Ein neuer Krieg auf dem Balkan? Bosnien-Herzegowina droht die Auflösung
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Soldaten der bosnischen Streitkräfte nehmen Ende November in der Nähe von Sarajevo an einer Übung anlässlich der Gründung der Armee vor 16 Jahren teil. Der Frieden in dem Land droht zu scheitern.
© Quelle: Getty Images
Brüssel. Mitte Dezember machte Milorad Dodik Ernst. Der nationalistische Serbenführer in Bosnien-Herzegowina ließ im Parlament des Landesteils Republika Srpska ein brisantes Gesetzespaket verabschieden, in dem der Rückzug der serbischen Teilrepublik aus der gemeinsamen Armee von Bosnien-Herzegowina sowie aus dem Justiz- und dem Steuersystem des Zentralstaates vorgesehen ist.
Innerhalb von sechs Monaten soll das umgesetzt werden. Spätestens Mitte des neuen Jahres droht also eine Eskalation, die mit einem Zerfall des Staates enden könnte.
Bosnien-Herzegowina in seiner heutigen Form entstand durch den Dayton-Vertrag von 1995, der das Ende des mehr als dreijährigen Bürgerkriegs in der ehemaligen jugoslawischen Teilrepublik markierte. Es wurde ein kompliziertes Staatsgebilde aus der sogenannten Föderation der bosnischen Muslime und der Kroaten sowie der serbischen Republika Srpska geschaffen.
Das Konstrukt des Landes ist brüchig – der Friedensvertrag droht zu kollabieren
Der Krieg hatte etwa 100.000 Menschen das Leben gekostet. Nach dem Völkermord an 8000 muslimischen Jungen und Männern durch bosnische Serben im Juli 1995 in Srebrenica brauchte es wochenlange Verhandlungen in Dayton im US-Bundesstaat Ohio, bis der Krieg endgültig beendet war.
Nach dem Vertrag von Dayton kontrolliert ein Hoher Repräsentant formell das politische Geschehen in Bosnien-Herzegowina. Er darf unter anderem Gesetze erlassen. Dieses Amt bekleidet seit August 2021 der frühere deutsche Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU).
Doch der Frieden in Bosnien-Herzegowina ist brüchig. Das Land durchlebt eine politische Krise nach der anderen. Die aktuellen Pläne des serbischen Politikers Dodik drohen nun jedoch die Architektur des Friedensvertrags von Dayton völlig zu zerstören.
Bosnien-Beauftragter Schmidt: „Wir dürfen nicht zulassen, dass die Fehler wiederholt werden“
Der Hohe Beauftragte Schmidt, dessen Autorität von Dodik in Zweifel gezogen wird, warnte in einem Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) bereits Anfang Oktober vor einer schleichenden Auflösung des Staates. „Das Problem sind jene Kräfte im Land, die von Grenzverschiebungen oder gar der Auflösung Bosnien-Herzegowinas reden. Das ist gefährliches Gerede. Ich sage klar: An der territorialen Unversehrtheit des Landes darf sich nichts ändern. Wir dürfen doch nicht zulassen, dass die Fehler wiederholt werden, die vor 30 Jahren in die Katastrophe geführt haben“, sagte Schmidt dem RND.
„Das Problem ist, dass die EU Dodik keine Rote Karte gezeigt hat“, kritisierte jetzt die Grünen-Europaabgeordnete Viola von Cramon-Taubadel im Gespräch mit dem RND. Seit Jahren betreibt Dodik sein sezessionistisches Geschäft. Die EU hat ihn bislang nicht stoppen können.
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Seit dem 1. August 2021 ist der ehemalige Bundesminister für Landwirtschaft, Christian Schmidt (CSU), Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina.
© Quelle: dpa
Inzwischen hat Dodik mächtige Unterstützer gefunden. Die Regierung in Moskau gehört dazu, die Regierung von Serbien ebenfalls. Und auch der Ministerpräsident von Ungarn, Viktor Orban, will den bosnischen Serben unter die Arme greifen. Orban wiederum rühmt sich bester Beziehungen zum russischen Präsidenten Wladimir Putin und zum serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic.
Nach Worten der Grünen-Europaabgeordneten von Cramon-Taubadel wollten Orban, Putin und Vucic, „dass Bosnien-Herzegowina zerfällt“. „Das soll die illiberale Achse in Europa stärken“, sagte sie. An dieser Politik sei auch EU-Erweiterungskommissar Olivér Várhelyi beteiligt, so die Grünen-Politikerin. Das glauben auch viele Politiker in Sarajevo, die Bosnien-Herzegowina als Gesamtstaat erhalten wollen. Angeblich soll sich Dodik mit Várhelyi über das weitere Vorgehen zumindest teilweise abgestimmt haben.
Ungarn mischt im Konflikt stark mit – und will EU-Sanktionen blockieren
Das hat zu heftiger Kritik an dem EU-Kommissar geführt. „Várhelyi ist nicht mehr tragbar“, sagte die Grünen-Abgeordnete von Cramon-Taubadel. Es sei nicht Aufgabe eines EU-Kommissars, die Politik einer einzelnen Regierung zu unterstützen. „Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen muss Várhelyi absetzen“, forderte von Cramon-Taubadel.
Der Schmusekurs Orbans mit Dodik geht unvermindert weiter. Demonstrativ besuchte Orban Mitte November Dodiks Heimatstädtchen Laktasi in der Republika Srpska und machte dem Serbenführer seine Aufwartung.
Dodik war im September auch Gast Orbans beim sogenannten vierten Demografie-Forum in Budapest. Das ist ein von Orban ins Leben gerufenes Stelldichein der Populisten und Rechtskonservativen aus ganz Europa.
Einige Wochen später verkündete Orban schließlich, dass die bosnischen Serben mit Geldzuschüssen aus Ungarn rechnen könnten. Wichtiger aber noch: Ungarn werde etwaige EU-Sanktionen gegen Dodik blockieren, sagte Orban bei einer Pressekonferenz vor Weihnachten in Budapest.
Außenministerin Baerbock: „Abspaltungsbemühungen sind inakzeptabel“
Für Sanktionen hatte sich zuletzt die neue deutsche Außenministerin Annalena Baerbock ausgesprochen. „Die Lage in Bosnien-Herzegowina ist besorgniserregend. Abspaltungsbemühungen sind inakzeptabel“, sagte die Grünen-Politikerin Mitte Dezember beim EU-Außenministerrat in Brüssel. „Das bedeutet für mich persönlich auch, dass das bestehende Sanktionsregime jetzt auch genutzt werden sollte gegenüber Herrn Dodik“, so Baerbock.
Danach sieht es aber derzeit nicht aus. Sanktionsentscheidungen müssen in der EU einstimmig gefasst werden. Ungarn aber hat bereits eine Blockade angekündigt.
Wie sich die jüngste Staatskrise in Bosnien-Herzegowina entwickeln wird, ist unklar. Optimisten setzen auf die Parlamentswahlen in Ungarn im Frühjahr. Sollte Oppositionskandidat Péter Márki-Zay dem Populisten Orban das Amt des Regierungschefs abjagen, könnte das auch ein Sanktionsregime gegen Dodik ermöglichen. Wenn allerdings Orban erneut gewinnen sollte, dann dürfte sich die bosnische Krise noch vertiefen.