Einreiseregeln: Bundesregierung verlängert Grenzkontrollen
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Eine Einreisekontrolle durch deutsche Polizisten am tschechisch-deutschen Grenzübergang Petrovice/Bahratal im Erzgebirge. Die EU-Kommission hat dieses Vorgehen nun in einem Schreiben kritisiert.
© Quelle: Ondøej Hájek/CTK/dpa
Brüssel. Deutschland gerät wegen der verschärften Einreiseregeln für Tschechien, die Slowakei und Tirol immer stärker unter Druck. Mehrere Vorgaben seien unverhältnismäßig oder unbegründet, heißt es in einem Beschwerdebrief der EU-Kommission an den deutschen EU-Botschafter Michael Clauß in Brüssel. Die Bundesregierung wehrt sich gegen die Vorwürfe und verlängert die Kontrollen in den Grenzgebieten.
Deutschland verlängert seine Grenzkontrollen an den Übergängen zu Tschechien und dem österreichischen Bundesland Tirol bis zum 3. März. Wie der Sprecher des Bundesinnenministeriums, Steve Alter, am Dienstag auf Nachfrage bestätigte, sollen die seit dem 14. Februar geltenden Verbote und Regeln für Einreisen von dort unverändert beibehalten werden. Er hatte am Vortag betont, Innenminister Horst Seehofer (CSU) sei für eine Verlängerung, werde sich aber noch mit den betroffenen Bundesländern Bayern und Sachsen sowie mit den anderen Mitgliedern der Bundesregierung abstimmen.
Staatsminister Roth: Was man getan habe, stehe im Einklang mit dem Schengener Übereinkommen
In dem Schreiben der EU-Kommission hieß es derweil: „Wir glauben, dass das nachvollziehbare Ziel Deutschlands - der Schutz der öffentlichen Gesundheit in einer Pandemie - durch weniger restriktive Maßnahmen erreicht werden könnte.“ Das Papier vom Montag liegt der Nachrichtenagentur dpa vor. Die Bundesregierung weist die Vorwürfe vehement zurück.
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Die Pandemie und wir
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Was man getan habe, stehe im Einklang mit dem Schengener Übereinkommen, sagte EU-Staatsminister Michael Roth am Dienstag am Rande einer Videokonferenz mit EU-Kollegen. Man halte sich an EU-Recht. Roth betonte, dass die Entscheidung dazu der Bundesregierung sehr schwer gefallen sei. “Aber wir stehen in der Verpflichtung, gegenüber einer Virusmutation so aufzutreten, dass der Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger oberste Priorität genießt”, sagte er.
Das Schengener Übereinkommen soll eigentlich gewährleisten, dass die gemeinsamen Binnengrenzen von Mitgliedsstaaten an jeder Stelle ohne Personenkontrolle überschritten werden können. In besonderen Gefahrenlagen sind allerdings Ausnahmen möglich.
Die EU-Kommission könnte theoretisch ein rechtliches Verfahren gegen Deutschland einleiten, dies gilt wegen der andauernden Pandemie aber als unwahrscheinlich. Ähnliche Briefe gingen an Belgien, Ungarn, Dänemark, Schweden und Finnland, mit deren Grenzmaßnahmen die EU-Kommission ebenfalls nicht einverstanden ist. Auf Drängen der EU-Kommission beraten die Europaminister der EU-Staaten an diesem Dienstag über das Vorgehen an den Binnengrenzen.
Bundesinnenminister Seehofer will Grenzkontrollen verlängern
Tschechien, die Slowakei und Tirol gelten in Deutschland seit dem 14. Februar als Gebiet mit besonders gefährlichen Virusmutationen. Die Einreise ist somit bis auf wenige Ausnahmen verboten. Der CSU-Politiker hatte Kritik der EU-Kommission an den deutschen Maßnahmen zuletzt brüsk zurückgewiesen. Grundlage der Bedenken aus Brüssel ist, dass die EU-Staaten sich vor einigen Wochen auf gemeinsame Empfehlungen für das Reisen innerhalb der EU geeinigt hatten. Diese basieren auf einer Europakarte, auf der Regionen anhand gemeinsamer Kriterien farblich markiert werden.
In dem vierseitigen Schreiben führt die EU-Kommission nun detailliert auf, welche Maßnahmen sie für unangemessen hält. Dabei betont die Behörde zunächst, dass in Tschechien und der Slowakei nach Angaben der EU-Gesundheitsbehörde ECDC bislang nur wenige Fälle der britischen Virusvariante entdeckt worden seien. In mehreren anderen EU-Staaten liege der Wert höher. Deshalb wird um weitere Informationen gebeten, auf welcher Grundlage Tschechien und die Slowakei zu Virusvarianten-Gebieten erklärt worden seien.
