Erdogans erneuter Erfolg in Deutschland – und die Frage nach dem Warum
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Am Abend der Wahl fahren Anhängerinnen und Anhänger des amtierenden türkischen Präsidenten Erdogan in Duisburg-Marxloh mit ihren Autos über die Straßen, Hupkonzerte ertönen, türkische Flaggen werden geschwenkt.
© Quelle: Christoph Reichwein/dpa
Berlin. In der Türkei wurde es bei der Wahl am vergangenen Sonntag knapp für den amtierenden Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Er landete unterhalb der Schwelle von 50 Prozent und muss sich am 28. Mai einer Stichwahl gegen den Oppositionskandidaten Kemal Kilicdaroglu stellen. Bei den türkischen Staatsbürgerinnen und -bürgern in Deutschland blieb Erdogans Vorsprung gegenüber der Opposition dagegen groß: Er erhielt hierzulande etwas mehr als 65 Prozent der abgegebenen Stimmen – allerdings beteiligte sich nur etwas weniger als die Hälfte der 1,5 Millionen Wahlberechtigten an der Wahl. Deutschland war schon bei vergangenen Wahlen eine Hochburg Erdogans und seiner islamisch-konservativen AKP.
Dass diese Beliebtheit in Deutschland trotz des autoritären Regierungsstils Erdogans, trotz Einschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit, einer sich weiter verschlechternden wirtschaftlichen Lage und einer galoppierenden Inflation in der Türkei ungebrochen ist, wirft Fragen nach dem Warum auf.
Deutsche Versäumnisse
Der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, sieht den Erfolg Erdogans hierzulande zumindest in Teilen durch Versäumnisse der deutschen Politik begründet. Menschen aus der Türkei lebten teilweise seit über 60 Jahren in Deutschland – könnten aber ohne deutsche Staatsbürgerschaft nicht einmal auf kommunaler Ebene mitbestimmen. „Menschen aus anderen EU-Ländern, die aus den gleichen Gründen nach Deutschland gekommen sind, dürfen dagegen wählen. Das ist eine Ungleichbehandlung, die behoben werden muss“, sagte Sofuoglu dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Es gehe um politische Entrechtung und um das Gefühl, ausgegrenzt zu werden, sagte Sofuoglu und verwies auch auf rassistische und rechtsextreme Anschläge in Deutschland: „Dabei spielen die Brandanschläge von Mölln und Solingen und später der NSU eine Rolle, aber auch der Alltagsrassismus. Erdogan nutzt das, was die Menschen tagtäglich erleben, um sich als Kümmerer darzustellen“, sagte der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde. Die deutschen Parteien seien herausgefordert, „die Menschen bei ihren Bedürfnissen abzuholen und sich ihre Sorgen und Forderungen auf die Fahnen zu schreiben“.
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Nicht nur Türkinnen und Türken wählen rechts
Zudem könne man die Stimmabgabe der Türkeistämmigen nicht losgelöst betrachten: „Es gibt in der gesamten Gesellschaft einen Rechtsruck und eine Autokratiefreundlichkeit – blicken wir doch mal darauf, wie stark die AfD in Ostdeutschland ist“, merkte Sofuoglu an. „Das ist ein allgemeines Phänomen. Das nur anhand der Wahlergebnisse der Türken in Deutschland zu diskutieren wäre fatal.“
Der Journalist und Autor Eren Güvercin führt die hohen Zustimmungswerte für Erdogan und die AKP in Deutschland auch auf deren Wahlkampf in Gemeinden des Moscheeverbands Ditib zurück – der von der türkischen Religionsbehörde Diyanet kontrolliert wird. „Für die Wählermobilisierung hat der Zugriff der AKP auf die Strukturen der Ditib erneut eine Schlüsselrolle gespielt“, sagte Güvercin dem RND. Es habe zahlreiche Wahlkampfauftritte von Abgeordneten der AKP in Ditib-Moscheen gegeben, außerdem seien „Briefe von Erdogan an die Diaspora“ in den Moscheen verteilt worden. „Wäre ich der Wahlkampfchef der AKP, würde ich mir auch die Hände reiben: Da steht eine Struktur mit über 900 Ditib-Gemeinden in ganz Deutschland zur Verfügung“, sagte Güvercin.
