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Die starken Frauen von Belarus geben nicht auf

Sitzt schon seit einem halben Jahr in Haft: Maria Kolesnikowa, hier bei bei einer Kundgebung am 17. August in Minsk.

Sitzt schon seit einem halben Jahr in Haft: Maria Kolesnikowa, hier bei bei einer Kundgebung am 17. August in Minsk.

Sie ist eine Ikone der Protestbewegung in Belarus: Maria Kolesnikowa. Am 8. März, dem Internationalen Frauentag, ist es genau ein halbes Jahr her, dass sie an der Grenze zur Ukraine festgenommen worden ist, nachdem man zuvor versuchte hatte, sie abzuschieben. Sie zerriss ihren Pass und kehrte zum belarussischen Grenzübergang zurück. Seitdem versucht das Regime, sie in der Haft zu zermürben, aber sie gibt nicht auf und bleibt optimistisch, berichtet der Osteuropaexperte der Grünen im Bundestag, Manuel Sarrazin. Er hat in der vergangene Woche ausführlich mit Kolesnikowas Schwester Tatjana Chomitsch gesprochen. Sie erzählte, ihre Schwester spüre in der Haft die Solidarität und es sei ihr sehr wichtig, dass die Menschen außerhalb des Gefängnisses an sie denken.

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Die Anklage der belarussischen Willkürjustiz gegen Kolesnikowa wird ständig erweitert. Zuletzt war der 38-jährigen Musikpädagogin, die lange Zeit in Deutschland lebte und in Stuttgart ein Festival leitete, vorgeworfen worden, an einer „Verschwörung zur verfassungsfeindlichen Machtergreifung“ beteiligt gewesen zu sein. Ihr drohen jetzt bis zu zwölf Jahre Haft.

Menschenrechtsorganisationen gehen in inzwischen von über 30.000 Inhaftierten aus, die im Zusammenhang mit den Protesten festgenommen wurden. Man setzt sie „systematisch psychisch und physisch unter Druck“, berichtet Sarazzin. Er selbst hat eine Patenschaft für den 28-jährigen Journalisten Ihar Losik übernommen, der noch vor den Präsidentschaftswahlen am 25. Juni 2020 unter absurden Vorwürfen verhaftet worden war und seitdem im Gefängnis sitzt.

Sarrazin begrüßt es, dass bislang schon 100 Bundestagsabgeordnete aller Fraktionen – außer der AfD – Patenschaften für Inhaftierte abgeschlossen haben. Das sei für die Betroffenen eine Rückenstärkung in sehr schwieriger Lage. Es gebe schwere Fälle von Folter, Vergewaltigungen an Frauen und Männern, das Regime versuche mit allen Mitteln, die Menschen zu traumatisieren, um die Proteste zu ersticken.

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„Wir haben die Straße verloren“

Die Taktik des Regimes, friedlichen Demonstrationen massive Gewalt entgegenzusetzen, scheint zumindest zeitweilig aufzugehen: „Wir haben die Straße verloren“, räumte die zweite Gallionsfigur der Protestbewegung, Svetlana Tichanowskaja, kürzlich resignierend in einem Interview mit der Schweizer Zeitung „Le Temps“ ein. „Wir haben nicht die Mittel, um der Gewalt des Regimes etwas entgegenzusetzen“, sagte die Bürgerrechtlerin, die zur Wahl als Kandidatin gegen Alexander Lukaschenko angetreten war und von der Opposition als eigentliche neue Präsidentin des Landes betrachtet wird.

Tichanowskaja lebt derzeit im Exil in der litauischen Hauptstadt Vilnius und fordert von dort aus weiterhin einen friedlichen Machtübergang. In zahlreichen Interviews mit westeuropäischen Medien und auf ihrem eigenen Kanal beim Messengerdienst Telegram wirbt sie unermüdlich für den Systemwechsel. Am 8. März wandte sie sich in einer Videobotschaft an die belarussischen Frauen und sagte sinngemäß: Jede von uns liebt ihre Kinder, jede von uns möchte sie in Sicherheit wissen, jede von uns möchte frei entscheiden, welchen Weg sie geht. Die Frauen, so Tichanowskaja, hätten immer Großes für Belarus geleistet, aber seit dem letzten Jahr haben sie Unmögliches vollbracht. „Ich gratuliere euch, meine lieben Belarusinnen!“

Veronika Zepkalo war die Dritte im belarussischen Frauentrio, das im Sommer 2020 quer durchs Land reisend die Protestwelle entfachte. Ursprünglich wollte ihr Mann Valery bei den Wahlen gegen Lukaschenko kandidieren, wurde jedoch nicht zugelassen. Daraufhin schloss sie sich dem Wahlkampfteam von Tichanowskaja an, die als einzige Oppositionskandidatin antreten durfte. Zepkalos Familie war schon im Wahlkampf politisch unter Druck gesetzt worden; am Vorabend der Wahl setzte sie sich nach Moskau ab, wohin zuvor bereits ihr Mann mit den beiden Kindern geflohen war. „Wir werden bis zum Ende kämpfen“, hatte sie noch der „Zeit“ in einem Interview Ende September 2020 gesagt. Seit dem ist es sehr still um sie geworden.

Viele Oppositionelle fürchten um Leib und Leben, sagt Manuel Sarrazin. Aus seiner Sicht ist es wichtig, dass die Europäische Union den politischen und wirtschaftlichen Druck auf das Lukaschenko-Regime aufrechterhält. Und: „Belarus darf nicht aus den Schlagzeilen kommen.“ Die Oppositionsbewegung brauche eine breite Unterstützung auch bei der Entwicklung neuer kreativer Formen des Widerstands.

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