Konstellation sein – im Hinblick auf das Pandemiegeschehen womöglich sogar das bedeutendste von allen seit Beginn der Pandemie. Biontech-Gründer und -Vorstandschef Ugur Sahin wird ebenfalls als Gast an der Sitzung teilnehmen.
„Die Bundesregierung denkt sehr stark darüber nach, wie man dazu beitragen kann, eine Impfstofffabrikation in Afrika entstehen zu lassen. Biontech ist in erste Projekte involviert.“ Abgesehen von Biontech, das international in der führenden Rolle sei, gehe Liebing davon aus, dass es auch viele andere deutsche Unternehmen gäbe, die in der Lage seien, bei einem solchen Aufbau zu helfen. „Da müssen wir jetzt zusehen, dass wir unbürokratisch Mittel zur Verfügung stellen und den Unternehmen unter die Arme greifen.“
WHO-Generalsekretär Tedros Adhanom Ghebreyesus mahnte bereits an, es brauche bis zu 729 Millionen weitere Impfdosen, um bis zum Jahreswechsel 30 Prozent der Afrikanerinnen und Afrikaner vollständig zu impfen. Das stellt auch für den Rest der Welt eine große Gefahr dar. Je länger sich das Virus auf der Welt verbreitet, desto wahrscheinlicher wird es, dass sich immer wieder neue Virusvarianten entwickeln können. Diese könnten dann auch bereits geimpfte Personen gefährden. Der WHO-Generalsekretär nannte die Entwicklung kürzlich ein „globales Versagen“.