Intensiver Wahlkampf trotz Verbot
Eigentlich sollte es solche Wahlkampfveranstaltungen gar nicht geben: Drei Monate vor der Wahl galt in Deutschland ein Auftrittsverbot für Amts- und Mandatsträger aus der Türkei. Güvercin hält das für eine gute Regelung – wenn sie denn durchgesetzt würde.
„Die AKP hat zwar auf größere Auftritte verzichtet. Von der deutschen Öffentlichkeit weitestgehend unbemerkt hat die Partei in Deutschland allerdings den größten Wahlkampf ihrer Geschichte betrieben“, sagte er. Mehr als 120 Abgeordnete und über 40 Bürgermeister aus der Türkei seien zu Wahlkampfzwecken in einigen europäischen Ländern und vor allem in Deutschland aufgetreten und hätten in kleineren Veranstaltungen gezielt ihre Wählerklientel adressiert.
„Werden Großteil nicht erreichen“
Die CDU-Bundestagsabgeordnete Serap Güler, deren Eltern als Gastarbeiter aus der Türkei nach Deutschland gekommen sind, sieht noch weitere Probleme. Bei denjenigen in Deutschland, die erneut Erdogan gewählt haben, handele es sich um einen harten Kern. „In absoluten Zahlen sprechen wir hier circa über 490.000 Menschen, das war bei der letzten Wahl genauso. Zufriedenstellen kann uns das definitiv nicht, dass Menschen, die bei uns in Freiheit leben, einen Präsidenten mit autokratischen Zügen unterstützen.“
Man müsse weiterhin für diese Menschen werben, einfach werde das aber nicht. „Ich glaube, den meisten fehlt tatsächlich ein Unrechtsbewusstsein, dass Erdogans Politik Rechte und Freiheiten von Andersdenkenden einschränkt. Wir können hier nur auf politische Aufklärung setzen, werden aber trotzdem einen Großteil der Menschen nicht erreichen“, sagte Güler dem RND.
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Erdogans Erfolg, eine Folge deutscher Versäumnisse
Dass der Autokrat Erdogan bei Türkinnen und Türken in Deutschland so gut abschneidet, hat viel mit deutschen Versäumnissen zu tun. Zum einen hat die deutsche Gesellschaft zu wenig dafür getan, dass sich türkische Migrantinnen und Migranten und ihre Nachfahren hier zu Hause fühlen können. Zum anderen konnten die Außenstellen von Erdogans Autokratie in den Ditib-Moscheen zu lange frei walten, kommentiert Felix Huesmann.
Die Stichwahl macht noch Hoffnung
Viele konsumierten ausschließlich türkische Medien, womit Erdogans Propaganda auf fruchtbaren Boden falle. „Als freies Land können wir nicht alles verbieten, was uns nicht passt. Das wäre genau das, was wir Erdogan ja vorwerfen. Ich fürchte, eine freie Gesellschaft muss auch in der Lage sein, solche Dinge zu ertragen.“
Ein wenig Hoffnung hat Güler mit Blick auf die Stichwahl Ende nächster Woche: „Tatsächlich haben ja nur knapp 50 Prozent der hiesigen Wahlberechtigten gewählt. Da ist also durchaus Luft nach oben“, sagte sie. „Vielleicht ist das Ergebnis für einige ein Weckruf, um doch noch zur Wahl zu gehen und sich für Demokratie einzusetzen. Ich bezweifle allerdings, dass das ausschlaggebend für das Endergebnis sein wird.“
Die meisten Türkeistämmigen seien von den Konsequenzen der türkischen Politik nicht direkt betroffen. „Das Interesse scheint bei Erdogan-Anhängern bei uns tatsächlich größer zu sein, und hier gilt anscheinend vor allem das Credo: in guten wie in schlechten Zeiten.“ Anders könne man sich das Ergebnis in der aktuellen Situation, in der sich die Türkei befände, nicht erklären.