Auch mit den Ausnahmen, die für das Einreiseverbot gelten, ist die EU-Kommission unzufrieden. Für grenzüberschreitend lebende Familien gebe es etwa keine Ausnahme. Zudem sei es scheinbar so, dass Abgeordnete des EU-Parlaments oder Regierungsmitglieder Deutschland nicht durchqueren dürften, um an EU-Treffen teilzunehmen.
EU-Kommission: Test-Infrastruktur ausbauen
Ebenso hält die EU-Kommission die Vorgaben für Lkw-Fahrer für fragwürdig. Diese müssten auch dann einen höchstes 48 Stunden alten Corona-Test vorlegen, wenn sie die Variantengebiete nur durchquert hätten. Die Empfehlungen der EU-Staaten sähen hingegen vor, dass Verkehrsarbeiter in der Regel keinen Test machen müssten - und wenn doch, solle es ein Schnelltest sein. Falls es dadurch an den Grenzen zu Behinderungen komme, solle diese Regel aufgehoben werden. Man schlage vor, dass Deutschland mit den Nachbarstaaten ausreichend Test-Infrastruktur aufbaue, um die Transportarbeiter schnell zu testen.
Die EU-Kommission sieht weitere Unstimmigkeiten in den deutschen Regeln: So ermögliche es die 48-Stunden-Regel, sich in Polen, Italien oder Slowenien testen zu lassen, dann ein Virusvariantengebiet zu durchqueren und dann nach Deutschland einzureisen. Hinzu komme, dass die Positivrate unter Verkehrsarbeitern sehr gering sei. Zudem fordert die Behörde Deutschland dazu auf, auch Corona-Tests auf Tschechisch und Slowakisch zu akzeptieren - und nicht nur auf Deutsch, Englisch, Französisch und Italienisch.
Grundsätzlich stellt die EU-Kommission klar, dass Einschränkungen der Bewegungsfreiheit aus Gründen der öffentlichen Gesundheit zwar gerechtfertigt sein könnten. Dennoch müssten derlei Maßnahmen diskriminierungsfrei und verhältnismäßig sein. Man lade Deutschland ein, sich enger mit den Empfehlungen der EU-Staaten abzustimmen - insbesondere was Ausnahmen für Transportarbeiter und Grenzpendler angeht.
FDP schlägt Ausnahmen vor
Die FDP-Bundestagsfraktion schlug mit Blick auf mögliche Störungen im Warenverkehr vor, „Ausnahmen von der Testpflicht für solche Personen zu schaffen, von denen erkennbar kein erhöhtes Infektionsrisiko ausgeht“ - etwa weil sie ein Risikogebiet nur durchfahren und dabei ihr Fahrzeug nicht verlassen hätten. Auch müsse unverheirateten Partnern von in Deutschland lebenden Menschen die Einreise ohne großen bürokratischen Aufwand gestattet werden. „Die de facto Grenzschließungen von 2020 hätten für die Bundesregierung ein heilsamer Schock sein müssen“, sagte FDP-Innenpolitiker Benjamin Strasser. Offensichtlich habe man die Zeit seither aber verstreichen lassen ohne neue intelligente Konzepte für das Grenzmanagement in Corona-Zeiten zu entwickeln.
Die Bundespolizei kontrolliere die Einhaltung der verschärften Einreisebestimmungen an diesen Grenzabschnitten „örtlich und zeitlich flexibel mit eindeutigen Schwerpunkten auf internationalen, beziehungsweise überregionalen Verkehrsverbindung, um eine möglichst lückenlose Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs sicherzustellen“, hieß es aus dem Bundespolizeipräsidium in Potsdam. Die Zahl der Menschen, die an den Grenzen abgewiesen werden, ging den Angaben zufolge in den vergangenen Tagen zurück, „weil sich die Reisenden aufgrund der Kontrollen zunehmend regelkonform verhalten“.
„Deutsche Alleingänge müssen aufhören“, sagte die europapolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Franziska Brantner. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) solle sich beim EU-Gipfel mit ihren europäischen Partnern auf klare Kriterien für Grenzkontrollen verständigen, vor allem aber auch gemeinsame Schritte, „wie wir die Impfstoffproduktion erhöhen können“.
RND/dpa