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Die perfide Wette auf den Tod

Starkes Medieninteresse: In diesem Haus in Rottenburg soll der mutmaßliche Täter zuletzt gewohnt haben.

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Dortmund. Er muss sich seiner Sache sehr sicher gewesen sein. So sicher, dass er sich gar nicht erst um Anonymität bemühte.

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Am 11. April, dem Tag, an dem er den Mannschaftsbus von Borussia Dortmund mitsamt aller Spieler in die Luft jagen wollte, loggte sich Sergej W. einfach in das WLAN-Netz seines Hotels ein, des „L’Arrivée“ in Dortmund-Höchsten. Wie jeder andere Gast, ohne Verschlüsselung. Es war das Hotel, in dem auch die Mannschaft von Borussia Dortmund untergebracht war. Das Hotel, in dem Sergej W. schon zwei Tage zuvor ein Dachzimmer bezogen hatte, mit Blick auf Parkplatz und Zufahrtsweg. Hier hatte er alle Bewegungen seiner Opfer im Blick, hier wollte er die Sprengsätze zünden.

Von hier aus also, mit der IP-Adresse des Hotels, kaufte Sergej W. über seine Bank online Optionsscheine auf die Aktie des Vereins. Scheine, die ihn reich machen sollten. Lohn seines Verbrechens. Es war alles sehr praktisch für Sergej W. Er hatte keine weiten Wege. Klug war er dagegen eher nicht.

Das Motiv ist ganz anders, als die Behörden vermuteten

Am Tag nach der sehr wahrscheinlichen Aufklärung gehört die Mischung aus Professionalität und Sorglosigkeit zu den irritierendsten Momenten des Attentats auf Borussia Dortmund. Der Attentäter hat die Bomben so geschickt gebaut, dass sie sehr viele Menschen hätten töten können. In anderen Dingen verhielt er sich dagegen wie ein Anfänger.

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Gestern Abend hat der Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof Haftbefehl gegen Sergej W. erlassen. Nur ist das Motiv ein ganz anderes, als die Behörden zunächst angenommen hatten.

„Wir wollen dem Terror nicht weichen“, sagte Innenminister Thomas de Maizière in der vergangenen Woche, am Tag nach dem Attentat. Die Polizei nahm zwei IS-Anhänger fest, der Generalbundesanwalt prüfte einen islamistischen Hintergrund. Wieder ein Anschlag religiöser Fanatiker, schien es.

Der erste Verdacht: Islamisten

Aber der 28-jährige Deutschrusse Sergej W. aus Freudenstadt im Schwarzwald, den die GSG 9 am Freitagmorgen auf dem Weg zu seiner Arbeitsstätte in Tübingen festnahm, ist kein Islamist. Sergej W.s Familie stammt aus dem Ural, er ist Elektroniker mit einem besonderen handwerklichen Talent. 2015 erhielt er von seiner Berufsschule, der Heinrich-Schickardth-Schule in Freudenstadt, einen Preis für besondere Leistungen. Seit neun Monaten arbeitete er nach Informationen des „Mannheimer Morgen“ in einem Heizwerk in Tübingen. Es ging ihm nicht um die Unterstützung terroristischer Glaubensbrüder in Syrien. Sondern einfach um Geld.

Seine Idee war: Wenn ein Anschlag die Mannschaft von Borussia Dortmund trifft, wenn viele Spieler sterben, dann fällt die Aktie des Vereins massiv. Davon würde er mit seinen Optionsscheinen profitieren. Je tiefer der Fall, desto höher sein ­Gewinn. 79 000 Euro soll Sergej W. investiert haben. „Sein Gewinn“, erklärte die Sprecherin der Bundesanwaltschaft, Frauke Köhler, „hätte nach vorläufigen Berechnungen ein Vielfaches betragen.“ Genauer wollte sie sich nicht festlegen. Ein Bombenanschlag, um Aktienkurse zu manipulieren, das ist auch für den Bundesanwalt Neuland.

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Wann genau Sergej W. die Idee zu dieser Tat hatte, ist noch unklar. Fest steht aber, wann er begann, sich den Ort des Verbrechens genauer anzusehen. Anfang März, vom 7. bis zum 9., mietet sich W. nach Recherchen der „Bild“ zum ersten Mal im „L’Arrivée“ ein – dem Hotel, von dem aus die BVB-Profis traditionell im Bus zum Stadion aufbrechen.

W. besteht auf ein Zimmer mit Blick zur Straße

Offenbar sieht er sich in dieser Zeit an, wo er die Bomben am besten deponieren könnte. Und von welchem Zimmer aus er Bus und Bomben am besten im Blick hätte. Einige Tage später, am 11. März, bucht er ein Zimmer für den 9. bis 13. April und eines für den 16. bis 20. Er will anscheinend auf Nummer sicher ­gehen, weil noch nicht feststeht, wann die Dortmunder das Heimspiel im Champions-League-Viertelfinale gegen den AS Monaco bestreiten. Dass er mit seinen Bomben kommt, das Hotel aber schon ausgebucht ist – das will er vermeiden.

Am 3. April gehen die Vorbereitungen weiter: W. nimmt einen Kredit auf, um mehr Optionsscheine kaufen zu können – nach Infor­mationen des „Spiegel“ 40 000 Euro.

