Ende einer schwierigen Beziehung: Merkel ein letztes Mal als Kanzlerin in Griechenland
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Kyriakos Mitsotakis, Premierminister von Griechenland, begrüßt die geschäftsführende Bundeskanzlerin Angela Merkel vor ihrem Treffen in der Maximos-Villa. Es ist ihr letzter offizieller Besuch in Griechenland.
© Quelle: Petros Giannakouris/AP/dpa
Athen. Zumindest das Wetter stimmte versöhnlich: Athen verabschiedete die scheidende Bundeskanzlerin am Freitag mit strahlend blauem Himmel und spätsommerlichen 19 Grad. Das ließ die dunklen Wolken, die im vergangenen Jahrzehnt die Beziehungen beider Völker überschatteten, fast vergessen.
So freundlich wie das Wetter waren auch die Begrüßungsworte des griechischen Premierministers Kyriakos Mitsotakis bei der gemeinsamen Pressekonferenz in seinem Amtssitz, der Villa Maximos. Er würdigte den „politischen Marathon“ der „lieben Angela“, die in 16 Regierungsjahren „viel für Deutschland und Europa geleistet“ habe.
Aber es ist kein Geheimnis, dass viele Menschen in Griechenland Merkels Abschied eher mit Erleichterung quittieren. Die Zeitung „Ta Nea“ schrieb vom „Ende einer schwierigen Beziehung“. Die Vergangenheit ist bei diesem Besuch stets präsent. Das weiß auch Merkel.
Vor dem Gespräch mit Mitsotakis war sie am Morgen im Athener Goethe-Institut mit jungen Griechinnen und Griechen zusammengetroffen. In der Begegnung stellte die Kanzlerin fest, sie habe den Menschen in Griechenland während der Schuldenkrise „viel abverlangt“. Ob ihr das rückblickend leid tut, blieb allerdings offen.
Merkels Rolle in der Schuldenkrise prägt das Bild der Kanzlerin in Griechenland. Viele Menschen sahen in ihr während der Krisenjahre die treibende Kraft eines „deutschen Spardiktats“. Demonstrantinnen und Demonstranten errichteten damals auf dem Syntagmaplatz einen Galgen, an dem eine Merkel-Puppe baumelte. Griechische Zeitungen zeigten die Kanzlerin in Fotomontagen als SS-Soldatin.
Die damaligen Sparauflagen seien „weit über das hinausgegangen, was die griechische Gesellschaft ertragen konnte“, hatte Mitsotakis erst vor wenigen Tagen in einem Interview gesagt. Der Premierminister erinnerte seine Landsleute aber auch daran, dass es Merkel war, die Griechenland in der kritischen Phase in der Euro-Zone gehalten habe, gegen Vorschläge ihrer damaligen Minister.
Acht Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten hatte Griechenland in den 16 Jahren der Merkel-Kanzlerschaft, zwei davon führten kurzfristig Übergangsregierungen – nicht eben ein Indiz politischer Stabilität. Im August 2018 liefen die Hilfsprogramme aus.
Der seit Juli 2019 regierende Mitsotakis verfolgt ein ehrgeiziges Reformprogramm. Auch deshalb kann sich Griechenland inzwischen wieder am Kapitalmarkt refinanzieren, und zwar zu niedrigeren Zinsen als jemals zuvor seit der Einführung des Euro. Die Corona-Rezession lässt das Land schneller hinter sich als erwartet. Analysten schätzen, dass Griechenlands Wirtschaft in diesem Jahr um rund 8 Prozent wachsen wird – ein erstaunliches Comeback für ein Land, das noch Mitte 2015 am Abgrund der Staatspleite stand.
Aber die Sparprogramme der Krisenjahre haben tiefe Spuren hinterlassen. Die Arbeitslosenquote ist mit 13,2 Prozent die höchste in der EU. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) lag 2020 mit 165,3 Milliarden Euro immer noch 30 Prozent unter dem Vorkrisenniveau von 2008. Die Staatsschuldenquote hat sich im gleichen Zeitraum von 109 auf 206 Prozent des BIP nahezu verdoppelt – auch weil Deutschland 2010 einen von vielen Ökonomen geforderten frühzeitigen Schuldenschnitt scheute.
Die Nazi-Karikaturen aus den Krisenjahren sind längst aus den griechischen Medien verschwunden. Das Klima ist weniger hasserfüllt, das Verhältnis aber alles andere als harmonisch. Das zeigt eine griechische Meinungsumfrage von Anfang Oktober. Danach sehen über 70 Prozent der Befragten Frankreich als einen Freund Griechenlands. Von Deutschland sagen das nur 4 Prozent.
Nähe zu Erdogan kommt nicht gut an
Der Grund liegt vor allem in der deutschen Türkei-Politik. Sie war das wohl wichtigste Thema dieses Abschiedsbesuchs. Viele Menschen in Griechenland fühlen sich im Streit mit der Türkei um Hoheitsrechte und Wirtschaftszonen von Deutschland im Stich gelassen. Häufig wird Merkel in Griechenland eine zu große Nähe zum türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan vorgeworfen.
Sie setze auf Konfliktlösung durch Dialog, sagte Merkel dazu, „auch wenn das manchmal etwas länger dauert“. Mitsotakis ergänzte, auch Griechenland suche den Dialog mit der Türkei: „Unsere Tür steht immer offen.“ Allerdings strapaziere die Türkei die Geduld Griechenlands, weil sie immer wieder Grenzen überschreite.
Ausdrücklich würdigte der griechische Premier die Bemühungen der Kanzlerin, zwischen Athen und Ankara zu vermitteln. In Griechenland verdrängen das manche gern. Merkel gelang es, auf dem Höhepunkt des Streits um die Wirtschaftszonen im östlichen Mittelmeer im Sommer 2020 den türkischen Staatschef Erdogan zum Rückzug seiner Kriegsschiffe und zur Wiederaufnahme von Gesprächen zu bewegen. So verhinderte sie, dass aus der Konfrontation ein offener Krieg wurde. Die Konflikte mit der Türkei könnten jederzeit wieder eskalieren. Dann wird man in Griechenland vielleicht Angela Merkel als Vermittlerin vermissen.
Athen erwartet Sie auch in Zukunft als Freundin.
Kyriakos Mitsotakis,
Premierminister Griechenlands
„Ich verabschiede Sie mit Hochachtung“, sagte Mitsotakis zum Abschluss des Besuchs. „Athen erwartet Sie auch in Zukunft als Freundin.“ Mit Griechenland und seinen Regierungen hat Merkel oft gerungen, vielleicht auch gehadert. Es war eine schwierige Beziehung. Wohl um für sein Volk zu werben, gab Mitsotakis der scheidenden Kanzlerin dann noch auf Deutsch ein Goethe-Wort mit auf den Heimweg: „Unter allen Völkerschaften haben die Griechen den Traum des Lebens am schönsten geträumt.“