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Erkältungswelle bei Kleinkindern belastet Praxen und Kliniken: „Gefühlt ist jetzt schon Winter“

Eine Kinderintensivpflegekraft versorgt ein Kind auf der Kinderintensivstation 67 in der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) mit einer frischen Infusion. An vielen Kinderkliniken und Kinderintensivstationen bundesweit gibt es zu wenige Pfleger und Krankenschwestern.

Eine Kinderintensivpflegekraft versorgt ein Kind auf der Kinderintensivstation 67 in der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) mit einer frischen Infusion. An vielen Kinderkliniken und Kinderintensivstationen bundesweit gibt es zu wenige Pfleger und Krankenschwestern.

Berlin. Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte beobachtet eine Zunahme von Infekten bei Kleinkindern. „Gefühlt ist jetzt schon Winter“, sagte Bundespressesprecher Jakob Maske dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Zwar gebe es keine deutschlandweiten Zahlen, auch weil nicht alle Arztpraxen ihre Fälle melden würden. „Aber es lässt sich deutlich sagen: Es ist mehr zu tun als sonst zu dieser Jahreszeit.“ Kinderärzte und -ärztinnen sowie Praxispersonal „gehen schon auf dem Zahnfleisch“, sagt er weiter. „Die Auslastung ist enorm.“

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Er erklärt das derzeit vermehrte Auftreten von Atemwegserkrankungen bei Kleinkindern vor allem damit, dass durch die Coronaschutzmaßnahmen und die Lockdowns solche Infekte für längere Zeit weitgehend verhindert wurden. „In der aktuellen Ballung sehen wir einen Nachholeffekt, weil solche Infekte in den letzten zehn, elf Monaten eher nicht stattgefunden haben.“ Menschen hätten Maske getragen, Kinder seien durch die Lockdowns zu Hause geblieben. „Das hat vor Infektionen geschützt“, sagt er. „Auffallend ist, dass wir die Erkrankungen schon seit August sehen.“ Geschwächte Immunsysteme als Grund für die Erkältungswelle schloss er hingegen aus.

Maske betont, dass Infekte das Immunsystem von Kleinkindern schulen und der Entwicklung von Allergien vorbeugen. „Kinder in besonders chemischen Haushalten, die sehr steril gehalten werden, entwickeln deutlich öfter Allergien.“ Im ersten Jahr im Kindergarten machten Kinder in der Regel zehn bis 15 verschiedene Infekte durch. „Das ist normal und auch nicht schlecht für den Körper“, sagt er. „Wenn man Infekte durchgemacht hat, bekommt man sie in der Regel nicht wieder.“

„Es grassiert eine RSV-Welle bei den unter Dreijährigen“

Dass die nun jedoch so geballt vorkommen, belastet nicht nur das Gesundheitspersonal in Arztpraxen. Auf den Kinderintensivstationen ist die Lage extrem angespannt. Vor allem das sogenannte Respiratorische Synzytial-Virus (RSV), das Atemwegserkrankungen auslöst, tritt zurzeit gehäuft auf. „Es grassiert eine RSV-Welle bei den unter Dreijährigen“, sagt Dr. Florian Hoffmann, Generalsekretär der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Jedes zweite Kind bei uns hat RSV“, fügte er mit Blick auf das Dr. von Haunersche Kinderspital in München im Klinikum der LMU hinzu, wo Hoffmann Oberarzt ist.

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Warum das RSV gerade jetzt grassiere und nicht wie normalerweise vor allem im Dezember und Januar, könne niemand mit Sicherheit sagen. Doch auch Hoffmann vermutet die Auswirkungen der Corona-Pandemie als Hauptgrund hinter der Entwicklung. „Im Winter im vergangenen Jahr ist die RSV-Welle komplett ausgefallen. Gerade durch die Schließung von Kindertagesstätten und Kinderkrippen“, sagt er. „Kinder hatten keine Kontakte und ihr Immunsystem wurde nicht trainiert.“

Das Problem beim RSV sei, dass einmal infiziert im Gegensatz zu vielen anderen Viren die Immunität nur für etwa ein Jahr anhalte. „Der RSV kommt jedes Jahr wieder“, sagt er.

Dramatische Personallage in Kinderkliniken

Hinzu kommt, dass die Kinderkliniken für einen – wie Hoffmann sagt – derart „unglaublichen RSV-Tsunami, der gerade über uns hinweggeht“, nicht mehr gewappnet sind. In München etwa müssten Kinder teilweise in andere bayerische Städte ausgeflogen werden, weil die Stationen ausgelastet seien. „Das ist eine frustrierende Situation und gerade für die Familien eine Katastrophe.“ Jedes vierte Kind müsse zudem notgedrungen trotzdem aufgenommen werden, obwohl die Stationen bereits überfüllt seien. „Damit die Kinder nicht auf der Straße landen.“

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Schuld daran ist vor allem die verheerende Personallage auf den Kinderintensivstationen. „Kinderkliniken wurden zu Tode gespart“, sagt er. „Ein Drittel aller Betten in den Kinderintensivstationen deutschlandweit sind gesperrt.“ In den Ballungsräumen sei die Lage noch dramatischer. „In den großen Zentren ist ein Drittel bis die Hälfte der Betten nicht mehr betreibbar.“ Grund dafür sei insbesondere der Mangel an Pflegekräften. „Das Leben in den großen Städten ist so teuer, dass Pflegekräfte dort nicht mehr arbeiten können.“

Hoffmann warnt vor einem Zusammenbruch der Pflege in ein paar Jahren. „Es ist ein Teufelskreis: Wenn die Stationen überbelegt sind, kündigen Pflegekräfte, weil sie überlastet sind. Und wenn wir dafür keine Lösung finden, können wir etliche Kinderkliniken in ein paar Jahren nicht mehr betreiben.“ Nötig sei es, die Rahmenbedingungen und das Ansehen dieses Berufs endlich zu verbessern. „Es braucht kein Geklatsche nach 20 Uhr, sondern eine adäquate Bezahlung, psychologische Versorgungstrukturen und eine Perspektive für eine Karriere. Man muss diesen Beruf wieder attraktiv machen“, sagt er. Von der künftigen Bundesregierung fordert er deshalb, das Problem vernünftig anzugehen. „Aber nicht mit kleinen Feuerlöschern, sondern es sind große Veränderungen nötig, um die Pflege in diesem Land auf Dauer zu sichern.“

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