Sechs Tage später, am 9. April, checkt W. wieder im „L’Arrivée“ ein. Die Angestellten wollen ihm eines der unteren Zimmer geben. W. jedoch besteht auf dem Dachgeschoss, mit Blick zur Straße. Warum, das wird erst später klar.

Es ist bislang unbekannt, woher der Sprengstoff stammt, den W. offenbar verwendet hat. Er sei, so formuliert es die Sprecherin der Bundesanwaltschaft am Freitagmittag bei einer Pressekonferenz, „vollständig umgesetzt“ worden. Zu Deutsch: Es ist nichts übrig geblieben, woran sich die Ermittler halten könnten. Wo W. lernte, Bomben zu bauen, ist bislang ebenfalls unklar. 2008 soll er als Wehrdienstleistender bei der Bundeswehr gewesen sein, allerdings in einem Lazarettregiment, in dem er sich um die Elektrotechnik kümmerte.

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Der Täter isst erst mal ein Steak

Klar ist aber, dass die Sprengsätze, die am Abend des 11. April am Schirrmannweg explodieren, an der Straße vor dem Hotel, äußerst professionell konstruiert sind. Drei Bomben hat der Täter auf einer Länge von zwölf Metern in einer Hecke deponiert. Der Mannschaftsbus, so ergibt es die Rekonstruktion, ist genau 23 Kilometer pro Stunde schnell, als die drei Bomben hochgehen – „zeitlich optimal gezündet“, wie die Bundesanwaltschaft fast anerkennend erklärt. Sergej W. soll die Detonationen per Funk ausgelöst haben, von seinem Fenster aus hatte er freie Sicht. Nur dass die mittlere der drei Bomben etwas zu hoch angebracht ist, in einem Meter Höhe, verhindert ein Blutbad. Die meisten der 70-Millimeter-Nägel, mit denen die Sprengsätze bestückt sind, schießen über den Bus hinweg. Allein ein Spieler, der Verteidiger Marc Bartra, wird am Arm verletzt – nach einer Operation geht es ihm inzwischen besser.

Doch es hätte leicht weit mehr Opfer geben können. Einen der Nägel fanden die Ermittler in 250 Metern Entfernung.

Nach der Explosion, berichten Angestellte des Hotels, liefen Gäste aufgeregt nach draußen, um nachzusehen, was passiert ist. Einer hingegen, so schildern sie es gegenüber Medien, sei ins Restaurant gegangen und habe ein Steak bestellt – Sergej W.

Die Ermittler folgen falschen Fährten

Es dauert dennoch Tage, bis die Polizei auf seine Spur kommt – auch weil die Ermittler vielleicht allzu bereit sind, den falschen Fährten zu folgen, die sie am Tatort finden. Gleich drei identische Bekennerschreiben finden die Ermittler am Tatort. Der vermeintliche Absender: Islamisten, die unter anderem ein Ende der deutschen Tornado-Einsätze über Syrien fordern. Dass islamistische Terroristen für gewöhnlich keine Bekennerschreiben hinterlassen, ist nur einer der Widersprüche, die die Fahnder zunächst kaum irritieren. Schon am nächsten Tag nehmen sie zwei Islamisten aus Nordrhein-Westfalen fest – und müssen schon bald erkennen, dass sie mit dem Anschlag nichts zu tun haben. Die falschen Bekennerschreiben seien „eine besonders perfide Art, mit der Angst der Bevölkerung zu spielen“, erklärte Innenminister de Maizière gestern.

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Sie waren aber zumindest für einen Moment auch eine ganz erfolgreiche Art, die Ermittler in die Irre zu führen. Dass ein islamistischer Terrorist zumindest im ersten Moment als weit wahrscheinlicher gilt als ein skrupelloser, habgieriger Krimineller – auch das erzählt wohl einiges darüber, wie die Anschläge der vergangenen zwei Jahre Deutschland verändert haben.

Dabei gibt es ebenfalls am Tag nach dem Anschlag sogar schon die ersten zarten Spekulationen, die in Richtung des Geldes deuten. Die ARD-Börsenredaktion berichtet darüber, dass unmittelbar vor dem Anschlag an der Frankfurter Börse Derivate gekauft wurden, die auf stark fallende BVB-Kurse setzten.

Verstecken? Warum?

Auf die Spur von Sergej W. bringt die Ermittler nach „Spiegel“-Informationen erst ein Hinweis der Comdirect-Bank zwei Tage nach dem Attentat: Die Abteilung Geldwäscheverdacht meldet verdächtige Bewegungen auf dem Konto des 28-Jährigen. Seitdem überwachen die Ermittler der Sonderkommission „Pott“ Sergej W.

Es gab in diesem Fall viele falsche Hypothesen. Zum Beispiel die, dass ein solch komplexer Anschlag das Werk mehrerer Täter sein müsse. Doch Sergej W. war offenbar allein. Er hat sich laut verschiedenen Berichten vor dem Anschlag ein Mietauto genommen, hat seinen Sprengstoff hineingepackt und ist damit nach Dortmund gefahren.

Gestern Morgen dann, um 5.16 Uhr, hat sich Sergej W. wieder ins Auto gesetzt. Kurz vor Tübingen nehmen ihn die Ermittler fest. W. war auf dem Weg zur Arbeit. Sich zu verstecken, hatte er wohl nicht für nötig gehalten.

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Von Thorsten Fuchs/RND

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