Die komplizierte Gemengelage bei der Verteilung von Flüchtlingen
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Menschen überqueren in Medyka die polnisch-ukrainische Grenze in die Europäische Union.
© Quelle: Wojtek Jargilo/PAP/dpa
Berlin. Mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine steht die Europäische Union vor einer Herausforderung, die sie in den vergangenen Jahren fast entzweite: die Verteilung von Geflüchteten. Denn ein ausgefeiltes System gibt es bis heute nicht.
Experten rechnen mit bis zu einer Million Menschen, die die Ukraine in Richtung EU verlassen könnten. Sie werden zunächst über die Nachbarstaaten – Slowakei, Ungarn, Rumänien, Polen, Republik Moldau – fliehen.
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Erste Anzeichen davon sieht die Republik Moldau, die kein EU‑Mitglied ist, schon jetzt. „In den letzten zwölf Stunden haben etwa 15.000 ausländische Staatsangehörige die Grenzen von Moldawien überschritten, hauptsächlich Ukrainer“, teilte der Außenminister der Republik Moldau, Nicu Popescu, am Freitag auf Twitter mit.
Menschen aus der Ukraine dürfen schon ohne Visum einreisen
Ob Menschen aus der Ukraine in Deutschland einen gesonderten Schutzstatus erhalten, ist nach wie vor unklar. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) verwies jedoch bereits auf den Paragrafen 24 im Aufenthaltsgesetz, der auf Grundlage eines EU‑Beschlusses Kriegsflüchtlingen aus einem anderen Land vorübergehenden Schutz ermöglicht. Wenn der aktiviert wird, müssten die Betroffenen kein bürokratisches Asylverfahren durchlaufen.
Menschen aus der Ukraine dürfen mit einem biometrischen Pass in die EU einreisen und bis zu 90 Tage bleiben. Sie können auch einen Asylantrag stellen. Dieser müsste nach Dublin-Verfahren aber eigentlich in dem Land beantragt werden, in dem sie sich als Erstes registriert haben. Nach dem Dublin-Prinzip ist dieser Staat auch für den Asylsuchenden zuständig.
Dass dieses Verfahren allerdings große systemische Lücken hat, zeigten zuletzt die Belarus-Krise und insbesondere die Flüchtlingsbewegungen im Jahr 2015 im Zuge des syrischen Bürgerkriegs. Beide Krisen machten ein Problem mehr als deutlich: Nach Dublin-Verfahren tragen nur sehr wenige EU‑Länder die Hauptlast.
Reform der Verteilung Geflüchteter ist bereits seit langer Zeit in Arbeit
Betroffen sind vor allem die Staaten der EU‑Außengrenzen und die in direkter Nähe von Krisenregionen. In solchen Fällen braucht es Abmachungen zwischen den Mitgliedsstaaten, um die Geflüchteten zu verteilen. In der Vergangenheit gab es solche Beschlüsse, sie wurden aber oft nicht komplett umgesetzt.
Schon seit Jahren will die EU das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) reformieren. Kern des GEAS ist, dass überall die gleichen Regeln für die Aufnahme von Schutzsuchenden gelten sollen. In der Praxis funktioniert das nicht immer. Die Reform von Dublin etwa scheiterte immer wieder am Widerstand insbesondere osteuropäischer Staaten, die nicht mehr Flüchtlinge aufnehmen wollten.
Mit Putins Krieg sieht die Realität jetzt anders aus: Staaten wie Polen, die bisher blockierten, befinden sich nun in einer ähnlichen Situation wie die Länder am Mittelmeer – und sind auf Hilfe angewiesen.
CDU-Innenpolitiker sieht „auch Deutschland gefordert“
CDU-Innenpolitiker Alexander Throm nimmt alle Staaten der EU in die Pflicht. „Angesichts der akuten Herausforderungen für die ost- und mitteleuropäischen Staaten bei der Aufnahme müssen sich jetzt alle europäischen Staaten, unabhängig von der aktuellen Krise, bei der Verteilung von Flüchtlingen angemessen engagieren“, sagte der Bundestagsabgeordnete dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Neben den unmittelbaren Nachbarstaaten zur Ukraine sehe ich natürlich auch Deutschland gefordert, europäischen Binnenflüchtlingen zu helfen.“
Linken-Politikerin fordert Berücksichtigung von familiären Bindungen
Wegen der bisher erfolglosen Reformversuche ist Innenministerin Faeser auch Befürworterin einer „Koalition der aufnahmebereiten Mitgliedsstaaten“. Eine solche Koalition könne vorangehen und so die Weiterentwicklung des europäischen Asylsystems in Gang bringen, unterstrich die SPD-Politikerin vor einigen Wochen.
Solidarische Aufnahmeregelungen innerhalb der EU seien dringend erforderlich, sagte auch die fluchtpolitische Sprecherin der Linken-Bundestagsfraktion, Clara Bünger, dem RND. „Genauso wichtig ist mir, dass es keine Verteilung nach Quote oder gegen die Interessen der Betroffenen gibt.“
Bestehende familiäre oder soziale Bindungen, vorhandene Sprachkenntnisse und Bedürfnisse der Geflüchteten müssten zum Ausgangspunkt künftiger Verteilungsregelungen gemacht werden.