„Es wird auch wehtun“
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Designierter SPD-Generalsekretär Klingbeil: „Jeder in der SPD weiß, dass wir Verantwortung tragen“
© Quelle: imago/photothek
Berlin. Im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) spricht der designierte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil über die kommenden Herausforderungen bei den Sozialdemokraten.
Herr Klingbeil, geht die Reise für die SPD nach dem Gespräch der Parteivorsitzenden klar Richtung Große Koalition?
Wir haben die Beratungen beim Bundespräsidenten im Präsidium sorgfältig ausgewertet. Die Parteivorsitzenden werden weitere Gespräche führen. Jeder in der SPD weiß, dass wir Verantwortung tragen. Wir werden in den nächsten Wochen über unterschiedliche Varianten der Regierungsbeteiligung sprechen.
Was sind Ihre Bedingungen?
Wir müssen jetzt zunächst klären, wo wir hin wollen. Dabei wird der Parteitag eine wichtige Rolle spielen. Viele in der SPD wollen keine Große Koalition und keine Neuwahlen. Dazwischen gibt es einige sehr interessante Varianten. Die nächste Regierung muss – egal für welche Konstellation wir uns entscheiden – die großen Fragen angehen. Die Stärkung Europas, die Digitalisierung Deutschlands, ein echter Fortschritt in der Pflege. Darum geht es.
Wäre eine Große Koalition ohne Angela Merkel leichter zu ertragen?
Um Personaldebatten geht es nicht, sondern erst einmal um die Konstellation. Ich finde die Frage spannend, ob Frau Merkel den Mut zu einer Minderheitsregierung hat. Das würde sie als Kanzlerin neu fordern.
Darf die SPD ihren Kurs davon abhängig machen, ob Merkel zu einer Minderheitsregierung bereit ist?
Nein, definitiv nicht. Wir werden auf dem Parteitag entscheiden, welchen Weg wir gehen wollen. Dazu gehört, dass wir unterschiedliche Varianten besprechen. Ich schließe eine Minderheitsregierung nicht aus. Das Parlament wäre nach vier Jahren Große Koalition endlich wieder ein Ort lebendiger Debatten. Merkel müsste stärker Farbe bekennen. Bei einer Minderheitsregierung wäre es für die SPD aber auch schwieriger, sich einzubringen und eigene Punkte durchzusetzen.
Wie könnte ein Modell aussehen, das Stabilität in der Außen- und Sicherheitspolitik garantiert?
Wir werden über feste Absprachen nachzudenken haben. Selbst eine Minderheitsregierung müsste ein vertragliches Grundwerk als Basis haben. Darin könnte für wichtige Themen ein gemeinsamer Weg vereinbart werden. Es wäre auch möglich, eine Große Koalition mit klar definierten Dissenspunkten einzugehen. Dann wären wechselnde Mehrheiten möglich. In einer solchen Konstellation könnten auch Minister der SPD im Kabinett sitzen.
Wäre die SPD auch für Neuwahlen vorbereitet?
Mir ist klar, dass ich als neu gewählter Generalsekretär ab Tag Eins Neuwahlen vorbereiten muss, falls Gespräche ergebnislos verlaufen.
Wären Vorwahlen nach amerikanischem Vorbild ein Modell für die SPD?
Ich habe in Niedersachsen zweimal erlebt, dass Urwahlen die Partei mobilisieren können. Wenn Personalentscheidungen auf diesem Weg getroffen werden, wäre das eine Stärkung der SPD. Ganz generell müssen wir uns verändern. Nur eine lebendige Partei, die diskutiert und inhaltlich streitet, ist eine starke Partei. Geschlossenheit bedeutet nicht immer Stärke. Es geht um Zusammenhalt und den Mut zur ehrlichen Debatte.
Hätten Sie sich einen leichteren Start als Generalsekretär gewünscht?
Wir Niedersachsen gelten als sturmfest. Als Martin Schulz mich gefragt hat, ging es vor allem um die Erneuerung der SPD. Jetzt kommen noch ein paar andere Aufgaben dazu. Ich habe große Lust auf dieses Amt und fühle mich gut vorbereitet.
Was wäre für Sie ein gutes Ergebnis auf dem Parteitag?
Ich weiß, dass viele skeptisch sind, weil es auch wehtun wird, die Partei zu erneuern. Deshalb werde ich sicher auch Gegenstimmen bekommen. Ich wünsche mir einen klaren Auftrag für die Erneuerung der SPD.
Nervt es Sie, dass dauernd über den Parteivorsitzenden diskutiert wird?
Wir sind gerade in einer politisch schwierigen Phase. Das macht auch die Partei nervös. Dazu gehören auch mal Personaldebatten. Ich gehe aber davon aus, dass Martin Schulz beim Parteitag mit einem sehr überzeugenden Ergebnis wiedergewählt wird.
Aber die subtilen Sticheleien gehen weiter. Fehlt Loyalität in der SPD?
Es ist enorm, was Martin Schulz seit Ende Januar geleistet hat. Sein Wahlkampf verdient höchsten Respekt, körperlich und mental ein gewaltiger Einsatz. Das setzt er fort, er war viel in der Partei unterwegs. Ich halte ihn für den richtigen Parteivorsitzenden. Die Führungsgremien der SPD müssen allerdings lernen, besser zusammenzuarbeiten.
Sie gelten bei vielen als Hoffnungsträger. Wird Ihnen das zu viel?
Ich weiß, dass ich eine große Aufgabe vor mir habe. Aber ich freue mich drauf. Ich stehe für eine mutige, proeuropäische, digitale Generation, die jetzt mehr Verantwortung in der SPD übernimmt. Ich kandidiere nicht dafür, dass alles so bleibt, wie es ist.
Wie kann man die SPD digitalisieren?
Wir müssen die Partei anders strukturieren. Ich habe vor kurzem meine Handy-Nummer getwittert und um Vorschläge gebeten, wie man die SPD erneuern kann. Es kamen 650 Antworten, 90 Prozent davon ernsthaft. Ich habe oft gehört, dass die Leute keinen Ort haben, an dem sie in der SPD mitgestalten können. Unsere Ortsvereinsstruktur ist die Basis, aber vielen fehlt die Zeit dort mitzumachen. Ich kann heute von unterwegs auf dem Handy meinen gesamten Alltag organisieren, aber ich kann mich nicht orts- und zeitunabhängig digital in eine Partei einmischen. Das will ich ändern.
Wie kann die SPD vom Gestus moderner werden? Muss man sich noch einmal von der Agenda 2010 lösen?
Die Agenda 2010 stammt aus dem Jahr 2003. Da gab es noch nicht einmal StudiVZ. Wir sind jetzt im Jahr 2017. Ich möchte als Generalsekretär keine Vergangenheitsbewältigung betreiben, sondern Zukunftsdebatten führen. Wir müssen neben der Digitalisierung über moderne Gesellschaftspolitik, Europa, Klimaschutz reden. Da spielt eine Diskussion über die Agenda-Politik keine Rolle mehr.
Muss die SPD sich von Retro-Debatten lösen?
Wir kommen wieder von den 20 Prozent weg, wenn wir spannend werden und Neugier wecken. Wenn wir uns immer nur mit der Vergangenheit beschäftigen, bleiben wir bei 20 Prozent.
Von Gordon Repinski und Rasmus Buchsteiner/RND